trank einen Schluck. Er betrachtete die Milchränder in der Tasse. »Unser lieber Kollege Aydin konnte es mal wieder nicht lassen. Er hat eine hübsche Blondine abgeschleppt.«
»Ah, daher weht der Wind.« Fee angelte sich einen Keks aus der Schale auf dem Couchtisch. Keinen von denen, die Dieter Fuchs gekauft hatte. Ihre stammten aus der Bäckerei ihrer Schwiegertochter und schmeckten nach Sonntagnachmittag im Café ›Schöne Aussichten‹. »Du bist doch nicht etwa neidisch?« Sie knabberte an der Baiserkruste.
»Ganz im Gegenteil.« Daniel beugte sich vor. Er streckte die Hand aus. Über den Couchtisch hinweg streichelte er über Fees Wange. »Die Frau, die dir das Wasser reichen kann, muss erst noch geboren werden.«
»Stimmt nicht.« Felicitas wackelte mit dem Zeigefinger vor seiner Nase herum. »Deine Töchter sind schon auf der Welt. Aber die laufen außer Konkurrenz.«
»Wenn Aydin es wagte, einer der beiden den Hof zu machen, würde ich ihn feuern«, knurrte Daniel überraschend grimmig.
Fees Augen wurden schmal.
»So schlimm? Was hat er denn angestellt?«
»Seine Flamme ist mit undefinierbaren Symptomen in der Klinik gelandet.« In diesem Moment war er zu müde für ausführliche Erklärungen. »Ich warte auf Laborergebnisse.« Wieder ein Schluck Kaffee.
»Und ich dachte, du bist hier, weil du mich sehen wolltest.« Fee lachte leise.
Daniel überlegte noch, wie er ihren Scherz parieren konnte, als sein Telefon klingelte.
»Ja, Norden«, meldete er sich.
Schwester Elena ließ ihn kaum ausreden.
»Frau Buri geht es schlechter. Und die Ergebnisse aus dem Labor sind da.«
»Ich komme sofort.«
*
Sophie hatte nicht angerufen. Irgendeine unbekannte Nummer leuchtete auf dem Display seines Handys auf. Mit verkniffener Miene steckte Matthias Weigand das Telefon wieder ein. Im Gegensatz zu seinem Chef konnte er noch nicht einmal an eine Ruhepause denken. Das Lächeln auf seinem Gesicht war nicht echt, als er das Zimmer von Sophies Freundin betrat. Nina dagegen freute sich ehrlich über seinen Besuch.
Obwohl es schon nach Mitternacht war, war an Schlaf nicht zu denken.
»Nanu, du bist ja immer noch wach.«
»Das macht die Aufregung. Ich bin überhaupt nicht müde.«
»Das wird sich übel rächen«, prophezeite Matthias Weigand. »Spätestens, wenn dich die Schwestern morgen früh um sechs Uhr aus dem Bett werfen.«
Nina lachte.
»Gut, dass ich im Hier und Jetzt lebe.«
»Womit gleich meine nächste Frage beantwortet wäre. Du fühlst dich offenbar gut.« Matthias trat ans Bett und beugte sich über sie. »Achtung, jetzt wird es kalt.« Um sie nicht zu sehr zu erschrecken, rieb er die Hände, um sie wenigstens ein bisschen auf Temperatur zu bringen.
»Es tut fast gar nicht mehr weh«, erwiderte Nina. Mit stoischer Ruhe ließ sie die Untersuchung des Arztes über sich ergehen.
»Schwester Astrid hat dir einen Gilchrist-Verband angelegt. Sehr gut.« Er prüfte den Sitz der Gurte. »Du musst dich auf jeden Fall noch schonen.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl.«
Statt auf den scherzhaften Ton einzugehen, kräuselten sich Falten auf Matthias’ Stirn.
»Das trifft sich gut. Dann wirst du mir sicher auch verraten, ob du Diabetikerin bist.«
Nina legte den Kopf schief.
»Wie kommst du denn auf so eine Idee?«
»Während der Narkose bist du in eine Unterzuckerung gefallen.«
»Das ist ja komisch … obwohl …« Nina dachte nach. »Wenn ich so darüber nachdenke, hatte ich in letzter Zeit öfter mal Probleme mit dem Blutzucker.«
Manchmal, wenn er besonders aufmerksam war, kribbelte die Haut in Matthias’ Nacken. Ganz so, als wollten sich die feinen Härchen aufstellen. Genau wie in diesem Moment.
