der zweiunddreißig Männer an Bord hatte, die ihre letzte dumpfe Hoffnung auf den „Tiger“ setzten und die mit ihrem Schiff bei nochmaliger Strandung wahrscheinlich verloren sein mußten. Denn jenseits der Rinne begann, anders als die harte Schlickbank, eine Stelle gnadenlosen Mahlsandes.
Jetzt kam es auf sichere Beobachtungen und Erfühlungen an, auf ein erfahrenes, ja seherisches Auge, das die lichtlose Dunkelheit zu durchdringen hatte, abschätzend in überwacher Geistesgegenwart am Lauf der gischtigen Kämme, wo die noch mögliche Tiefe sei und wo der günstige Durchlaß in die offene See. Es kam an auf das unterbewußte Empfinden für den Standort des Schiffes, der anders in der völligen Nacht nicht auszumachen war, so wie hier, wo es galt, durch die Planken hindurch zu erfühlen, wie der Tanker im Schlepp sich gebärde, ob er folge und wie er ausschor und ob die Trosse sich nicht sirrend überspanne. Es war keine Verbindung mehr zur „Pontos“ als nur die Trosse, oder vielmehr das Gefühl der Trosse, man sah das große Schiff vorerst nicht mehr, die Trosse verschwand nach dreißig Faden wie aufgesogen in der heulenden Nacht voll gepeitschten Flockenschnees. Aber Tralssen fühlte, der Tanker folgte. Sicher war man dort so schlau, falls möglich, langsam die Maschinen in Gang zu bringen, um den Seedruck zu vermindern, der auf die riesige Bordwand stürmte, und es somit dem kleinen trotzigen Haufen Eisen, der sich „Tiger“ nannte, etwas zu erleichtern, mit der Beute ins Freie zu kommen.
Vergebens spähten die Steuerleute Bottwender und Wolters nach dem Hörnumfeuer aus, das während der Nacht zwischen den Schneeregenflagen ein paarmal als matter Pritschenschlag in Südost sich gezeigt hatte. Tralssen aber starrte wie gebannt voraus durch die zerborstenen Fenster des Ruderhauses. Man konnte glauben, er habe die Augen geschlossen und klammere sich ans Steuerrad nur, um nicht umgeworfen zu werden. Sie aber wußten von ihm, daß er in dieser schwierigen, fast aussichtslosen Lage in unbändiger, starrer Anspannung das besaß, was man im besten Sinne Führertum nennt. An ihm bewies sich, daß Seemannschaft mehr ist als grobe Arbeit, daß die See für den, der sie beherrschen will, letzte Anforderungen an die feinsten Schwingungen der Sinne stellen kann, ja, daß etwas Urhaftes dazu gehört, etwas, das dem Namen des Bootes gemäßer war, als der Reederei beim Taufakt grob bildlich und beuteverheißend vorgeschwebt haben mochte. Das tierhaft Naturverbundene, jene für den Europäer seltene Verfassung, war bei Gefahr groß in Tralssen. Man könnte es in seiner Art Genie nennen. Andere nennen es Glück.
Schlafwandlerisch überwach war Tralssen eins mit dreierlei, mit seinem Schiff, mit dem geschleppten Schiff und mit der tobenden See. In ihm verschmolz sich, ohne Lästerung gesagt, als bittere, nüchterne, sorgenvolle Offenbarung das Gleichnis der Dreifaltigkeit, das der hohe Ausdruck ist für die innersten Beziehungen alles Lebendigen. Das war ganz ungeistig klar und bieder in ihm, zugleich aber schien er betäubt vom gepeitschten Kreischen der Elemente, schien wie zwischen starren Eisenblöcken nichts als ein unbewußter, unheimlicher Kampf ohne jede Mißweisung.
Daß aber hinter diesem Kompaß, der er selber war, etwas am Ruder stand, gereckt und vorgebogen wie die Schaumkelle der Sturzsee, seidig sandfarben leuchtend wie ein gewisses Abendkleid, das grau überdeckt wurde und dunkel verwandelt wurde und auf einmal dumpf drohend Bootsmann Möller hieß, diese merkwürdige Vorstellung, gemischt aus bedrängter und liebender Erinnerung, die treulich steuernd in die Ruderspeichen griff, bedurfte seiner ganzen sturen Verbissenheit, damit sie ihn nicht ablenke.
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