Hans Leip

Die Bergung


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      Hans Leip

      Die Bergung

      Eine Erzählung

      Saga

      Dem Andenken meiner Frau

      1

      Die Leistung

      Eine Frau sollte die Liebe eines Mannes nicht dahin ausnutzen, ihn von seinem innersten Berufe abzubringen. Je schwerer der Beruf ist und je wichtiger für die Allgemeinheit, desto tapferer muß sie es ertragen.

      Es gibt eine Menge solcher Berufe, die der Liebe feindlich sind. Und leicht ist ein Satz von so himmlischer Pflicht hingeschrieben, von so unirdisch schwerer Aufgabe. Es wäre womöglich besser, nicht davon zu reden, sondern glatt zu raten: Laßt solche Männer allein! Das aber wäre noch aussichtsloser, denn das Herz ist geneigt, sich den Dingen zuzuwenden, die es bewundert, und es bedenkt nicht den Kummer, der daraus entstehen kann. Es glaubt bei jedem Anbeginn, der es beglückt, daß es stärker sei als alle Engel und Teufel, die hinter den Wundern lauern, und es ist auch stärker, solange es nicht mürbe wird.

      Ich höre einen der Weisen aus langem Barte murmeln: Liebe, verliert euch nicht zu sehr an solche Männer, die auf den Außenposten des Lebens stehen, an die lauten oder stillen Helden des Körpers, der Technik oder des Geistes. Sie, die sicher wenig Lust haben, falls sie darüber nachdenken, zur Einsamkeit verurteilt zu sein, bedürfen einer anderen Liebe als der der guten Hausfrauen und Ehegesponse, sie müssen mitsamt ihrem Beruf geliebt werden, der sie dem Hause, der Liebe und der Sicherheit so oft entführt ...

      Leicht gesagt!

      Liebe und Sicherheit, das ist nebenbei — würde Herr Bottwender einwenden — auch zweierlei.

      Jawohl, leicht gesagt!

      Rings um die Sonne lauert die Finsternis überall und reicht an uns heran bis in den hellsten Tag. Wir wollen die arme Laterne der Pflicht in uns anzünden, daß sie uns unser Stück des Wegs geleite, der von Dunkelheit her zu Dunkelheit geht.

      *

      Alvel Hörn, ein junges Mädchen in Södehaven, liebte den Kapitän eines Bergungsdampfers. Dieser Kapitän hieß Kai Tralssen und war sehr erfolgreich in seinem Beruf.

      Wo die Schiffahrtswege der Welt sich den Küsten zufädeln und Barren, Riffe und Sände das schmaler werdende Fahrwasser gefährlich machen, vor den großen Strommündungen, an den seichten oder harten Ecken der nassen Handelsstraßen, da lauern die Bergungsdampfer. Sie sind Privatunternehmungen und machen ihr Geschäft, wenn es andern schlecht geht. Aber zugleich könnte man sie als rettende eiserne Engel bezeichnen. Gerät ein Schiff in Seenot und ist es noch nicht reif für die Rettungsboote, besteht noch Aussicht, Schiff und Ladung dem Verderben zu entreißen, dann jagen die Bergungsdampfer herbei. Sie sind klein, aber wendig und stark und sind bemannt mit Leuten, die den Teufel nicht fürchten. Denn wenn die Bergungsdampfer ausfahren, dann ist auf See meistens die Hölle los. Wenn andere sich in die Häfen flüchten, dann ist ihre Zeit gekommen. Sie suchen, koste es, was es wolle, das hilfsbedürftige Schiff zu erreichen, um es in Schlepp zu nehmen und in Sicherheit zu bringen.

      Der Bergungsdampfer „Tiger“, den Kapitän Tralssen fuhr, lag am Seebollwerk zu Södehaven auf Station. Tralssen kannte Fräulein Hörn vom Büro der Reederei her, für das sie größere schriftliche Arbeiten, zumeist die Bergungsberichte, mit einigen Durchschlägen in die Maschine schrieb. Er hatte auch einmal auf dem letzten Seefahrtsball mit ihr getanzt. Es war, eben bevor er wieder an Bord ging, um seinen ersten Steuermann abzulösen. Und sein erster Steuermann, der allgemein als schneidig und forsch bekannte, sportliche Anzüge und einen hellen Hut bevorzugende Herr Bottwender, hatte danach auch mit Fräulein Hörn getanzt.

      Alvel Hörn war um die Zeit nahe an sechsundzwanzig. Sie betreute den kleinen Haushalt ihres Großvaters, ja, sie war die Enkelin des alten Knurrbarts Fischer Hörn. Ihre Eltern waren tot, und sie besorgte sich ihr Taschengeld selber. Der alte Hörn hatte ihr eine Schreibmaschine geschenkt. Er nahm oft Gelegenheit, dies Symbol des Kaufmannsstandes mit der Hoffnung zu verknüpfen, daß seine Enkelin eines Tages keinen Seemann heiraten möge. Ihr Vater war auf See geblieben, es war eine trübe Geschichte. Ihre Mutter hatte es schlecht verwinden können und war widerstandslos, ohne eigentlich krank zu sein, nach wenigen Monaten dem Toten nachgefolgt.

