Christine Wunnicke

Die Kunst der Bestimmung


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weißen Kleid wie ein Baumwollstrauch aus Virginia.»

      So spräche der Mann aus Schweden zu Lucy im weißen Kleid. Bald vergäße er den Mylord und das Euer Ehren, und Lucy vergäße, dass er kein Spiel wusste für den Schweden, und der Schwede brächte nach und nach eine gute Ordnung in Lucy, und Lucy brächte nach und nach eine gute Unordnung in den Schweden, und dies ginge weiter und weiter, die ganze Nacht.

      Wie versteinert stand der Earl of Fearnall in der Throgmorton Street. Er fror. Sein Nacken schmerzte. Keinen einzigen Schritt wagte er in Richtung dieses Hauses. Er stand lange, eine Alabasterfigur mit menschlichem Haar, stumm und entsetzt und immer entsetzter, «die Pest ...», begann er, und noch einmal «die Pest ...», und irgendwann gab er es auf.

      Lucius rannte die Broad Street entlang bis zur Börse und bis nach Cornhill und bis zum Church Market. Er stolperte. Er hatte kein Licht. Bald waren seine Schuhe nass und dann auch die Strümpfe und der Kot der Straße bespritzte das Kleid des Winters. Lucius folgte der Cheapside, dann bog er nach links ab in die finsteren Gassen. Er lief weiter, den Hut unterm Arm. Seine Locken ringelten sich eng, dann lösten sie sich langsam auf. Das Öl, das sie festigte, mischte sich mit dem Nebel, es machte Flecken auf Lucius’ Schultern und auf seiner Stirn. Er erreichte Lambeth Hill und lief hinunter zu den Werften. «Die Pest soll dich holen!», schrie Lucius die Themse an. Es gab Piraten auf dem Fluss. Lucius wünschte sich sehr, einer möge kommen, ihn angreifen vielleicht oder besser, ihn mitnehmen, auf die Themse und bis zum Meer, und ihn dort in seine Obhut nehmen als Piratenschüler, mit neuem Namen und geschorenem Haar und einem künstlichen Gesicht aus Wachs, damit niemand auf den gekaperten Schiffen den Earl of Fearnall erkenne, der seinen Stand und seine Erziehung so schimpflich verleugnete.

      Kein Pirat kam zu Lucius Lawes. Auch sonst kam niemand. Allerlei Gestalten schlichen bei den Werften umher, aber sie behelligten das weiße Wesen nicht, denn es sah aus wie ein Schauspieler, den man von der Bühne gepfiffen hatte, oder wie das Gespenst eines Ertrunkenen.

      Lucius kehrte um. Er lief die Thames Street stadtauswärts und dann nach links in die Black Boy Alley. Er fand das Haus, das er suchte. Lucius begann zu schreien. Er schrie nach Mr. Digges, immer wieder, immer lauter. Irgendwann öffnete Mrs. Digges ein Fenster. Sie war fett und pockennarbig und nicht angetan von der späten Störung.

      «Schaffen Sie mir Ihren Mann her», brüllte Lucius. «Jetzt!»

      Mrs. Digges verschwand. Mr. Digges schlurfte zum Fenster.

      «Ja!», schrie Lucius.

      Mr. Digges erkannte ihn nicht.

      «Ich bin’s, Edward Pett», schrie Lucius, «kommen Sie herunter, ich brauche Sie, bringen Sie zwei Waffen mit, beim Himmel, ich bitte Sie, ich brauche Sie jetzt!»

      Mr. Digges stöhnte und verschwand. Dann kam er auf die Straße, in Hemd und Hose, in der Hand zwei Degen. Edward Pett sah eigenartig aus in seinem unzeitigen Karnevalskostüm, aber wenn er nach Mr. Digges verlangte, wollte ihm Mr. Digges den Gefallen tun. Denn Edward Pett zahlte gut für Mr. Digges’ Dienste.

      Unter den vielen Fechtmeistern der Stadt London war Mr. Digges derjenige, auf dessen Können man am meisten und auf dessen Leumund man am wenigsten gab. Er kämpfte auch mit Bären, wenn man ihm Geld dafür bot. Seine Haut war wie Baumrinde, seine Kunst mit dem Rapier unerreicht. Die Fechtlehrer des Adels drohten den Knaben mit Mr. Digges, wie man Kindern droht mit Waldgespenstern. Der junge Mann namens Pett, ein desertierter Matrose aus dem holländischen Krieg, war eines Tages bei Mr. Digges erschienen, um mit ihm die Klingen zu kreuzen. Dies sei ein Gelübde, sagte Pett. Edward Pett musste fechten mit dem schrecklichen Mr. Digges, weil er sein Land verraten und seine Familie verlassen und sonst noch allerlei Übles getan hatte, das ihm Geld einbrachte, welches er nun Mr. Digges gab wegen ebendieses Schwures. Mr. Digges kümmerten Mr. Petts Schwüre wenig, und woher er das Geld nahm, das er Mr. Digges gab, war Mr. Digges’ Sache nicht. Er warf einen kurzen Blick auf den Jüngling in Weiß, der nicht aussah wie jener Pett, den er kannte. Doch auch dies hatte Mr. Digges nicht zu kümmern. Er gab dem Kostümierten einen Degen, nahm eine Fackel und ging voran.

      Lucius bezahlte im Voraus. Er folgte Mr. Digges zur Ruine von St. Mary Magdalen. Dort hatte Mr. Digges seine Fechthalle eingerichtet und empfing seine Schüler, wenn er denn welche hatte. Außer dem verrückten Edward Pett kamen wenige, und Schüler mochte Mr. Digges diesen Gast nicht nennen, denn der Matrose, warum auch immer, führte das Rapier wie sonst keiner in London, außer, vielleicht, Mr. Digges. Es gab Licht in St. Mary Magdalen, Fackeln, offenes Feuer. Die Brandwachen ließen den Meister gewähren, denn einem Mr. Digges fuhr man nicht in die Parade.

      «Schnell», sagte Lucius.

      Mr. Digges zündete die Fackeln an. Eine Kirche ohne Dach, geborstene Fenster. Lucius legte Rock und Weste ab. Er machte einen Schritt vor und einen zurück, er stand nicht gut, er bückte sich und zog die Schuhe aus, dann öffnete er die Spangen und die Bänder an den Knien und zog auch die Strümpfe aus, und dann nahm er den Dolch des Schweden, schnitt eine der Litzen ab und band damit sein Haar zurück.

      «Schnell», wiederholte Lucius.

      Mr. Digges zog. Lucius zog. Sie verzichteten, wie stets, auf den Gruß. Und dann schlugen sie sich, Mr. Digges und Lucius Lawes, hart und wortlos, Viertelstunde um Viertelstunde, bis die Stunde voll war, und dann hinein in die zweite Stunde, das Geräusch der Klingen, das Geräusch der Schritte, Attacco pede fermo, Attacco per camminata, Mr. Digges’ Stiefel und Lucius’ bloße Füße auf dem kalten Steinboden der rußgeschwärzten einstmaligen Kirche St. Mary Magdalen.

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