Nataly von Eschstruth

Im Schellenhemd


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      Nataly von Eschstruth

      Im Schellenhemd

      Roman

      Mit Illustrationen von F. Schwormstädt.

      Saga

      Im Schellenhemd

      © 1896 Nataly von Eschstruth

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711487327

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

I.

      Meinen hochverehrten Schwiegereltern

      Herrn Oberstleutnant von Knobelsdorff-Brenkenhoff

      und

      Frau Ida von Knobelsdorff-Brenkenhoff

      geb. von Naso

      in herzlichfler Liebe zugeeignet

      von

      der Verfasserin.

      Vorwort.

      Es war vor Jahren. Der Novembersturm brauste um die Seehalde am Bodensee, und Meister Joseph Victor von Scheffel legte meine Erzählung „Wolfsburg“ aus der Hand und sprach: „Wissen Sie auch, Fräulein Nataly, dass Sie just für solche Schriften aus der guten alten Zeit eine ganz besondere Begabung haben? — Wie stehts mit einem neuen Stoff aus den Tagen der lieben Ahnherrn?“ — Der Stoff ist schon da, Meisterchen, aber ich habe keine Courage ihn zu bearbeiten!“ —

      „Erzählen Sie!“ — Das tat ich mehr wie gern, rückte behaglich an den Ofen und kündete dem Meister die Geschichte vom Irregang! — Er hörte voll lebhaften Interesses zu. „Und warum wagen Sie sich nicht an diese prächtige Sache heran?“ — „Weil es für ein junges Mädchen eine schwierige, fast unlösliche Aufgabe ist, einen historischen Stoff fehlerfrei zu behandeln.“ Der Meister schüttelte lächelnd das Haupt. „Ganz recht, und weil dies die Welt weiss, wird man auch nicht einen historischen Roman im vollsten Sinne des Worts von Ihnen verlangen; erzählen Sie den Leuten frisch und harmlos die Schicksale des Irregang, dann werden sie einem jeden wohlgefallen und man wird um des Kernes willen nicht zu strengen Massstab an die Schale legen. Skizzieren Sie den Roman und lesen Sie ihn mir beim nächsten Wiedersehen in Karlsruhe vor.“ — —

      Mit Feuereifer begab ich mich damals an die Arbeit, und als der Winterschnee zu schmelzen begann, lugten die ersten Kapitelköpfchen darunter hervor. In dem gastlichen Elternhause des Dichters Heinrich Vierordt zu Karlsruhe ward Joseph Victor von Scheffel der aufrichtige Freund des Irregang. Sowohl er, wie die geistig so hochbedeutende Mutter Vierordts, lebten sich mit mir völlig ein in jene Tage, wo noch das Schellenhemd die Brust des ehrlosen Mannes deckte, und Meister Scheffel reichte mir beide Hände und sprach: „Nun eine Bitte meine liebe Freundin: Der Irregang ist ein gar wackerer Gesell, der Ihren Namen einst in Ehren weit durch die Welt tragen wird, und darum dürfen Sie sich keine Mühe verdriessen lassen. Arbeiten Sie langsam an diesem Werk, wachsen Sie zusammen mit dem Irregang heran! Suchen Sie sich mehr und mehr in seine Zeit zu vertiefen, studieren, verbessern, feilen Sie, setzen Sie Ihre beste Kraft ein für den Irregang und er wird’s Ihnen Dank wissen; schaffen Sie in erster Linie einen guten Roman und die Welt wird es Ihnen gern verzeihen, wenn er als Zeitbild nicht völlig korrekt ist!“ —

      Jahre sind vergangen, und ich habe nach des Meisters Wort getan. Der Irregang hat inzwischen das „Schellenhemd“ über sein geächtet Haupt gestreift, und ist getrost hinausgezogen in die Welt, denn wenn auch die lieben Augen, welche einst so freundlich über ihm gewacht, sich für ewig geschlossen haben, so geleitete ihn doch: Meister Scheffels getreuster Segenswunsch! — —

      I.

      Irregang hais ich,

      mang land wais ich,

      min vatter Irrgang was genannt,

      er gab mir das erb in min Hand

      ob ich in einem Land verdürb

      daz ich im andern nimmer zeeren würb’.

      Liedersaal Nr C. XXVII.