      Hafen ist Hafen und Küste Küste. Was Alvel auch zum Abschreiben oder im Diktat übernahm, es stand in Beziehung zur Seefahrt. Von der knarrend hadernden Stimme des Alten beschworen, wuchs anfangs aus jedem eingespannten Bogen das ertrunken bleiche Antlitz ihres Vaters, und hinter jedem Zeilenende, wenn sie den Wagen zurückschob, seufzte der Kummer ihrer Mutter. Nach jenem Seefahrtsball aber wurde es anders. Alvel hatte nicht viel erlebt, und es war die erste Tanzmusik nach der langen Zeit der Trauer. Die gespenstische Anwesenheit ihrer Eltern verdämmerte, zog sich zurück, lauernd anfangs, späterhin zustimmend, so war es ihr, oder sie wollte, daß es ihr so sei. Nach diesem Ball war ein harter, lebendiger, heißer Glanz überall versammelt, auf Tasten und Bögen und Hebeln, auf Geschirr, Fenster und Laken, auf ihren Händen selber, doch war kein Gesicht dabei und im Geräusch der Maschine keine unmittelbare derb gutmütige tiefe Stimme, es hatte vielmehr alles seine gewöhnliche Ordnung. Geräusch war Geräusch, Papier Papier, ungespenstisch, ohne verwandelnde, beschlagnehmende, nach Trauer lüsterne Schatten. Der Glanz war schattenlos, war im Ganzen eine durchsichtige pulsende Kapsel, darunter alles taktvoll und ohne Forderung in sich selber beruhte. Sie begriff mit Gedanken schlecht, wie solche Strahlung sich in ihrer Stube versammeln konnte und auszugehen vermochte von dem derben Stück Mensch, von dem ungeschlacht gutmütigen Aufbau, der Kai Tralssen hieß, von der starken, knochigen Nase mit den unbewegten Flügeln, von dem breiten Munde, der sich beim Sprechen nur ungern zu öffnen schien und die Zähne als mißtrauisches Gatter beließ, so daß die Worte sehen mochten, wie sie nach außen kamen. Wie deutlich sah sie das alles, die starren Wangen, von der ewigen Windpritsche zu Kupfer gehämmert, den sturen vorgestemmten Nacken, den gleichsam ausgelaugt blonden Haarschopf, die blaß gebeizten Augen, das blankgeschrapte, porige Bollwerk des Kinns, und darunter den groben Adamsapfel, der von Evas Zeiten im Halse steckenblieb, dort immer noch voll Überredungskunst lauernd und zur Rache bereit, geneigt zu verführen, zu knechten und mit Donnergewalt immer einmal wieder das Paradies zu verlieren. Dieser mager sehnige Gurgelknoten war während des Tanzes das einzige gewesen, was sich an Kai Tralssen außer den Füßen bewegt hatte, ein paarmal, da er anscheinend der Höflichkeit halber zu einer Bemerkung ansetzen wollte.

      Den Gedanken nach schien Alvel das glattere Wesen des Herrn Bottwender angenehmer, das mit plätschernder Unterhaltung, smartem Lächeln, metallischer Stimme, mit Schneid, Manier und geölter Bewegung von unendlichen Parketts zu ihr herreichte und gleichsam den Arbeitstisch anhob und in Schwingung versetzte, das die Schmächtigkeit streichelte und das Frösteln erwärmte, das die laue Einsamkeit durchtönte der leeren Stube, als die Alvel sich sah und in der inmitten nichts hauste, so war ihr, als ein unklar brennendes Verlangen, das wie ein Blick aufschlug, den heimlichen Besucher scheu und zärtlich zu begrüßen. Doch vor diesem Aufblick der Empfindung wandelte sich allemal die Gestalt des hellgekleideten Steuermanns in das sachliche Dunkelblau, in das gröblichere Gewicht Tralssens, von dem aus sich alles mit jenem harten, heißen, lebendigen und durchsichtigen Glanze füllte. Sie betrachtete es nicht mit Jauchzen, sie fühlte sogar Abneigung gegen die großen Hände des Kapitäns, die auf edlem Gerüst gebaut waren, aber gedunsen waren von der Rauheit seines Berufes, prall von Blutspannung in ungastlichem Klima, in der Saalwärme blaurot, als wollten sie platzen.

      Auch seine Augen taten ihr weniger wohl, obschon sie gutmütig zu schlafen schienen, weißliche Lichter hinter verkniffenen Lidern, hinter Tankschlitzen, die gerötet glommen von der Ätzung des Salzwindes.

      Wir sind hinter Panzern, dachte sie. Sie lebte in einer kriegerisch flackernden Zeit. Die illustrierten Blätter waren voll Stahl und Beton. So kam sie auf den Vergleich.

      Lange Wochen wurde kein äußeres Wort zwischen Tralssen und ihr gewechselt, das über einen Gruß hinausging, und vorerst brachten die zufälligen Begegnungen im Büro oder am Bollwerk den Schritt kaum bis an die Tür jener Panzerung. Ja, die Straße des Alltags schien von da ab nur mit wandelnden Panzertürmen bedeckt; Fischer Hörn, der Inspektor, die Seeleute und die Wirtin, Tante Butt, ja selbst Tine Möller, deren Kinder und Mutter Neels einbegriffen.