mich an das kanadische Englisch gewöhnt hatte, kam Dänisch mir ungeheuer eintönig vor. Die Polizisten aus den drei Ländern tauschten Höflichkeiten und harmlose kleine Polizeisticheleien aus. Englisch war einwandfrei nicht die Stärke der dänischen Polizisten, aber immerhin konnten sie meinen Reisebegleiter fragen, ob ich unterwegs etwas erzählt hätte. Der Kanadier schüttelte den Kopf und sah mich verlegen an. Er mußte gleich wieder zurückfliegen. Wir schüttelten einander die Hand und wünschten alles Gute.
Jetzt änderte sich meine Bewachung. Ein niederländischer Flughafenangestellter führte uns durch den Terminal, und die multinationale Polizeitruppe hatte mich mehr oder weniger eingekesselt. Sogar, als ich aufs Klo mußte, wurde mir ein Blindenhund mitgegeben. Wir blieben vor einem Buchladen stehen. Ich wußte aus Erfahrung, daß mir jetzt allerlei »Wartezimmer« bevorstanden, und da wollte ich Vorsorge treffen. Ich kaufte zwei Spionageromane, ehe es weiterging.
Nachdem ich eine Weile in einem scheußlichen Wartezimmer eingeschlossen worden war, wurde ich abgeholt. Jetzt waren saure Gesichter angesagt. Vor allem der stellvertretende Leiter der dänischen Mordkommission hatte miese Laune. »Deine Kumpels haben der Presse gesagt, daß du nach Hause kommst.«
»Bist du sicher, daß das keiner von euch war?« scherzte ich. Das sei auf keinen Fall möglich, wehrte er ab und verdrehte die Augen. So etwas tuen Polizisten doch nicht. Das war die größte Lüge, die ich an diesem Tag gehört hatte, aber für diesen Fall war es doch die Wahrheit. Wir hatten die Presse ganz bewußt über meine Rückkehr informiert, um der Polizei keine Möglichkeit zu bieten, sich mit ihrer angeblich tollen Ermittlungsarbeit zu brüsten.
Der andere Polizist zog einen Satz eiserne Pulswärmer hervor. »Jetzt müssen wir dir Handschellen verpassen. Draußen wartet schon die Pressemeute.« Ich zuckte mit den Schultern. Handschellen oder nicht, was interessierte mich das. Wenn die Bullerei der Presse zu Ehren Theater spielen wollte, dann konnte ich auch nichts daran ändern. Die Bevölkerung sollte ja um keinen Preis den Eindruck gewinnen, ich sei nicht gefährlich. Um der vierten Staatsmacht zu entgehen, wurde ich kurz vor dem Abflug durch die Hintertür hinausgeschmuggelt. Zwei Vertreter vom Ekstra Bladet und noch einige andere waren jedoch umsichtig genug gewesen, denselben Flug zu buchen. An den Polizisten gekettet ging ich an Bord. Auf den ersten Blick entdeckte niemand, daß wir zusammenhingen. Unsere Jacketts bedeckten unsere Handgelenke, und die anderen Fluggäste waren damit beschäftigt, ihr Gepäck zu verstauen. Für mich begann nun die letzte Etappe einer langen Odyssee.
Kaum war das Schild »Fasten Seatbelt« erloschen, als auch schon die ersten Fotografen auftauchten. Die Leute vor uns verrenkten sich die Hälse, um zu sehen, was denn in fünftausend Meter Höhe unbedingt fotografiert werden mußte. Oha, da saß Jönke mit dem bösen Blick! Zwei Presseleute versuchten ihr Glück bei dem außen sitzenden Polizisten. Ob sie nicht kurz mit mir, der innen saß, ein paar Worte wechseln dürften. Das wünschten aber weder die Polizei noch ich. Die Presseleute gaben auf und die Fotografen beendeten die Knipserei.
Die KLM servierte das Frühstück. Das wurde aber auch Zeit … ich war schon kurz vor dem Verhungern. Der stellvertretende Leiter der Mordkommission hatte Probleme mit dem Magen und erbrach sich in die Tüte. Ich übernahm sein Brötchen, und bald wurde auch sein Kollege luftkrank. Guten Morgen, sage ich da.
Unter mir: Seeland, Amager, Kastrup, Kopenhagen. Dänemark, zum Henker! Der Himmel war grau, aber von mir aus hätte auch ein Schneesturm wüten können. Ich saugte durch das kleine Bullauge des Flugzeugs jede Einzelheit in mich auf.
Vor dem Flughafengebäude stand ein kleines Heer aus Journalisten und Fernsehleuten. Ich hatte mich für »Kein Kommentar« entschieden, aber es tat doch gut zu sehen, daß man vermißt worden war. »Es ist jetzt 9.42 Uhr, Jönke. Sie sind verhaftet«, teilte mein Bewacher feierlich mit. Ja, ja, da hatte er wohl recht. Wieder wurden mir Handschellen verpaßt. »Sitzt meine Frisur richtig?« konnte ich noch fragen, ehe wir den Flieger als letzte verließen. Wir hatten nun noch drei Mann zur Begleitung erhalten, und draußen wimmelte es nur so von uniformierten Gerts und Helges. Kameras und Mikros wurden mir unter die Nase gehalten. »Ist es schön, wieder zu Hause zu sein?« Das war es – und jetzt mußte die Zeit zeigen, ob es der Mühe wert gewesen war. In wildem Tempo brausten wir nach Kopenhagen. Unterwegs wurde nicht ein Wort gewechselt. Ich hatte den Eindruck, daß meine Beliebtheit bei der Mordkommission im Sinken begriffen war.
