Hauses hatte sich ein wenig Komfort geleistet, die Wand durchbrochen und an der Außenseite ein Plumpsklo angeklebt. Die Wände zeigten dicke Sprünge, durch einen konnte man sogar den Himmel sehen. Über den Zimmern gab es noch einen Dachboden. Als wir ihn betraten, löste sich ein Dutzend Fledermäuse von den Dachbalken. Aber sie flohen nicht, sondern verteidigten ihr Zuhause gegen uns Eindringlinge, indem sie uns immer wieder wütend anflatterten.
In einem Teil des Dachbodens hingen Drähte von der Decke mit Drahthaken. Hier wurden die Trauben zu Rosinen getrocknet, aus denen dann der süße Wein gepresst wird, den die Bauern „Vin Santo“ nennen, wohl, weil die Pfarrer die kräftige Trockenbeerauslese dem leichten Rebensaft dieser Gegend als Messwein vorzogen. Beugte man sich aus den offenen Bodenfenstern, blickte man auf das Dach und den Schornstein eines großen, gemauerten Brotbackofens. Hob man den Blick, stand man verzaubert da: Da war sie wieder, die ganze Pracht der Toskana mit ihren Hügeln und Dörfern und Campanile und Villen, ihren Pinien und Zypressen und ihren Wäldern von Edelkastanien.
Als wir wieder vor dem Haus standen, sahen wir einander fragend an. Was war davon zu halten? „Wenig“, meinte ich. „Viel“, meinte meine Frau. „Alles“, meinten unsere Gastgeber. Ein derart schönes Haus werde man nicht bald wieder finden. – Aber es ist doch eine Ruine oder doch beinahe eine. – Keineswegs. Die paar Risse ließen sich leicht wieder zusammenschrauben, tatsächlich mit meterlangen Schrauben, die von Wand zu Wand gespannt werden. Zu beachten hingegen seien die zumindest drei verschiedenen Bauphasen, in denen man das Haus offenbar in Abständen von vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, errichtet hatte. Das ergäbe die vielen Winkel und Stufen, die verschieden hoch gelegenen Ebenen der Fußböden und der Balkendecken, die reizvolle Verschränkung mehrerer Dächer.
Selbst die Scheune mit ihrem Schweine- und Hühnerstall hatte Stil. Das Haus, erklärte unser Gastgeber, müsse man schon wegen der einzigartigen Zitronenbäume kaufen, die als dichtes Spalier seine Wände bedeckten. Aber den Ausschlag gab dann ein Fund zwischen den Brennnesseln auf dem verrotteten Misthaufen im Hof. Da standen dicht gedrängt ein Dutzend Parasolpilze von einer Größe, Dicke und Gesundheit, wie wir sie alle noch nie gesehen hatten. Für Pilznarren wie wir ein fast zwingendes Omen.
Im Übrigen ließ man uns kaum noch eine Wahl: Bei dem nächsten Nachbarn erfuhren wir, welchem „Padrone“ das Haus gehörte, einem Conte Anzilotti, dem hier alle Häuser gehörten und auch alle Olivenbäume und Weinstöcke dazwischen. Aber obwohl die meisten Bauern, die hier zuerst als Halbsklaven, dann als Pächter in diesen Häusern gewohnt hatten, in die Industrie abgewandert seien, habe der Conte bisher keines der Häuser verkauft. Außerdem sei er kaum jemals da. Seine Villa stünde zwar nicht weit von hier, aber er wohne in Florenz und komme nur alle heiligen Zeiten einmal vorbei. Und selbst dann bekäme ihn kaum jemand zu Gesicht. Er sei alt und menschenscheu.
Doch die Kette der Zufälle riss nicht ab. Wir fuhren zu der Villa, das Tor stand offen, der Conte war da und sogar bereit, mit uns zu reden. Das Haus, meinte er, das Haus sei nicht zu haben. Weil erstens ihm die Idee eines Verkaufs gar nicht erst kommen würde. Weil zweitens er erst seine Töchter fragen müsste, ob sie damit einverstanden wären, dass er sie um einen, wenn auch zugegeben kleinen Teil ihres Erbes sozusagen bringe, indem er es verkaufte, wobei er das Geld solcherart noch vor seinem Tod auch durchbringen könnte. Man müsse verstehen, meinte die graue dürre Gestalt in dem großen Lehnsessel mit abgeschabtem Seidenbezug, dass die Töchter in Anbetracht solcher Auspizien ihre Zustimmung gewiss verweigern würden. Und drittens würde er auch nicht verkaufen, weil er schon einmal einen Preis für das Haus genannt hatte, das sei vor zehn Jahren gewesen, als sich ebenfalls jemand für das Haus interessierte, und dieser Preis sei damals als zu hoch zurückgewiesen worden. Er sei doch kein Wucherer! Niemals werde er daher je wieder einen Preis nennen, denn er lasse seine Preise nicht als zu hoch zurückweisen.
