an ihre magere Brust und schaute düster sinnend ins Licht der Lampe. Zwischen dem fremden Mann und Elasser entstand ein Wortwechsel, und murmelnde Laute drangen zu Arnolds Ohr; aber der Fremde reichte bald darauf der Frau die Hand und wollte sich auch von Elasser verabschieden, dieser schickte sich jedoch an, den Sast zu begleiten. Die Haustüre kreischte, und die zwei Männer traten auf die Schwelle. Beide machten eine Gebärde des Schreckens, als sie an der Mauer, wunderlich dunkel inmitten eines vom Mond gebildeten Lichtdreiecks, einen Menschen stehen sahen. Arnold ging auf die beiden zu und fragte sogleich: „Was ist also geschehen? Kommt Jutta zurück?“
Sin langes Schweigen entstand. Elasser blickte Arnold verwundert und immer mehr verwundert ins Gesicht. Endlich sagte er zu seinem Begleiter, dessen Züge die Gewohnheit des Wohlwollens und der Milde verrieten: „Das ist der Herr von Ansorge, der ’s so gut meint mit uns.“
Der Alte liess sein Köpfchen hin und her pendeln, das trotz seiner Kleinheit den Schultern eine zu schwere Last war.
„Wie steht es also?“ fragte Arnold ungeduldig.
„Es steht schlecht“, sagte Elasser. „Keine Hand bewegt sich. Es werden Erhebungen angestellt, heissts, und mich haben sie herumgehesst wie einen Hund, und ich soll warten. Nun, ich wart’, wir warten lang genug, is es gefällig? In vier Wochen wird Jutta vierzehn Jahr alt, und dann ist keine Hoffnung mehr.“
„Es ist in der Schrift geschrieben,“ mahnte der Fremde, „man soll das Unrecht sich ergiessen lassen ganz.“
„Eine schöne Schrift!“ rief Arnold empört. „Wartet ihr darauf, bis man euch den Kopf abschlägt?“
Elasser machte eine weitausholende Bewegung mit den Armen. „Herr,“ antwortete er, „Sie kommen mir wahrlich vor wie jener Jud, der nicht hat lernen wollen Deutsch, weil er hat geglaubt, die ganze Welt ist jüdisch. Die Welt ist nicht jüdisch, gnädiger Herr. Das Recht ist für Sie und nicht für uns.“
Langsam waren die drei gegen das Flussufer gegangen. Arnold stiess mit dem Fuss einen Stein ins Wasser, und heftig bewegt sagte er: „Aber wie könnt ihr ruhig dastehen, Leute, und schwätzen, immer schwätzen! Es ist ja die niederträchtigste Teufelei, wenn ihr euch nicht rührt um eure Sachen. Mein Recht ist euer Recht, und euer Recht ist Kaisers Recht. Da ist nicht daran zu tifteln. Die Gerechtigkeit ist für alle.“
„Der Herr ist in einem grossen Irrtum“, erwiderte Elasser finster. „Das Recht ist da; auch die Richter sind da; gleichfalls die Bücher, worein alles steht geschrieben. Aber die Gerechtigkeit? Die ist nicht da.“
Verächtlich spuckte Arnold auf die Erde und entgegnete mit äusserster Feindseligkeit: „Lügner und Faulenzer seid ihr.“
Der fremde alte Mann stand mit gesenktem Kopf. Die Weltanschauung der Geduld, die ihm Herz und Hirn geformt hatte, geriet plötzlich in einen geheimnisvollen Aufruhr. In seinen langen Lebensjahren hatte er genug gesehen an Vergewaltigung des Rechts, an blutigen Wunden, die die Unschuld trug, an tyrannischem Übereinkommen der Mächtigen, um in einem eingebildeten Rächer den letzten Trost zu finden. Nun ging ein Blitz über ihm nieder und zündete in seiner Brust, deren Empfindungen schon versteinert schienen. Nicht Arnolds Worte hatten das vermocht. Was waren ihm Worte! Auch das Unglück des ihm blutsverwandten Elasser nicht, obwohl dies böswillige Hinziehen, dies tückische Verbergen, dieser eingestandene Raub, dies Schauspiel öffentlicher Schmach und Feigheit auch Gleichgültige erregt hatte. Das Neue kam von Arnold her. Berauschend strömte der wilde Idealismus auf ihn ein, befeuerte ihn, und er gedachte seiner eigenen unerfüllten Jugend. „Ja, Samuel,“ sagte er mit veränderter Stimme, „du musst deine Pflicht erfüllen. Wir wollen vor den Kaiser hintreten. Gern will ich das Geld, was du brauchst, hergeben, denn es ist zum guten Zweck. Es ist uns schon gesagt worden, dass wir können eine Audienz bekommen, und Seine Majestät wird uns anhören.“
„Er wird richten“, sagte Arnold befriedigt.
„Ich will nicht sagen, er wird,“ antwortete der Alte mit feinem Lächeln, „aber es kann sein. Reisen wir also nach Wien, Samuel.“
Elasser starrte bewegt vor sich hin. Während die beiden Alten sich noch beredeten, kniete Arnold am Flussufer nieder, nahm die Mütze ab, legte die Binde beiseite, die seinen Hals umschloss, stülpte die Ärmel bis an die Ellenbogen auf und wusch sich das Gesicht mit dem eiskalten Wasser. Darauf wurde ihm wohl und kühl.
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