Kordula Schnegg

Antike Geschlechterdebatten


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Inschriften, Gebrauchsgegenstände, Überreste von Wohnhäusern oder von ganzen Städten. Diese Zeugnisse sind jedoch im Vergleich etwa zum Mittelalter, dessen bauliche Spuren vielerorts in Europa noch Teil des Stadtbilds sind, oder zum 19. Jahrhundert, dessen Dokumente Bibliotheken und Archive füllen, für die Antike weit weniger zahlreich vorhanden. Bestimmte Aspekte, vor allem das soziale Leben betreffend, können daher historisch nur vage festgemacht bzw. allein mittels theoriegeleiteter Fragestellungen historisch reflektiert werden. Es gibt soziale Gruppen in der griechischen und römischen Antike, deren Lebensverhältnisse überwiegend aus einer Fremdperspektive vermittelt sind, weil von ihnen selbst kaum historisches Material überliefert ist. Zu diesen sozialen Gruppen zählen Sklav*innen, Freigelassene, Fremde, die fern ihrer Heimat ihr Dasein fristen, aber auch die ärmeren Bevölkerungsschichten – Menschen, die sich in ihrer rechtlichen und ökonomischen Position in der Gesellschaft zum Teil deutlich unterscheiden. Es sind vor allem die Berichte der Elite, auf die unsere Erkenntnisse über diese Personen zurückgehen.

      Quer durch alle Gesellschaftsschichten sind es jedoch die Frauen, deren Leben und Handeln nur punktuell überliefert sind. Es ist für die althistorische Forschung eine Herausforderung, Frauen als historische Personen sichtbar zu machen und individuelle Lebensführungen aufzuzeigen. Das gilt selbst für Frauen aus der Elite, jener sozialen Gruppe, auf die ein Großteil der materiellen Hinterlassenschaften zurückgeht. Ein genauer Blick auf diese Quellen zeigt nämlich, dass es vor allem die Aktionen und Handlungsräume der Männer sind, über die berichtet wird. Frauen finden dabei vor allem Berücksichtigung, wenn sie die männlich bestimmten Handlungsräume streifen. So wüsste die Forschung beispielsweise nur wenig über die Römerin Cornelia zu berichten, wäre sie nicht als Mutter der Gracchen, die in den 130ern und 120ern v. u. Z. Rom in eine politisch prekäre Situation brachten, in den antiken Quellen erinnert worden.1

      Für die Antike ist es also aufgrund der Quellenlage schwierig, individuelle Lebensführungen und konkrete Lebenssituationen von Frauen und Männern aus den unterschiedlichen sozialen Schichten zu rekonstruieren. Für eine geschlechterhistorische Analyse bietet sich daher an, die antike Überlieferung nach Wertvorstellungen, Vorschriften und Verhaltenscodices zu untersuchen. Damit lassen sich Geschlechtervorstellungen und Normen fassen, die als abstraktes Regelwerk vermittelt sind und vornehmlich von Vertretern der Elite stammen.

      Eine zentrale Quelle für den folgenden Einblick in antike Geschlechterdebatten bilden antike Texte in einer bestimmten Auswahl, die Erwartungshaltungen an Männer und Frauen vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Wertekanons der sozialen Elite thematisieren. Die in diesem Zusammenhang besprochenen Geschlechtervorstellungen sind Teile eines Diskurses über korrektes Verhalten und standesgemäßes Auftreten, das je nach Geschlecht normativ bestimmt ist. Die überaus spannende, aber für unseren Gegenstand kaum zu beantwortende Frage, wie die Normen individuell umgesetzt wurden, wird punktuell theoretisch reflektiert, um darauf aufmerksam zu machen, dass Ideal und Wirklichkeit sich nicht notwendigerweise entsprechen müssen. Denn Normen können in der Praxis gebeugt werden.

      Die hier präsentierten Textauszüge sind in altgriechischer oder lateinischer Sprache verfasst. Zentrale Begriffe und eine Auswahl an Zitaten führe ich in Originalsprache mit deutscher Übersetzung an, um einen Einblick in lateinische und altgriechische Texte zu bieten. Längere Zitate sind ausschließlich in deutscher Übersetzung angeführt, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen. Über die Zitation der antiken Texte können diese Stellen jedoch bei Interesse in entsprechenden Editionen aufgefunden werden.

      Die wissenschaftliche Zitation der antiken Texte erfolgt nach bestimmten Regeln. Demgemäß steht beim Zitat an erster Stelle das Kürzel für den Namen des*der Autor*in, an zweiter Stelle das Kürzel für das Werk. Dem folgen die Angaben zur Abschnittsgliederung, wie sie sich für die jeweiligen Werke etabliert haben (z.B. Buchnummer, Kapitel und Paragraph).

      Eine Auflösung der im Buch verwendeten Kürzel ist im Kapitel „Abkürzungen“ zu finden.

