Nataly von Eschstruth

Ungleich - Band II


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      Nataly von Eschstruth

      Ungleich

      Band II

      Roman

      Mit Illustrationen von Hd. Wald

      Saga

      Ungleich – Band II

      © 1894 Nataly von Eschstruth

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711448199

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      XX.

      Graf Cyprian hatte die Ankunft seiner Equipage nicht abgewartet; in den eleganten Pelz gewickelt, stürmte er zu Fuss durch die frisch verschneiten Strassen seiner Wohnung entgegen.

      Monsieur Moulin mochte seinen Gebieter nicht vor Mitternacht erwartet haben, er war abwesend, und der Rittmeister trat in sein Rauchzimmer, das nur durch das Flackerlicht der gegenüber brennenden Strassenlaterne erleuchtet war.

      Just dieses Zwielicht war ihm sympathisch. Er legte den Mantel auf den nächsten Sessel nieder und warf sich auf den Divan. Sein Kopf glühte, ein wunderliches, nie gekanntes Feuer brannte in all seinen Adern.

      Er drückte das Gesicht wie ein verliebter Gymnasiast in die Polster und lachte konvulsivisch auf: „Juvivallera! Altes, verrücktes Haus, was hast du getan!!“ — —

      Im Ofen sauste der Wind, Eiskörner prasselten gegen die Scheiben, aber vor den weit offenen Augen des jung gewordenen Träumers gaukelten wonnesame Bilder von Maienlust und Liebe.

      Ein Kuss! —

      Cyprian hat doch schon so viel, so unzählig oft im Leben geküsst und es dennoch heute erst empfunden, welch ein himmelweiter Unterschied doch in solchen Küssen liegen kann! — Ja, so viel, als der Himmel höher ist als die Erde!! —

      Wie ist es möglich, das Weiberlippen so ungleich sind! — Er lernte sie kennen im zärtlich ernsten, weihevollen Kuss der Mutter, in der kühlen, stets gemessenen Zuneigung seiner Gemahlin, in dem glühenden, sinnlich wilden und verzehrenden Begehren der Leidenschaft all jener küssenden Truggestalten, welche sein Leben durchkreuzten wie Irrlichtflammen! — Ungleich — wie ungleich! Nun sind sie alle vergessen um jener weichen, unschuldsvollen Lieblichkeit eines Mädchenmundes willen, welcher so keusch und rein vor dem seinen zurückschrak, welchen stolz blitzende Augen hüten, wie ein weihevolles Heiligtum! Und doch, wie warm, wie lebensfrisch und innig küssten sich diese Lippen!

      Wie ein Gefühl frommer Andacht hat es das Herz des übermütigen Mannes durchzittert, es ist ihm zumute, als sei er plötzlich aus schwülem, staubigem Strassenlärm in eine Kirche getreten, auf deren Altar die makellosen Lilien der Unschuld glänzen! — Ihm ist so wunderlich, so unerklärlich! Er hat einen Blick in das Zauberland des Glückes getan, nun zieht es ihn mit unlöslichen Banden zu ihm hin.

      Eine unbeschreibliche Sehnsucht glüht ihm im Herzen. Eine Sehnsucht nach den Paradieseswonnen reiner, schuldloser Liebe.

      Ist er noch berechtigt, eine solche von dem Schicksal zu fordern? Kann und darf er, der Mann, welcher an der Sonnenwende des Lebens steht, noch die Arme nach dem jungen Frühling ausstrecken, seine ersten Rosen in den Johannistrieb des alternden Herzens zu flechten? —

      Ungleich! — Mignon, das erblühende Knöspchen, er der Baum im Herbstesschmuck, durch dessen Gezweig schon so mancher Sturm gesaust — ungleich! — sie sind viel zu ungleich! — und dennoch .... heisst es nicht: „Ungleich aber kann mit Ungleich nur in Liebe sich verbinden?“ —

      Ja, auch die schroffsten Gegensätze können sich harmonisch verbinden, wenn die Zauberin Liebe ihre goldene Brücke über den Abgrund schlägt!

      Liebt ihn Mignon? — Ja, er glaubt es, er will es glauben, und liebt sie ihn noch nicht, nun, so wird sie ihn lieben lernen!

      Es hat ihm noch kein Weiberherz widerstanden, und die rote Rose auf Mignons Schreibtisch redet eine gar deutliche Sprache!

