Ricarda Huch

Deutsche Geschichte


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die Na­tur und das Wan­dern, und sei­ner Künst­ler­schaft ver­dank­te er, dass er oft an aus­wär­ti­ge Klös­ter be­ru­fen wur­de, um Auf­trä­ge aus­zu­füh­ren. Von den schwä­bi­schen Ek­ke­har­den wa­ren meh­re­re dich­te­risch be­gabt. Ek­ke­hard I. war der Dich­ter des Wal­tha­ri­lie­des, dem die la­tei­ni­sche Spra­che lei­der den Stem­pel des Aka­de­mi­schen auf­ge­drückt hat, des­sen Se­quen­zen und Hym­nen den Got­tes­dienst zu ver­schö­nen be­stimmt wa­ren. Die über­lie­fer­ten An­fangs­wor­te: O mar­tyr ae­ter­ni pa­tris und A­do­re­mus glo­rio­sis­si­mum las­sen uns die fei­er­li­che Pracht die­ser Ge­sän­ge ah­nen. Ek­ke­hard IV., der die Ge­schich­te sei­nes Klos­ters wie einen bunt­be­bil­der­ten Tep­pich vor uns aus­ge­brei­tet hat, dür­fen wir als den ers­ten No­vel­len­dich­ter un­se­rer Li­te­ra­tur be­trach­ten, einen kun­di­gen Men­schen­dar­stel­ler, einen nach­denk­li­chen, lieb­rei­chen und hu­mor­vol­len Zuschau­er des Le­bens. Ek­ke­hard II. un­ter­schied der Beiname Pala­ti­nus, der Hö­fi­sche; er war aus­ge­zeich­net durch Schön­heit, vor­neh­me Hal­tung und die Über­le­gen­heit, die das Be­wusst­sein ge­fäl­li­ger Er­schei­nung, Klug­heit und küh­le Ge­müts­art ver­lei­hen. Er muss­te der Her­zo­gin Had­wig von Schwa­ben den Vir­gil er­klä­ren und es scheint, dass sie mehr Zu­nei­gung für ihn hat­te, als er er­wi­der­te. Er be­saß eine be­son­de­re Kunst­fer­tig­keit im Aus­ma­len von Hand­schrif­ten.

      Leuch­ten des Klos­ters Rei­chenau und der da­ma­li­gen Welt wa­ren Wal­afried Stra­bo, von dem lieb­li­che ly­ri­sche Ge­dich­te er­hal­ten sind, und Her­man­nus Kon­trak­tus, der von Kind­heit an ge­lähm­te Sohn ei­nes Gra­fen von Ve­rin­gen. Ob­wohl er nicht ge­hen, nur müh­sam spre­chen und kaum die Hand zum Schrei­ben be­we­gen konn­te, sein Le­ben ge­krümmt im Stuh­le sit­zend zu­brach­te, wur­de er Abt des Klos­ters, war er be­rühmt als Mu­si­ker, Theo­lo­ge, His­to­ri­ker.