      Huiho! wie der Sturm das Geäst peitscht! Huiho! wie die Wolken am Himmel jagen! Grau, — zerrissen, wüste Gespenster der Nacht. Die alten Götter sind lebendig geworden, haben die Felsen und Bergwände, dahinein sie das Donnerwort der Christenpriester ehemals gebannt, voll klirrenden Zorns zerbrochen, stürmen hervor aus Grab und Nacht und lassen ihre Stimme über das Land tönen, darinnen ihnen früher die Altäre mit blutigem Opfer geflammt! Die Erde zittert unter den Hufschlägen der Geisterrosse, der Buchwald ächzt unter dem Flug der Gewaltigen, und wo der entthronte Göttervater fluchend die Hand hebt, da prasseln rote Blitze durchs Gewölk. Aber sie zerschellen am goldschimmernden Kreuz, das hoch auf dem Kirchturm die Wacht hält, sie gleiten ab an den ehernen Glocken, welche den wilden Spuk der Nacht beschwören, und sie brechen ohnmächtig und verlöschend zusammen vor dem ewigen Lämplein, welches klein und still seine Flamme durch das Heiligtum des Königs aller Könige erstrahlen lässt. —

      Da fliehts in den Lüften angstzitternd zurück, ein Heulen, Sausen und Wimmern füllt die Nacht, und die Tränenströme der alten Götter stürzen zur Erde, Tränen der Scham und Reue, und wo sie hinfallen, wächst tausendfache Frucht im Land und wes Menschen Haupt sie treffen, dess Fuss trägt Glück und Segen unters Dach.

      Wes Menschen Haupt! Ja, eines jeden, der da geboren ist auf heimischer Scholle, eines jeden, der am eigenen Herd sitzt, dessen Hütte oder Schloss das Haupt des Vaters und Ahnherrn beschattet, dessen Fuss die Wege wandelt, welche die Altvordern für Kind und Kindeskind geebnet! Menschen sind sie mit Namen, Gut und Ehre, Menschen, für die Recht und Richter existieren, Menschen, welche mit erhobener Stirn sicher und geschützt unter guten Freunden und Nachbarn wandeln, — Menschen, welche voll Abscheu, Spott und grausamen Hohn’s jene unglücklichen Kinder der Freiheit verfolgen, die gleich vogelfreiem Wild durch die Lande gehetzt werden! —

      Irrfahrend Volk! — Zigeuner und Gaukler, Lumpengesindel voll Teufelei und höllischer Schwarzkunst, Ausgestossene und Verworfene, geächtete Kreaturen, deren Leben weniger wert, als das eines räudigen Hundes ist, — nein, solche Landstreicher sind keine Menschen! Mögen die Tränenfluten der alten Heidengötter noch so gewaltig auf sie niederstürzen, sie waschen den Fluch nicht fort, sie tilgen nimmer das Kainszeichen auf der Stirn, dieses unheilvolle Erbteil, das einzige, welches der sterbende Vater auf Folter und Rad dem Sohn in’s Elend mitgeben konnte! —

      Da gibts kein Glück und keinen Stern mehr, da gibts kein Dach, unter welches die flüchtige Sohle den Segen tragen könnte, da gibts nur ein rastlos ziehn und wandern, ein angstvoll hangen und bangen zwischen Volkesgunst und Volkeshass, ein demütigen, betteln, tollkühn wagen — wüster, erbitterter Kampf um’s Dasein, ein darben, überlisten und frohlocken über gelungene Gaunerei.

      Wer will irrfahrend Volk in seinen Mauern aufnehmen? Wer nimmt sich den Landstreicher zum Kuecht? wer duldet die schwarze Hexe, die Teufelin, die das Brod auf dem Tisch in Stein, den Wein in Wasser und das Gold in Unrat wandeln kann — unter seinen Mägden? Da ist nirgends eine bleibende Statt für den Zigeuner, wollte er auch, er kann nicht zum Menschen werden, er muss weiter, immer weiter durch Sturm und Sonnenschein, ein Vieh unter den Tieren des Feldes, stehlend, raubend, gewaltsam und listig nehmend, was ihm die harte Hand des Sesshaften versagt, just wie die Wildkatz im Forst, die zum Raubtier wurde, weil man sie im Dorf von der Schwelle jagte! Huh — huiho! — wie die Wipfel brausen und niederbrechen! — Huiho! wie schwarz die Nacht ist! nur wenn die Blitze sprühen, sieht man die Balken des Hochgerichts drüben auf dem Berge gegen den Himmel ragen. — Schauerlich, dunkel und öde