des Königs.“
Erik beginnt zu singen, Robert ebenfalls. Sie singen leise, damit die Lagerwachen sie nicht hören.
König Christian stand am hohen Mast,
in Rauch und Dampf.
Sein Schwert hämmerte so fest,
dass Helm und Hirn des Goten barst.
Da versanken alle feindlichen Achterdecks und Masten
in Rauch und Dampf.
„Fliehe“, schrien sie, „fliehe, wer fliehen kann!
Wer besteht gegen Dänemarks Christian,
wer besteht gegen Dänemarks Christian
im Kampf?“
Axel geht hinter ihnen und lauscht ihrem Gesang. Zum ersten Mal seit Langem fühlt er so etwas wie Freude. Er spürt seine Verbundenheit mit diesen Männern.
„Herzlichen Glückwunsch, Eure Majestät“, murmelt er vor sich hin.
Vor vier Jahren feierte der König seinen siebzigsten Geburtstag. Einige Kollegen haben Axel von dem Einsatz erzählt, als der König durch die Stadt fuhr und sie die Menschenmenge am Straßenrand im Auge behalten mussten. Tausende waren gekommen, um ihren König zu feiern. Es war ein Protest der Dänen gegen die Besatzung durch die Deutschen. Sie huldigten dem König, um zu zeigen, dass er immer noch ihr Staatsoberhaupt war.
Überall wehte der Dannebrog, die dänische Nationalflagge. Von Balkonen, Laternenmasten, in den Händen am Straßenrand, an denen die offene Kutsche vorbeikam. Alle wollten einen Blick auf den König erhaschen. Kopenhagen war ein Meer aus Blumen, Freude und Hurrarufen. Am Tag danach war die Stadt wieder in den Händen der Deutschen.
Zurück in der Baracke verbreiten sich die Gerüchte wie ein Lauffeuer. Einige behaupten, dass die Polizisten das Lager verlassen sollen. „Wir dürfen nach Hause“, meinen sie gehört zu haben. In vielen Augen flackert Hoffnung auf. „Es ist der Geburtstag des Königs, deshalb schicken sie uns nach Hause“, vermuten sie.
Axel verkneift sich eine Träne. Es klingt unwahrscheinlich, doch er will es gerne glauben. Er muss es glauben. Darf er wirklich nach Hause zu Kamma?
Umringt von SS-Soldaten werden die dänischen Polizisten zurück durch das Lager geführt, zurück auf den Weg, auf dem sie vor fünf Tagen gekommen sind. Am Gleis warten Viehwaggons auf sie, weshalb niemand zu glauben wagt, dass Dänemark Ziel des Zuges ist.
Wieder werden sie in die Waggons gepfercht, eng zusammengepresst, wieder werden die Türen zugeworfen und verriegelt. Der Zug setzt sich in Bewegung. Sie fahren nach Norden, und in dieser Richtung liegen keine anderen großen Konzentrationslager. Alle jubeln, bis sie kaum noch eine Stimme haben. Axel stellt sich den Anblick des Zuges von außen vor, die dänischen Freudenrufe, die wie der Rauch aus dem Schornstein der Lok durch Norddeutschland ziehen.
Plötzlich kann Axel durch einen Spalt hindurch die Sonne sehen. Sie ist auf der falschen Seite. Sie fahren nicht mehr nach Norden. Jetzt fahren sie nach Süden.
Ihr Ziel ist Buchenwald. Das Gerücht läuft von Mund zu Ohr durch die gesamte Reihe aus Waggons. Sie werden tiefer ins Herz Deutschlands verfrachtet, ein ganzes Stück weiter weg von Dänemark. Nach zwei Tagen und zwei Nächten in dem Waggon, dessen Dach undicht ist, kommen sie an. Axel schämt sich dafür, dass er gehofft hat, sie könnten nach Hause. Dummer kleiner Axel. Naiv wie ein Kind hat er daran geglaubt, aber nur für kurze Zeit. Bei der Ankunft in Buchenwald muss er wie die anderen einsehen, dass er nicht nach Hause kommen wird, bevor der Krieg zu Ende ist. Falls er dann nicht tot ist.
Auch diesmal hat er es geschafft, sich einen Platz an der Seitenwand zu erkämpfen und ist verwundert über die Schönheit, die er durch die Spalten erkennen kann. Eine von Wald bedeckte Landschaft, sanfte Hügel, ein Meer nackter Zweige, die im Wind wiegen. Überrascht spürt er, wie sich ein positives Gefühl einstellt, und er denkt an Kamma. Er hätte nie geglaubt, hier etwas zu erleben, das ihm Freude bereitet. Doch das Gefühl währt nur kurz, wie alles andere hier. Das einzige Dauerhafte ist die Angst.