Erleichtert wollte ich mich schon mit Dank empfehlen – erleichtert, denn mittlerweile war mir vor diesem doch sehr plötzlichen Hauskauf recht unheimlich zumute geworden. Doch der uns begleitende, mit unseren Gastgebern befreundete Bauer, der uns zu dem Haus geführt hatte, dachte gar nicht daran, so schnell aufzugeben. Und nach zehn Minuten zähen Argumentierens hatte er den Conte so weit, dass dieser bereit war, zumindest zu sagen, welchen Preis er vor zehn Jahren für das Haus verlangt hatte. Es war ein niedriger Preis.
Zu unserer Überraschung aber meinte der Conte, er wolle von uns gar keinen Kommentar zu diesem Preis hören, denn wir würden ihn heute wohl genauso wenig akzeptieren, wie er vor zehn Jahren vom damaligen Interessenten akzeptiert worden sei. Sollten wir das so verstehen, dass der Preis heute noch derselbe sei wie damals? Wie denn sonst! Bei ihm gäbe es kein Handeln, weder hinunter noch hinauf. Also fänden wir den Preis ganz in Ordnung? Ja. Ob er da nicht doch mit seinen Töchtern reden könnte, wir wären sehr interessiert. Nun, das müsse er sich noch überlegen. Und selbst wenn er es täte, glaube er nicht, dass sie damit einverstanden wären. Sollten sie es aber wider Erwarten doch sein, so würde er morgen um zehn Uhr vormittags zu uns hinüberkommen, bereit, zum Notar zu gehen. In diesem Fall erwarte er zehn Prozent Anzahlung bei Unterschriftleistung unter den Vorvertrag, den Rest in drei Monaten bei Unterzeichnung des Vollvertrags. Sagte er und entließ uns mit einer Handbewegung, so, als sei seine Geduld mit uns nun endgültig zu Ende. Es war eine Nacht des Bangens. Ich wünschte inständig, der Conte würde um zehn Uhr nicht erscheinen. Was sollten wir denn mit einem Haus in der Toskana, noch dazu mit einer – da ließ ich mich nicht bekehren – Halbruine. Meine Frau wünschte inständig, der Conte würde Punkt zehn Uhr vor der Tür stehen, das Haus hatte sie bereits völlig in seinen Bann gezogen. Unsere Gastgeber wünschten von unseren Überlegungen nichts mehr zu hören: Die Entscheidung liege nicht mehr bei uns, käme der Conte, werde gekauft, käme er nicht, wäre das leider sehr traurig. Doch auch wenn der Preis, wie alle meinten, sehr vorteilhaft sei, so hätte ich doch die Anzahlung nicht bei mir, versuchte ich sachlich dagegenzuhalten. Keine Sorge, die Anzahlung strecke man uns gerne vor, boten die Gastgeber an. Dennoch könnte ich mich gegen einen Kauf entscheiden, meinte ich, kein Vertrag, kein Kaufzwang. Falsch, wir hätten den Preis akzeptiert, somit einen Vertrag geschlossen. Aber der Conte habe sich seine Entscheidung doch noch offen gelassen. Er ja, wir nicht. Argumentieren half da nichts mehr, nur noch hoffen.
In dieser Nacht hoffte jeder von uns auf etwas anderes.
Um Punkt zehn Uhr stand der Conte vor der Tür.
Um elf Uhr beglaubigte uns der Notar, dass wir soeben ein Haus gekauft hatten, von dessen Existenz wir vor 48 Stunden noch keine Ahnung gehabt hatten. Da war uns erst das Benzin auf der Autobahn ausgegangen.
Der Traum
Chi crede d’ingannare il Dio, inganna se stesso. Wer glaubt, Gott zu betrügen, betrügt sich selbst.
Wir sind lange gegangen, Hand in Hand, weil die Nebelschwaden, die uns umhüllten, so dicht waren, dass wir kaum den Weg sahen. Doch da war ein Weg – unsere Füße spürten ihn. Manchmal drehten wir uns ängstlich um, aber hinter uns war nichts. Ein weißes Nichts, wie eine undurchsichtige Wolke.
„Wir sind im Niemandsland“, sagte mein Mann.
„Ja“, sagte ich und hielt seine Hand fester.
Plötzlich, ganz ohne Warnung, war der Nebel verschwunden, und wir standen allein auf einem Hügel. Um uns herum endlose Wolkenberge. Darunter ahnte ich die Erde.
Wie in einem Zeichentrickfilm segelte unverhofft eine rosarote, duftige Wolke heran und blieb vor uns stehen. Aus ihr sah uns Gott an. Wir kannten ihn aus Kirchengemälden. Er trug einen weißen Bart und ein himmelblaues Gewand, wie es sich gehörte.
Wir waren erstarrt. Gott ist nachdenklich, dachte ich. Er ist menschlich, aber auch nicht, er ist göttlich, aber auch nicht. Ich spürte, wie er in unsere schwarzen Seelen blickte.
„Ich brauche eine Zwischenbilanz“, sagte Gott plötzlich sehr nüchtern und eher ungöttlich.
„Ja, die brauche ich auf jeden Fall, bevor wir abrechnen!“
Dieser menschliche Jargon, dachte ich. Aber warum sollte Gott denn nicht mit unseren modernen Vokabeln vertraut sein, er ist doch allwissend. Weshalb sollte Gott nicht auch Worte wie Zwischenbilanz und