      Der Rittmeister erhebt sich und tastet nach dem Licht, es zu entzünden.

      Ein kurzer Fingerdruck und die elektrischen Lampen blitzen auf.

      Noch einmal presst Juvivallera die Hände gegen die hämmernden Schläfen.

      Soll er? — soll er wahrlich? ..... Er muss es! Er hat mit dem Feuer gespielt, nun hat es ihn gepackt mit lodernder Glut. Er hat in übermütigem Scherz geküsst, aber der Kuss ist heiliger, glückseliger Ernst für ihn geworden.

      Cyprian setzt sich nieder und schreibt in stürmischer Hast einen Brief an Mignons Eltern, in welchem er um die Hand der Tochter anhält. —

      Sie werden ein ungleiches Paar abgeben. Frau Fama wird die Lärmtrompete an die Lippen setzen und die Klatschbasen werden die Hände ringen: Der Unterschied ist zu gross. Die beiden stehen einander so fern wie Himmel und Erde!

      Der Rittmeister lehnt lächelnd das Haupt zurück: „Torheit! Habt ihr den leuchtenden Regenbogen vergessen, der selbst Himmel und Erde verbindet? Liebe, heisst er, Liebe!“

      Welch eine fieberische, qualvolle Aufregung! Warum lässt man ihn so unbeschreiblich lange auf Antwort warten?

      Wie der Löwe im Käfig durchmisst der Graf ruhelos seine Gemächer.

      Jeder Laut auf dem Flur, jeder Ton der Klingel regt ihn auf, kein Tag in seinem Leben deuchte ihm noch so lang wie dieser.

      Endlich, endlich! Schon spät am Abend tritt Monsieur Moulin mit einem Brief in das Zimmer. Seine schwarzen Augen bohren sich mit lauerndem Blick in das erhitzte Antlitz des Gebieters. Dass dieser Brief wichtige Nachricht bringt, ahnt er; da er aber nicht aus dem Sophienhof kommt, hält er die Angelegenheit für belanglos. Er entfernt sich langsam, und sein Schritt verklingt allsogleich hinter der Tür.

      Auf Cyprians Stirn perlen Schweisstropfen, als er den eleganten Briefumschlag erbricht. Er hätte es selber nie für möglich gehalten, dass er jemals eine derartige Aufregung empfinden könne.

      Er liest. Zuerst flimmerts vor seinen Augen. Plötzlich sieht er klar und scharf, sieht das Unfassliche, Unmögliche, Ungeahnte — er, Graf Cyprian Lankwitz, hat einen Korb erhalten. Langsam, mechanisch lässt er sich in den Sessel niedersinken und starrt auf die graziösen, verschnörkelten Schriftzüge, mit denen ihm Florence ganz trostlos und alteriert mitteilt, dass bei ihrem albernen, eigensinnigen kleinen Gänschen leider Gottes kein zusagendes „Ja“ zu holen sei; weder Vorstellungen, noch Bitten und Auseinandersetzungen hätten sie von ihrem starren Entschluss abbringen können.

      Ein Grund für Mignons Weigerung war nicht angegeben, nur am Schluss bemerkte die Baronin, dass es doch auch für ihn, den Grafen, sehr zu überlegen sei, eine derart ungleiche Wahl zu treffen, da doch ein altes Sprichwort mit Recht sage: „Gleiches Gut, gleiches Blut, und gleiche Jahre gibt die besten Ehepaare.“

      Cyprian hat sekundenlang die Empfindung gehabt, wie ein Mann, dessen Lebensschifflein am Felsen zersplittert. Ihm ists, als schlügen die Wogen vernichtend über ihm zusammen. Aber nur einen kurzen Augenblick, dann springt er empor und wirft tief atmend das Haupt in den Nacken zurück. Nun ist ihm Mignon noch tausendmal lieber wie zuvor, und wenn er sich zuvor nur in zärtlicher Aufwallung ihren Besitz wünschte, jetzt verlangt er ihn mit der ungestümen, leidenschaftlichen Erregung seines ganzen Herzens!

      Beginnt das Haar auf seinem Haupt wahrlich schon zu ergrauen? Dann ists Lug und Trug! Durch seine Adern glüht das Feuerblut kraftvollster Mannheit, in seinen Augen blitzt die siegesfrohe Kampflust unentmutigter Jugend!

      Ein