doch die enormen Gasthauspreise nicht erschwingen konnten und nebenbei junge, schöne Frauen, denen von weiß wem die Pension bezahlt wurde. Allerdings hielt Frau Doktor Schlüter, die norddeutsche Inhaberin der Pension Metropolis, strenge auf Sauberkeit. Herrenbesuche waren für Damen, Damenbesuche für Herren nur in den Gesellschaftsräumen zulässig, und Damen, die die Grenze von der ganzen zur halben Welt allzu deutlich überschritten, wurden nicht aufgenommen oder auf diskrete Weise zum Auszug bewogen.
Sonst aber ging es in der Metropolis recht behaglich zu. Nach dem Souper versammelten sich die Pensionäre gewöhnlich in dem Salon, es wurde musiziert, geplaudert, geraucht und oft genug kam es vor, daß lange nach Mitternacht die guten, wenn auch sehr kostspieligen Weine aus dem Keller der Pension batterieweise anmarschieren mußten.
Kolo Isbaregg wurde allgemein als sehr angenehmer Zuwachs betrachtet. Der schöne, große Mann mit den energischen, feinen Gesichtszügen gefiel den Männern und entfesselte Brände in den Herzen der Damen, denen der ehemalige Offizier aus dem altadeligen Geschlecht mit dem Nimbus der Vornehmheit, aber auch des Romantisch-Abenteuerlichen umflossen schien. Als gar das Fräulein Cleo Holthaus, eine ältliche, ununterbrochen Stilleben malende Jungfrau, die alle Skandalgeschichten von Wien kannte und ein unheimliches Gedächtnis für Namen, Telephonnummern und andere Nebensächlichkeiten besaß, sich erinnerte, in der „Neuen Freien Presse“ seinerzeit von der abenteuerlichen Flucht des Baron Isbaregg aus Kanada gelesen zu haben, da begannen die Herzen all der schönen und weniger schönen Frauen und Mädchen, die an der großen hufeisenförmigen Tafel saßen, heftig zu schlagen, wenn Kolo erschien und sich nach einer vollendet weltmännischen Verbeugung zwischen der zaundürren Konsulsgattin und einer geschiedenen jungen Frau Albari, die rassig und pikant aussah, niederließ.
Im Salon wurde Kolo Isbaregg ganz von selbst, ohne sein Zutun, ja trotz seiner merklichen Zurückhaltung der Mittelpunkt, um den sich alles gruppierte. Sogar der amerikanische Heldentenor der Oper, Mr. William Williams, ein gewaltiges Stimmvieh und sonst ein recht gutmütiger Tölpel, wurde von ihm in den Hintergrund gedrückt, und der Maler Horatius Schreigans, der in der Sezession die ungeheuerlichsten Erotika ausstellte, zählte überhaupt nicht mehr, seitdem Isbaregg die Unterhaltung beherrschte oder wenigstens durch seine witzigen und boshaften Bonmots würzte.
So verbrachte Kolo nun schon einen halben Monat recht behaglich in der Pension Metropolis und er hätte gerne noch recht lange Zeit die Tage und Nächte müßig verbummelt — um so mehr, als die Türe der jungen geschiedenen Frau nachts für ihn offen zu bleiben pflegte, aber sein Geld schmolz dahin und er wußte, daß er eine neue Tat unternehmen müsse, wollte er nicht wieder in die Not und Armut der vergangenen Wochen zurückversinken.
Ihm gegenüber saß am Tisch der Pension Metropolis der alte Herr Geiger, ein Schieber und Kriegsgewinner schlimmster Sorte, ein Harpagon, wie ihn Molière nicht drastischer entwickeln konnte. Dieser Herr Geiger hatte durch dubiose Vermittlungsgeschäfte zu den Millionen, die er schon früher besessen, ein Dutzend weitere errafft; mit dem Scharfsinn des Menschen, dessen ganzes Gefühlsleben auf den Gelderwerb gerichtet ist, hatte er den unausbleiblichen Zusammenbruch der österreichischen Valuta vorausgesehen, in Devisenspekulationen abermals Millionen verdient und rechtzeitig den größten Teil seines mobilen Vermögens mit Hilfe gefälliger diplomatischer Agenten, wie sie damals von einer von Gott und jeder Vernunft verlassenen Regierung dutzendweise verwendet wurden, rechtzeitig nach der Schweiz gebracht und so vor der Vermögensabgabe gerettet. Was ihn nicht abhielt, über jede Besteuerung, der er sich nicht entziehen konnte, herzerweichend zu klagen, wie er sich überhaupt aus Mißtrauen und wohl auch aus Aberglauben gerne für einen ruinierten alten Mann ausgab, der im Begriff sei, den Rest seiner Habe in der sündhaft teueren Pension zu verzehren. Dabei kam er mehr als alle anderen Pensionäre auf seine Rechnung, denn zwischen seinen billigen falschen Zähnen verschwanden die größten Portionen, jede Schlüssel mußte ihm zweimal gereicht werden, und seine Tischnachbarn schworen, daß er regelmäßig Tortenstücke und andere eßbare Dinge in den weiten Taschen seines schäbigen Lüsterrockes verschwinden lasse. Frau Dr. Schlüter hätte denn auch den unbequemen, ewig nörgelnden Gast, den niemand leiden mochte, am liebsten vor die Türe gesetzt, wäre nicht jetzt eben der Sommer nah gewesen und in dieser Zeit ohnedies immer mehrere Zimmer leer gestanden.