      Als Ent­gelt da­für, dass im Klos­ter eine Grup­pe von Men­schen den ewi­gen Op­fer­rauch des Ge­be­tes zum Him­mel auf­stei­gen ließ und die Ge­bo­te des Herrn der Lie­be stell­ver­tre­tend für das gan­ze Volk auf sich nahm, wid­me­te man den Mön­chen au­ßer­or­dent­li­che Ver­eh­rung. Als ein­mal Kai­ser Kon­rad II. zu In­gel­heim Os­tern fei­er­te, lei­te­te Ek­ke­hard IV., da­mals Vor­ste­her der Schu­le zu Mainz, den Got­tes­dienst und hat­te schon die Hand zur Vor­füh­rung der Se­quenz er­ho­ben, als die Bi­schö­fe, die ne­ben dem Kai­ser sa­ßen, die­sen um Er­laub­nis ba­ten, ih­ren ehe­ma­li­gen Leh­rer bei dem, worin er selbst sie un­ter­wie­sen habe, zu un­ter­stüt­zen. Da der Kai­ser Ge­wäh­rung nick­te, voll­führ­ten sie mit Ek­ke­hard, der Trä­nen der Freu­de wein­te, die hei­li­ge Hand­lung. In­des­sen nicht nur dass die Ehr­furcht vor dem Leh­rer die Schü­ler bis in die höchs­ten Wür­den be­glei­te­te, das gan­ze Volk brach­te den Mön­chen Ver­eh­rung ent­ge­gen, und die Ver­eh­rung äu­ßer­te sich in Schen­kun­gen, die die Klös­ter reich mach­ten. Sie wur­den da­durch in­stand ge­setzt, Geld­ge­schäf­te zu trei­ben, und wenn das auch schäd­li­che Fol­gen hat­te, in­dem es die­je­ni­gen, wel­che der Welt ab­ge­sagt hat­ten, in sehr welt­li­che In­ter­es­sen ver­strick­te, so voll­zog doch das Klos­ter als eine Art Bank eine Funk­ti­on, die in dem re­ger sich ent­fal­ten­den kul­tu­rel­len Le­ben nicht feh­len durf­te.

      Nie wie­der hat es eine Ein­rich­tung ge­ge­ben, die wie das Klos­ter der ka­ro­lin­gi­schen und ot­to­ni­schen Zeit so vie­len nütz­li­chen Zwe­cken und großen Ide­en diente. Von ih­nen, wenn auch nicht nur von ih­nen, ging die Kul­ti­vie­rung des Bo­dens aus, sie lich­te­ten Wäl­der, be­stell­ten Äcker, bau­ten Re­ben, ga­ben ein Vor­bild um­sich­ti­ger Wirt­schaft; sie be­schäf­tig­ten Hand­wer­ker und Künst­ler, pfleg­ten die Mu­sik, för­der­ten die Wis­sen­schaft, un­ter­rich­te­ten die Kin­der, wa­ren Schu­le, Aka­de­mie, Uni­ver­si­tät. Nach­dem die staat­li­che Ar­men­pfle­ge, die Karl der Gro­ße or­ga­ni­siert hat­te, in den Stür­men der Zeit un­ter­ge­gan­gen war, über­nah­men sie die Klös­ter. Täg­lich emp­fin­gen dort die Ar­men der Um­ge­gend Un­ter­stüt­zung an Nah­rung und Geld, Pil­ger wur­den auf­ge­nom­men und Kran­ke ver­pflegt, so wa­ren sie zu­gleich Ho­spi­ze und Ho­spi­tä­ler. Als Ver­sor­gungs­an­stal­ten nah­men sie die vie­len auf, die für den Kampf des Le­bens zu schwach wa­ren, die in­fol­ge ge­stör­ten Gleich­ge­wichts der Kräf­te, in­fol­ge ir­gend­wel­cher kör­per­li­cher oder geis­ti­ger Ge­bre­chen drau­ßen im rück­sichts­lo­sen Wett­kampf der Ar­beit und des Ehr­gei­zes schei­tern muss­ten, alle die un­schein­ba­ren, all­zu zar­ten Pflan­zen, die von acht­lo­sen Fü­ßen zer­tre­ten wer­den, aber un­ter ver­ständ­nis­vol­ler Pfle­ge er­blü­hen und Früch­te tra­gen kön­nen. Sie wa­ren Ge­fäng­nis­se, wo der Schuld­be­la­de­ne ver­hin­dert wur­de zu scha­den, wo er aber nicht aus der Ge­sell­schaft der Gu­ten und Ge­sun­den aus­ge­sto­ßen war, wo er Stra­fe er­litt, aber auch Zu­spruch, Läu­te­rung und Er­he­bung fin­den konn­te. Der edle Bi­schof Otto von Bam­berg sag­te ein­mal, als je­mand mein­te, es gebe schon zu viel Klös­ter, er sol­le nicht neue grün­den: die Welt sei für den Men­schen die Frem­de, dar­um müs­se es Her­ber­gen ge­ben, und sol­che Her­ber­gen sei­en die Klös­ter. Sie sei­en nicht für die­je­ni­gen da, die sich auf Er­den hei­misch fühl­ten, son­dern für die Frem­den. Den Fremd­lin­gen auf Er­den öff­ne­te sich die gast­li­che Pfor­te als ein Vor­hof der ewi­gen Ruhe.