»Inwiefern?«, fragte er gespannt.
»Ich hatte immer mal wieder Heißhungerattacken. Wenn ich dann nicht schnell genug etwas Süßes zwischen die Zähne bekommen habe, ist mir schwindlig geworden.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ohnmächtig bin ich nie geworden. Heute zum ersten Mal.«
»Na gut.« Matthias Weigand hatte eine Entscheidung getroffen. »Das Einfachste ist, wenn wir einen Diabetes-Test machen. Dann haben wir wenigstens Gewissheit, mit welchem Feind wir es zu tun haben.«
»Gern. Ich bin ein Freund von klaren Verhältnissen.« Nina sah Matthias so durchdringend an, dass er sich fragte, was genau sie ihm damit sagen wollte. Doch er sprach diesen Gedanken nicht laut aus. Es war auch so schon alles kompliziert genug.
*
Im Laufschritt eilte Schwester Elena neben ihrem Freund her, der gleichzeitig Chef der Behnisch-Klinik war.
»Muriel hatte Kammerflimmern. Ein Glück, dass Dr. Aydin bei ihr war. Sonst hätten wir uns all die schönen Analysen sparen können.«
Daniel schickte ihr einen Seitenblick.
»Du weißt mehr als ich?«
»Das will ich meinen.« Elena lächelte grimmig. »Ich habe mir erlaubt, einen Drogentest anzuordnen.«
Daniel Norden blieb so abrupt stehen, dass er um ein Haar über seine eigenen Beine gestolpert wäre. Drogen? Natürlich! Warum war er nicht selbst auf diese Idee gekommen? Er ballte die Hand zur Faust.
»Ich hätte es wissen müssen.«
»Schon gut!«, winkte Elena ab. »Ich verstehe das schon. Bei einer schönen Frau wie Muriel denkt ein Mann an vieles, aber nicht unbedingt an Rauschmittel.«
»Schönheit verführt uns oft bei der Wahrheitssuche«, bemerkte Daniel und nahm das Blatt Papier, das Elena aus der Tasche gezogen hatte und ihm hinhielt.
»Und die Banalität des Lebens lacht uns dafür aus.«
Dr. Norden runzelte die Stirn.
»Bist du unter die Philosophen gegangen?«
Elena lachte, wenn auch nur kurz.
»Manchmal bleibt einem hier nichts anderes übrig, wenn man nicht verzweifeln will.«
Über diese Antwort musste Daniel erst nachdenken. Um Zeit zu gewinnen, faltete er das Blatt auseinander. Überflog das Ergebnis.
»Nachgewiesener Wirkstoff Methylendioxy-N-Methylamphetamin, kurz MDMA«, murmelte er. »Er ist bekannt dafür, zu einer erhöhten Kontaktfreude, großer Offenheit und Harmoniegefühlen zu führen.«
Daniel verzog den Mund. Für einen Moment fühlte er sich zurückversetzt in die Bar. Sah Muriel vor sich, ihren Augenaufschlag in Milans Richtung, die feuchten Lippen. »Das erklärt einiges.« Er fuhr sich über die Stirn, als wollte er die Erinnerung wegwischen.
»Aber das ist noch nicht alles.« Elena reichte ihm ein weiteres Papier, diesmal in einem Umschlag. »Lisa aus dem Labor hat mich vorab informiert. Frau Buris vermeintliche Hustentabletten werden eigentlich bei schweren Gichtanfällen angewendet.«
Daniel riss den Umschlag auf. Er zog das Blatt heraus.
»Colchizin. Ein Wirkstoff, der in der Natur in einer Pflanze mit dem schönen Namen ›Herbstzeitlose‹ vorkommt.« Er wiegte den Kopf. »Ich habe davon gehört, dass manche Mediziner dieses Mittel auch bei Asthma bronchiale einsetzen. Das würde erklären, warum Muriel diese Tabletten geschluckt hat.« Je näher sie Muriels Zimmer kamen, umso langsamer wurden Daniels Schritte.
Elena nickte. Doch sie wusste noch mehr.
»Rein zufällig war ich vor ein paar Tagen auf einem Elternabend