Isbaregg begann sich zu dieser Zeit mit Herrn Geiger näher zu befassen. Nach Tisch ließ er sich mit ihm in politische und finanzielle Auseinandersetzungen ein, und der alte Mann fand an diesen Gesprächen um so mehr Gefallen, als Kolo sich als aufmerksamer Zuhörer erwies, selbst ein sehr scharfes Urteil entwickelte und den zynisch-exzentrischen Lebensanschaungen des Millionärs gerne beipflichtete. Isbaregg wieder profitierte von den gründlichen Kenntnissen des anderen, der in allen finanzpolitischen Fragen zu Hause und in nationalökonomischen Dingen von profunder Bildung war. Über sich selbst schwieg sich Geiger gründlich aus, nur ganz flüchtig erwähnte er einmal, daß er seinen armen Verwandten zum Trotz noch recht lange zu leben beabsichtige. Mit einem hämischen Lachen fügte er hinzu: „Und wenn ich auch das bißchen Geld, das ich habe, nicht in den Sarg mitnehmen kann, so werde ich schon dafür sorgen, keine lachenden Erben zu hinterlassen. Man kann ja auf dem Totenbett Kavaliersanwandlungen haben und eine wohltätige Stiftung gründen, zum Beispiel ein luxuriöses Asyl für alternde Droschkenpferde oder ein Sommerheim für Berufsathleten.“
Eines Nachmittags, als Kolo gerade nach Hause kam, hörte er aus dem Zimmer Geigers heftigen Wortwechsel. Die Türe ging auf und heraus trat ein junges, hübsches Mädchen, das schluchzend ein Tuch vor die Augen drückte und dem Ausgange der Wohnung zueilte. In diesem Augenblick tauchte auch Frau Schlüter aus dem Halbdunkel der Vorhalle auf, und als sie das verwunderte Gesicht Isbarregs sah, winkte sie ihn in den Salon und erklärte die Situation.
„Ich muß gestehen, daß ich unwillkürlich gehorcht habe, und was ich hörte, ist wirklich dazu angetan, meine Antipathie gegen den alten Geizhals noch zu vergrößern. Das Mädchen, das ihn jetzt verließ, ist seine Nichte, die Tochter seiner verwitweten armen Schwester, die von ihrer elenden Lehrerpension lebt. Das Mädchen ist seit Jahren mit einem armen, aber braven und tüchtigen jungen Menschen, der eben Arzt geworden ist, verlobt und bat den Onkel unter Tränen, ihr ein paar tausend Kronen zu borgen, damit sie heiraten und einen Hausstand begründen könne. Wissen Sie, was dieses alte Tier ihr geantwortet hat? Ein so hübsches Mädchen wie du braucht keinen armen Schlucker zu heiraten! Wenn du willst, so schenke ich dir Geld für ein hübsches Kleid, damit du in Gesellschaft gehen und auf vernünftigere Weise Karriere machen kannst.“
Kolo schüttelte sich, begab sich nach seinem Zimmer und ging dort lange auf und ab. Sein Entschluß war gefaßt und etwaige Bedenken zerstreute er im Verlaufe seiner Unterhaltung mit sich selbst, die in folgender Betrachtung gipfelte:
„Dieser Herr Geiger ist vor Gott und den Menschen ein Ehrenmann. Er hat sein ganzes Leben lang geraubt, gewuchert und betrogen, aber immer im Rahmen der Gesetze und sicher niemals einer Dame das Portemonnaie gezogen. Infolgedessen ist er dem Staat heilig und unantastbar, und wenn ich anderer Meinung bin und ihn als schädliches Insekt vertilge, so wird man mich, wenn ich mich dabei erwischen lasse, als Mörder verurteilen. Ich füge mich aber dieser abstrus und toll gewordenen Logik nicht, werde ihn zu meinem Heil und zu dem anderer vernichten und mich eben nicht erwischen lassen.“
Am selben Abend zog sich Kolo Isbaregg mit Herrn Geiger nach Tisch in eine Ecke zurück und sagte ganz leichthin:
„Ich habe heute durch meinen Vetter, den Unterstaatssekretär im Finanzdepartement, etwas erfahren, was auch Sie interessieren dürfte. Natürlich kann ich Ihnen, wenn ich meinem Vetter nicht Ungelegenheiten bereiten will, die Sache nur sehr vertraulich mitteilen. Es steht nämlich die Vermögensabgabe unmittelbar bevor und in den nächsten Tagen schon wird wieder eine allgemeine Bankkonto- und Safe-Sperre verfügt werden.“
Geiger wurde ganz zitterig und nervös, der Speichel trat ihm in den Mund und geifernd fragte er:
„Ist das auch ganz sicher, was Sie da sagen?“
„Herr, ich bin ja kein dummer Junge! Wenn ich etwas sage, so weiß ich, was ich rede! Übrigens müssen Sie es ja nicht glauben!“
„Gut, gut,“ begütigte der Alte. „Natürlich glaube ich es, ich muß es um so eher glauben, als ja die Finanzen dieses gottverlassenen Staates so sind,