das hier als Bus verkleidet umherfährt. Das ist lange her, aber er pfeift immer noch gerne. Als er wieder einmal einem Bus nachrannte, stürzte er nieder, brach sich den Knöchel und musste eine geschlagene Woche im Krankenhaus verbringen. Das machte ihn vollends elend, und er wurde erst wieder heiter, als er meine Mutter und mich lächelnd über sein weißes Krankenhausbett gebeugt sah, mit gelben Rosensträußen in unseren Händen. Da sagte er plötzlich ›Oje, oje, schlag mich der Donner!‹ Das aber, was er am liebsten macht, mein Vater, der Latrinenräumer, das ist auf einem großen Steine unter einem Mahagonibaum sitzen und kleinen Kindern beim Spielen eines Cricketspiels zusehen und dabei mit Blut und Reis gestopfte Eingeweide von Tieren verzehren und Ingwerbier trinken. Er hat mir oftmals wörtlich gesagt, ›Ach mein Kleines, was ich aber am liebsten mache‹, na und so fort. Meistens liest er Bücher über Botanik und kennt sich vortrefflich aus mit Kautschukplantagen und überhaupt Kautschukbäumen. Eine Vorliebe, die ich nicht zu erklären vermag, weil der einzige Kautschukbaum, den er jemals wirklich gesehen hat, einer im Botanischen Garten war. Er achtet sehr darauf, dass mir die Schulschuhe passen. Ich liebe meinen Vater, den Jauchefahrer. Meine Mutter liebt meinen Vater, den Jauchefahrer. Jedermann liebt ihn und winkt ihm zu, wenn er ihn sieht. Er ist ja ein sehr gut aussehender Mann, und ich habe mehrfach gesehen, dass Frauen ihn zweimal anschauen mussten. An Feiertagen trägt er einen braunen Filzhut, den er aus England kommen lässt, braune Lederschuhe, gleichfalls aus England. An gewöhnlichen Tagen geht er barhäuptig umher. Wenn er mich ruft, antworte ich ›Yes, Sir‹. Zu den Geburtstagen meiner Mutter besorgt er einen netten Kleiderstoff. Er macht uns glücklich, mein Vater, der Jaucheabholer, und hat versprochen, dass er uns eines schönen Tages mitnehmen wird, etwas zu sehen, wovon er oftmals gelesen hat und was man den Zirkus wohl nennt.«
Die Blumen schließen sich nachts und scheinen zu schwellen. Die Hibiskusblüten, die abertausend Sträuße des Flammenbaums, die Amaranthblumen, die Wasserhyazinthen, die Samtblumenknöpfe, die Rispen des Weißschopfbuschs, die Seerosen alle, die Yuccalilien, die Schlangenkopfblüten, die Wolken des Sobbenbaumes, die Kelche im Flaschenbaum, Mangoblüten, Guavenblumen, die Kränze der Zedern, Sterne vom Stinkholz, die Blumen des Trauernden Baums, die Schüsseln der Baummelone, überall schließen sich die Blumen und scheinen zu schwellen. Sie sind leicht verletzbar, die Blumen.
Einer flechtet einen Korb, irgendwer fertigt für ein Mädchen ein Kleid, für einen Jungen ein Hemd an, irgendjemand macht eine Suppe mit Maniok, dass der Mann sie am anderen Tag auf das Zuckerrohrfeld mitnehmen kann, irgendwer baut seiner Frau ein wunderschönes Mahagonischränkchen, jemand verstreut farbloses Pulver vor einer verschlossenen Tür, worauf eines anderen Kind tot geboren sein wird, jemand betet, dass ein schlechtes Kind, das glücklich im Ausland lebt, so gut sein wird, ein Paket mit neuen Sachen zu schicken, und irgendwer schläft.
Jetzt bin ich ein Mädchen, aber eines Tages werde ich eine Frau heiraten, eine rothäutige Frau mit schwarzem Brombeerstrauchhaar und braunen Augen, die Röcke trägt, weit genug, sich darin zu verbergen. Diese Frau würde ich gerne heiraten und mit ihr in der Nähe des Meeres in einer Lehmhütte wohnen. In der Lehmhütte werden zwei Stühle sein und ein Tisch, eine Lampe, mit Kerosin zu füllen, ein kleiner Medizinschrank, ein Topf, ein Bett, zwei Kissen, zwei Decken, ein Spiegel, zwei Tassen, zwei Untertassen, zwei große Teller, zwei Gabeln, zwei Wassergläser, eine Schüssel aus Porzellan, zwei Angelruten, zwei Strohhüte, die brennende Sonne von unseren Köpfen fernzuhalten, zwei Truhen für Dinge, die wir nicht brauchen, ein Korb, ein Buch mit unliniertem Papier, eine Schachtel mit zwölf verschiedenen Buntstiften drin, ein Laib Brot, in braunes Papier geschlagen, ein Kohletopf, ein Bild mit zwei auf einer Mole stehenden Frauen, ein Bild, auf dem dieselben Frauen zum Abschied sich küssen, eine Schachtel Streichhölzer schließlich. Jeden Tag werden die rothäutige Frau und ich Brot und Milch auf dem Frühstückstisch haben, uns in dichten Büschen verstecken und getrockneten Kuhmist auf Leute schmeißen, die wir nicht mögen, oder die Kokosnussbäume erklettern, reichlich Kokosnüsse dann pflücken, um das Kokosnussfleisch, das Kokosnusswasser der Nüsse, die wir selber gepflückt haben, essen und trinken zu können, wir werden Steine ins Meer fallen lassen, uns John-Bull-Masken aufsetzen und hilflose kleine Kinder auf dem Nachhauseweg von der Schule erschrecken, angeln gehen, nur unsere Lieblingsfische fangen, sie braten und zum Abendessen verzehren, grüne Feigen stehlen, um sie mit den gebratenen Fischen zum Abendessen zu verzehren. Das würden wir jeden Tag wieder tun. Jede Nacht würde ich ein Lied für diese Frau singen, den Text weiß ich noch nicht, aber die Melodie hab ich fertig im Kopf. Die Frau, die ich gerne heiraten würde, weiß über viele Dinge Bescheid, aber sie wird mir nur das erzählen, was einem nicht im Traum einfällt und dann Angst macht. Und jede Nacht, immer wieder, wird sie mir etwas erzählen, das mit »bevor du geboren wurdest« anfängt. Solch eine Frau werde ich heiraten und jede Nacht, jede Nacht vollkommen glücklich sein.