      Die al­ten Klös­ter mit ih­ren Kir­chen und Kreuz­gän­gen sind im Lauf der Jahr­hun­der­te ent­we­der ganz zer­stört oder um­ge­baut wor­den. Die Ab­tei Prüm in der Ei­fel, die Karl Mar­tells Schwes­ter Ber­tra­da zu An­fang des 8. Jahr­hun­derts stif­te­te, stammt in ih­rer jet­zi­gen Ge­stalt aus dem 18. Jahr­hun­dert, Ful­da ist vom Ba­rock be­herrscht, Sankt Gal­len vom Ro­ko­ko, eben­so fast alle bay­ri­schen und ös­ter­rei­chi­schen Klös­ter, im säch­si­schen Kor­vey, wo der Mönch Wi­du­kind die Ge­schich­ten sei­nes Vol­kes schrieb, muss man die ro­ma­ni­schen Über­bleib­sel des al­ten Baus auf­su­chen. Aber wenn man die In­sel Rei­chenau be­tritt, dann wird man in die Zeit der Erst­lin­ge des Glau­bens ent­rückt. Hier ist al­les fest um­grenzt, al­les schlicht ge­formt, al­les Sym­bol und Ge­heim­nis. Die Häu­ser sind klein, selbst die Kir­chen nied­rig, und den­noch, mit ih­ren di­cken Mau­ern, ih­ren fla­chen De­cken und kur­z­en Säu­len er­schei­nen sie ge­wal­tig und hau­chen über­ir­di­sche Schau­er aus. Die Göt­ter­ge­stalt Chris­ti, die wir von den halb­zer­stör­ten Wand­ge­mäl­den ab­le­sen, wie sie Kran­ke heilt und Tote er­weckt, steigt aus bo­den­lo­sen Ab­grün­den her­vor, Füh­rer durch Blut und Trä­nen in ein Reich jen­seits der Ster­ne. Er­drückend wäre die Hei­lig­keit die­ser Räu­me, wenn sie nicht Na­tur hold um­gä­be: um die Ge­mäu­er singt die Wel­le, flüs­tert das Schilf, blüht und rauscht die Lin­de. Der Gott, der hier an­ge­be­tet wird, liebt die Na­tur, sie ist sei­ne Toch­ter und at­met dicht an sei­nem Her­zen. An den Spa­lie­ren rei­fen Äp­fel und Bir­nen, Pfir­si­che und Trau­ben, nicht nur durch die Gü­ter, die Schif­fe ihr von weit­her zu­füh­ren, ist die­se Aue reich, son­dern durch das, was sie selbst her­vor­bringt. Hier sind alle Men­schen, die ho­hen und die nie­de­ren, die Her­ren und die Bett­ler, Kin­der der Erde, ein Volk von Bau­ern, ge­nüg­sam in sei­nen An­for­de­run­gen an das Ir­di­sche, maß­los in sei­nen Ah­nun­gen des Ewi­gen. Ihre Hei­mat ist eine In­sel, ums­aust von Stür­men, um­bran­det von Wel­len, aber hoch oben rol­len die Ster­ne aus der Hand des Herrn als ein Band, das die Erde und ihre klei­ne Hei­mat mit dem Him­mel ver­bin­det – A­do­re­mus