Das Lager ist in desolatem Zustand. Alliierte Bomber haben große Teile in Ruinen verwandelt. Spindeldürre Männer in halb verwester Gefangenenkleidung stolpern zwischen Trümmern und Bergen aus undefinierbarem Zeugs und Unrat herum. Schieben etwas von hier nach da, etwas anderes hin und wieder zurück. Axel kann in ihrem Tun kein System entdecken, das einzige, woran er denken kann, ist, ob er bald so aussieht wie sie.
Die dänischen Polizisten sollen duschen und mit Gebrüll und Gesten wird ihnen befohlen ihre Sachen auszuziehen. Durch eine Tür werden sie in einen Raum mit Duschen an der Decke bugsiert und erneut breitet sich Unruhe aus. Ein zischender Laut über ihren Köpfen lässt Axel zusammenzucken. Er hält sich die Nase zu, fürchtet, dass ein tödliches Gas gleich seine Lungen platzen oder schrumpfen lassen wird, oder was Gas einem Körper alles antut. Er soll sterben. Das weiß er.
Dann erscheint Kamma. Als stehe sie leibhaftig vor ihm. Sie ist noch nicht niedergekommen. Der Bauch ist immer noch rund und weich. Sie lächelt und ihr Lächeln breitet sich warm in seinem Körper aus.
Ein kräftiger, kühler Strahl trifft seinen Kopf, von wo das Wasser über seinen Körper rinnt. Er öffnet die Augen. Es ist dreckig, aber es ist kein Gas. Fast lässt er es zu, die Dusche zu genießen.
Am Ausgang steht ein junger Soldat. Er hält einen Pinsel in der Hand. Axel macht es wie der Gefangene vor ihm, breitet die Arme zur Seite aus, als solle er gekreuzigt werden. Der Soldat schmiert eine breiige Flüssigkeit unter Axels Achseln und auf dessen Schamhaar. Das Gift gegen die Läuse brennt auf der Haut.
Auch hier sind die Baracken eng. Sie sind zu viele Menschen auf zu wenig Raum, gute Bedingungen für Läuse, sogar für die faulen. Hier sind jede Menge Körper. Und Tag für Tag werden sie dünner. Die Essensrationen sind nicht genug, um einen erwachsenen Mann auf den Beinen zu halten.
Die erste Woche sind alle dänischen Polizisten in Quarantäne. Sie dürfen sich nur in oder unmittelbar vor der Baracke aufhalten. Sie haben nichts zu tun. Irgendwann bemerkt Axel sein Spiegelbild in einer Fensterscheibe der Baracke. Der Schrecken fährt ihm in alle Glieder, er hat sich verändert, ist bleich und hohlwangig. Er tut sich leid. Aber dann sieht er hinüber zum Lager der Juden, das hinter der Holzbaracke der Dänen liegt. Sie leben in einem Zeltlager inmitten eines Pfuhls aus Schlamm. Sie haben keine Kojen, schlafen auf der nackten Erde, ohne Decken oder etwas anderes, womit sie sich gegen die Kälte schützen könnten. Er hat kein Recht sich zu beklagen, wenn er sieht, unter welchen Bedingungen die Juden leben. Oder vielmehr sterben. Die Leichen sind zu einem Haufen aufgeschichtet, weggeworfen wie Abfall. Im Laufe des Tages wächst der Haufen weiter an, bevor die Leichen auf einem Holzkarren ins Krematorium gebracht werden.
Als im Oktober die Rot-Kreuz-Pakete eintreffen, macht Axel das schlechte Gewissen zu schaffen. Die Pakete kommen mit Bussen aus Dänemark und enthalten reichlich Butter, Marmelade, Käse, Salami, Knäckebrot, Kekse und Dosenfleisch. Die Polizisten speisen wie Barone, ziehen sich ihre neuen Wintersachen über und rauchen Zigaretten aus der Heimat, während sie Karten spielen und auf der anderen Seite des Fensters der Haufen aus toten Juden immer höher wird.
Mit den Monaten wird Axels Mutlosigkeit größer. Nur der Inhalt der Pakete hält ihn am Leben. Die Hoffnung, wieder nach Hause zurückzukehren, schwindet und vergräbt sich wie ein harter Knoten tief in seinem Inneren. Mit jedem Tag, der vergeht, wird sie ein Stückchen kleiner, und bald ist nichts mehr von ihr übrig.
Manchmal sprechen Axel und Erik über ihre Frauen. Jedes Mal erscheinen sie ein bisschen liebevoller und schöner. Sie sprechen über Dänemark, obwohl das Land am anderen Ende der Welt zu liegen scheint und der Abstand immer größer wird. Sie sprechen über die Zukunft, als gäbe es sie.
Mitte Dezember werden sie in ein anderes Lager verlegt. Noch eine Fahrt im Viehwaggon, noch eine Demütigung der früher so stolzen Polizisten. Sie sind weniger geworden. Einige sind in Buchenwald gestorben, dem Lager mit dem schönen