Zuletzt
Das Haus
In diesem Haus lebte ich mit dir: Holzschindeln, die Farbe vom Wetter gefressen und völlig zerfleddert, das Klavier, ein Möbelstück jetzt, das nur noch den Staub anzieht, das Bett, in dem alle Kinder geboren wurden, eine Vase für Blumen, die erst leben, dann sterben, eine Obstschale, die Früchte lange verzehrt. (Was war das für ein besonderes Licht?) Die toten Haare in meinem Kamm. Wo sind die Briefe mit den schlechten Nachrichten hin? Wo sind sie verloren? Diese Bilder sollten eine Krönung festhalten. Und was bist du jetzt? Eine junge Frau. Aber in Wirklichkeit? Eine junge Frau. Ich weiß, dass es schwer ist. Wenn doch irgendetwas hier reden würde. Die Dielen trugen ein hübsches Muster, wenn die Sonne hereinfiel. (War es dasselbe Licht?) Nachts wischte ich den Ruß vom Lampenzylinder und entzündete das Licht. Während ich mich anschickte, zu Bett zu gehen, plante ich den anderen Tag. Und viele Dinge vergaß ich trotzdem. Ich hob allerlei auf unter dem Bett, und es geriet mir aus dem Gedächtnis. Einmal wuchs ein gefiedertes weißes Moos draus hervor, das wirklich sehr schön war. Ich bemerkte es erst, als es stank. Jetzt sehe ich dich an. Deine Lippen sind weich und geöffnet.
Verhält sich das so?
Ich sah die Katze die Kiefer aufreißen, den rosa schimmernden Gaumen und schwarze Schatten darüber, die Zähne weiß, scharf und gefährlich. Ich hatte nie Muscheln vom Strand, obgleich das Meer nur ein paar Minuten entfernt war. Die hübsche verzierte Konsole kannst du jetzt anfassen. Weshalb habe ich dich nicht gewähren lassen, mit den Fingern zu essen, als es dein Wunsch war?
Warum waren die Türen so gründlich verschlossen?
Sie waren gar nicht verschlossen.
Ich sah sie so.
Und was geschah damals mit uns? Du fragtest mich, ob es immer so war, wie es jetzt ist. Ich weiß es nicht. Ich bin ja nicht immer hier gewesen. Am Anfang war ich nicht hier. Einst gingen wir Hand in Hand in aller Schönheit. Aber was folgte! Schlaflose Nächte, ach die schlaflosen Nächte. Donnerstags wurde ein Baby geboren und schon am Freitag, die Augen zuerst, von den roten Ameisen gefressen. (Und woher kommt das Licht?) Ich habe die Länge dieses Raumes so oft abgeschritten, dass es gereicht hätte, die Wüste zu durchqueren.
Mit mir?
Mit dir. Flüstere weiter, ich sehe so gern, wie deine Lippen beim Flüstern sich kräuseln. Du bist eine Frau. Stehst drüben nahe bei den abgestorbenen Blumen. Ich kann in der Glasvase dein Spiegelbild sehn. Du bist sanft und gespannt wie ein Gewölbe. Deine Glieder sind groß und gelöst, die Füße von den Fesseln befreit. (Das Licht ist ein fernes Wetterleuchten geworden.)
War alles einem Kadaver vergleichbar? Nährte es dich?
Ja, lange Zeit.
Oder war es wie ein Skelett? Lebtest du drin?
So war es auch. Wir beteten inständig. Was war unser Anliegen? Wir beteten inständig, errettet zu werden. Wir beteten inständig, gesegnet zu werden. Wir beteten inständig um ein langes und glückliches Leben unserer Kinder. Und immer beteten wir inständig, das Morgenlicht wieder zu sehen. Wurden wir errettet? Ich kann es nicht sagen. Ich kann es bis heute nicht sagen. Wir erfüllten einfach die Zimmer mit unseren Stimmen. In diesem Topf kochten die Eier über. Als der Hurrikan hereinbrach, saßen wir in dieser Ecke, bis alles vorübergezogen war. Und die ganze Zeit dieser Regen, dieser anhaltende Regen. Das Fundament des Hauses bebte, und die Erde wurde weggeschwemmt. Mir wurde heiß und kalt,