Das Polizeigebäude hatte sich nicht verändert. Es war groß, grau und klobig. Wir fuhren auf den Hinterhof der Arrestabteilung und stiegen bald die unangenehmsten Treppen im ganzen Land hoch. Ich wurde registriert und in eine Wartezelle gesteckt. Die Zellen waren noch immer pißgelb und verdreckt. Unglaublich, daß man freiwillig hierhin zurückkehrte.
Die Tür öffnete sich. »Du mußt zum Untersuchungsrichter, Jönke.« Sehr komisch. Alle waren mit mir auf du und du. Dafür hatten natürlich meine Flucht und mein Buch gesorgt. Noch hatte ich mich nicht daran gewöhnt, ein Medienereignis zu sein.
Anwalt Anders Boelskifte von der Kanzlei Jørgen Jacobsen erwartete mich in einem kleinen Raum hinter dem Untersuchungsgericht. Uns blieben zehn Minuten für ein kurzes Gespräch. Ich wollte weder mit der Polizei noch mit dem Untersuchungsgericht reden. Der stellvertretende Chef der Mordkommission hatte die unvermeidliche Frage gestellt, ob ich nicht lieber gleich ein wenig plaudern wollte. Aber nie im Leben. Es wäre einfach restlos schwachsinnig gewesen, vor der Polizei irgendwelche Aussagen zu machen.
Das Untersuchungsgericht war vollbesetzt mit Publikum. Meine Brüder waren da, ihre Ol’ladies, meine frühere Ol’lady und meine alten Freunde von der Telefilm, Ib und Leif. Wunderschön, sie alle zu sehen, obwohl wir das Wiedersehen leider überhaupt nicht feiern konnten.
Kaum hatte der Richter sich von meiner Identität überzeugen lassen, da legte der Staatsanwalt los. Ein älterer Mann aus der Abteilung A, der nervös und enthusiastisch zugleich wirkte. So richtig gut vorbereitet war er dagegen nicht, was aber auch nicht nötig war; mich ins Gefängnis zu bringen war so leicht, wie sich am Hintern zu kratzen.
»Jørn Nielsen … genannt Jönke«, fing er an. Ich nickte unmerklich. Vieles von dem, was jetzt kommen würde, würde übertrieben sein oder direkt gelogen, aber das war total gleichgültig. Die Schlacht sollte ja nicht hier und jetzt ausgefochten werden. »Sie werden von der Polizei des Mordes an Henning Norbert Knudsen bezichtigt, ausgeführt am 25. Mai 1984 vor dessen Wohnung …«
Der Agerlandsvej lag wieder still vor mir. Der Lärm der Maschinenpistole war verhallt, und die Bewohner der Straße hatten sich noch nicht blicken lassen. Ich fuhr mit dem Fahrrad aus dem Pulverdampf heraus. Bisher war alles gut gegangen, und das gab mir die Kraft, mich besonders energisch auf die Pedale zu stellen. Ich mußte einfach machen, daß ich hier wegkam. Bald würde es in der Gegend von schwarzlackierten Straßenbengeln nur so wimmeln.
Ich konzentrierte mich auf den kleinen Wagen vor mir. Er fuhr in kleinen, wütenden Rucken auf den Englandsvej zu. In der Kutsche herrschte offenbar wilde Panik. Kein Wunder. Die Leute im Wagen hatten die Schießerei miterlebt, und Makreles Witwe hatte bei ihnen Zuflucht gesucht. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie schwer es ihnen fiel, in dieser Situation die Gangschaltung zu bedienen. Und dann kam ich auch noch auf meinem Rennrad angestrampelt.
Der Wagen bog um die Ecke, und ich kam hinterher. Ich mußte mich weiterhin beeilen und bald hatte ich sie eingeholt. Ich weiß nicht, ob die spätere Geschichte, ich hätte eine Maschinenpistole auf dem Fahrradlenker liegen gehabt, hier ihren Anfang genommen hat. Aber eins steht fest, das Entsetzen stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Wagen fuhr noch immer neben mir her, wir näherten uns dem Wasserturm. Der Fahrer war offenbar wie gelähmt. Wieder schaute ich in das Auto hinein. Diesmal hielt ich mich nicht zurück und deutete mit der Hand auf meine Jackentasche. Das brachte die Karre auf Trab, und sie verschwand in einer Seitenstraße. Sehr gut. Jetzt war die Hitze mein größtes Problem. In den zwei Stunden, in denen ich auf Makrele gewartet hatte, war es Sommer geworden. Und die Maske und meine wilde Mähne machten die Sache nicht besser …
Natürlich hatte ich oben beim Verteilerkreis Rot. Aber ein Verstoß gegen die Verkehrsregeln würde mein Urteil wohl kaum erhöhen. Ich hielt Ausschau nach Streifenwagen und gab dann alles, was meine Beine nur schaffen konnten. Ein einzelner Wagen war in der Nähe, aber das war auch alles. Zwei Tage