      1.4 Die geschlechterhistorische Perspektive

      Geschlechtergeschichte setzt sich mit den Lebensverhältnissen von Frauen und Männern in der Vergangenheit auseinander. Sie fragt danach, was es in einem konkreten historischen Raum bedeutete, eine Frau oder ein Mann zu sein; welche Aufgaben, Verpflichtungen Personen aufgrund ihres weiblichen oder männlichen Geschlechts übernehmen mussten und welche Möglichkeiten ihnen offen standen. Geschlechtergeschichte untersucht die vielfältigen Beziehungen zwischen Frauen und Männern. Sie sucht nach den Merkmalen, die zur Unterscheidung der Menschen in Männer und Frauen im jeweiligen historischen Raum definiert wurden. Dies bedeutet zugleich die Verabschiedung von der Vorstellung, dass Geschlechterdifferenzen ahistorisch bzw. universalhistorisch oder von der „Natur“ bestimmt seien. Vielmehr zeigt sich, dass Weiblichkeit und Männlichkeit vom kulturellen und gesellschaftlichen Kontext des historischen Raums geprägt sind. Des Weiteren befasst sich Geschlechtergeschichte mit den Bedeutungen, die aus den sozial und kulturell festgelegten Geschlechterdifferenzen gefolgert wurden. Geschlechtergeschichte erforscht die aus diesen Differenzen abgeleiteten Geschlechterordnungen, -hierarchien und Machtverhältnisse sowie Marginalisierungen und Ausschlüsse von Personen aufgrund ihres Geschlechtes. Sie setzt sich ebenso mit dem Zusammenwirken verschiedener sozialer Differenzierungsmerkmale auseinander wie Klasse (class), Ethnizität (race) und Geschlecht (gender). Denn nur auf diese Weise lässt sich die Positionierung einer Person im sozialen Raum hinreichend erfassen.

      Im antiken Rom zum Beispiel strukturierte sich das Verhältnis einer Frau zu einem Bürger stark nach sozialem Stand und Alter. Für die zwischenmenschliche Begegnung war es entscheidend, ob die Frau Sklavin oder Freigelassene war oder aus der Bürgerschicht kam. Für die Frau aus der Bürgerschicht bestimmten zudem die mit ihrem Alter verbundenen sozialen Erwartungen, die sich zentral auf die Ehe und das Muttersein bezogen, das Aufeinandertreffen mit einem Bürger.

      Die hier dargelegten geschlechterhistorischen Ausführungen beruhen zum einen auf der Definition von Geschlechtergeschichte nach Claudia Opitz-Belakhal und zum anderen auf der Definition von Geschlecht als analytischer Kategorie nach Joan W. Scott.

      Literaturhinweise

      Claudia Opitz-Belakhal, Geschlechtergeschichte (Historische Einführungen, Band 8), Frankfurt am Main 2010.

      Joan W. Scott, Gender: A Useful Category of Historical Analysis. In: American Historical Review 91 (1986), S. 1053–1075.

      2 Periktione: Über die Ordnung der Geschlechter im Haushalt

      Aus der Antike sind uns mehrere Schriften erhalten, die die „Verwaltung des Haushalts“ (im Altgriechischen: οἰκονομία/oikonomía) thematisieren. Im Detail wird darin erläutert, wie der Haushalt (οἶκος/oĩkos) idealerweise funktionieren sollte. Dazu werden die sozialen Verhältnisse, wie sie sich in einem Haushalt darstellen, erörtert, Verhaltensregeln und Tugenden sowohl für den Hausherrn als auch für seine Ehefrau besprochen. Unweigerlich finden auch Geschlechternormen Berücksichtigung, denn im oĩkos sind Handlungsmöglichkeiten und Verhaltensregeln geschlechtlich markiert. Es gibt Aufgaben, die der Mann zu verrichten hat, und solche, die ausschließlich für die Frau vorgesehen sind. Dass in diesen Schriften die Lebensverhältnisse der elitären Bürgerschicht diskutiert werden, scheint selbstverständlich zu sein und wird kaum explizit erläutert. Die thematisierten Geschlechternormen beziehen sich also auf die Elite. Darüber hinaus sind die Überlegungen zur korrekten Haushaltsführung überwiegend aus philosophischen Perspektiven dargelegt, die ethische Ideale festzulegen versuchen und das gebildete Lesepublikum dazu animieren, diesen Idealen zu folgen. Die Schriften über die Verwaltung des Haushalts sind also in mehrfacher Hinsicht als Elitediskurs greifbar, nämlich mit Bezug auf die besprochenen Lebensverhältnisse, mit Bezug auf die Autor*innen und schließlich auch auf das Lesepublikum.

      Der Begriff oı˜kos umfasst nicht nur das Haus und das dazu gehörige Land, sondern auch die Personen, die im Haushalt leben und tätig sind. Dazu zählen der Hausherr, seine Ehefrau, die legitimen Kinder, mitunter nahe Verwandte des Hausherrn (z.B. unmündige Geschwister) und Sklav*innen.

      Ein Großteil der uns erhaltenen Texte über die Haushaltsführung wurde von Männern verfasst. Dieser Sachverhalt