Victor Hugo

Der Glöckner von Notre-Dame


Скачать книгу

sich vorn bemerkbar machte; ein System von Schenkeln und Beinen in so seltsam verschrobener Stellung, daß sie sich nur an den Knien berühren konnten und, von vorn gesehen, einem am Griff verbundenen halbmondförmigen Sichelpaar ähnlich sahen, dazu große Füße und ungeheuerliche Hände; und mit all dieser Häßlichkeit verbunden ein unbeschreibliches, aber schreckliches Gebaren von Stärke, Behendigkeit und Mut — eine befremdliche Ausnahme von der ewigen Regel, welche verlangt, daß die Kraft wie die Schönheit aus dem Ebenmaß erwächst. So beschaffen war der Papst, welchen die Narren sich eben geschenkt hatten. Es war, als ob man einen Riesen vor sich sähe, der auseinandergebrochen und schlecht wieder zusammengefügt worden war.

      Als dieser Zyklop am Eingang der Kapelle erschien, unbeweglich, vierschrötig und fast so breit wie hoch, «die Basis im Quadrat genommen», erkannte ihn das ganze Volk im Nu an seinem halb roten, halb violetten, mit silbernen Türmchen besäten Überrock, vor allem aber an der unbedingten Vollkommenheit seiner Häßlichekit, und schrie wie aus einem Munde:

      «Quasimodo ist’s, der Glöckner! Quasimodo ist’s, der Bucklige von Notre-Dame! Quasimodo, der Einäugige! Quasimodo, das O-Bein! Juchheisa! Juchheisa!»

      Man sieht, daß der arme Teufel Spitznamen zur Auswahl hatte.

      «Hütet die schwangeren Weiber!» schrien die Studenten.

      «Oder die’s zu werden Lust haben!» brüllte Jean darein.

      Die Frauen verbargen in der Tat das Gesicht.

      «Oh, der häßliche Affe!» sagte die eine.

      «So böse wie häßlich», meinte eine andere.

      «’s ist der leibhaftige Teufel!» setzte eine dritte hinzu.

      «Ich habe das Unglück, neben der Notre-Dame-Kirche zu wohnen. Die ganze Nacht hör ich ihn in der Dachrinne rumoren.» «Er wirft uns Hexenkram durch die Essen.»

      «Gestern abend hat er zu meinem Dachfenster herein eine Fratze geschnitten. Hab ich eine Furcht gehabt!»

      «Ich bin fest überzeugt, daß er beim Hexensabbath anwesend ist. Einmal hat er auf meinem Dache einen Besen liegen lassen.»

      «Oh, das ekelhafte Gesicht von dem Buckligen!»

      «Oh, die niederträchtige Seele!»

      Die Männer dagegen waren allesamt entzückt und klatschten lebhaft Beifall.

      Quasimodo indes, der Gegenstand des allgemeinen Lärmens, verweilte noch immer an der Tür der Kapelle; aufrecht, finster, ernst ließ er sich bewundern. Ein Student lachte ihm ins Gesicht, und zwar aus dichtester Nähe. Quasimodo begnügte sich damit, ihn am Gürtel zu packen und zehn Schritte weit mitten hinein in die Menge zu schleudern. Alles, ohne ein einziges Wort zu sprechen.

      Meister Coppenole trat ihm begeistert näher.

      «Beim Kreuze Jesu! Du hast unstreitig die herrlichste Häßlichkeit, die ich mein Lebtag gesehen habe. Dir müßte die Papstwürde in Rom gehören so gut wie in Paris!»

      Mit diesen Worten trat er ganz zu ihm heran und legte ihm lustig die Hand auf die Schulter. Quasimodo rührte sich nicht. Coppenole fuhr fort:

      «Du bist ein schnurriger Kauz, mit dem ich Lust habe eins hinter die Binde zu gießen, und sollt’s mich auch ein Dutzend neuer Zwölfgroschner kosten. Was meinst du, Kerl?»

      Quasimodo gab keine Antwort.

      «Beim Kreuze Jesu!» rief da der Strumpfwirker wieder. «Bist du denn taub?»

      Quasimodo war wirklich taub. Trotzdem fing er an, über Coppenoles Benehmen in Erregung zu geraten, und wandte sich plötzlich mit einem so fürchterlichen Zähnefletschen nach ihm herum, daß der vlämische Riese zurückwich wie eine Bulldogge vor einem Kater. Ein altes Weib setzte Meister Coppenole daraufhin auseinander, daß Quasimodo taub sei. «Taub!» rief der Strumpfwirker mit seinem groben, vlämischen Lachen. «Beim Kreuze Jesu! Das ist ein Papst, wie er sein muß!»

      «Ei, ich kenne ihn!» warf Jean ein, der endlich von seinem Säulenknauf herabgestiegen war, um Quasimodo aus nächster Nähe zu betrachten, «es ist der Glöckner meines Bruders, des Archidiakonus. Guten Tag, Quasimodo!»

      «Teufelskerl!» sagte Robert Poussepain aus der Gruppe der Studenten. «’s ist, scheint’s, ein Buckliger; läuft er, so ist’s ein O-Bein; sieht er euch an, ist’s ein Einäugiger; redet ihr mit ihm, ist’s ein Tauber. Ha! sagt mir nur, was treibt er mit seiner Zunge, dieser Polyphem?»

      «Wenn er will, dann spricht er», sagte die Alte. «Er ist taub geworden vom Läuten. Stumm ist er nicht.»

      «Das fehlt ihm noch», bemerkte Jean.

      Unterdessen hatten sämtliche Bettler, Lakaien und Beutelschneider im Verein mit den Schülern und Studenten in feierlichem Zuge aus dem Aktenschrank der Gerichtsschreibergilde die papierne Tiara und das Spottgewand des Narrenpapstes herbeigeschafft. Quasimodo ließ es sich anziehen, ohne mit einer Wimper zu zucken, sogar mit einer gewissen stolzen Gefügigkeit. Man setzte ihn auf einen buntgeschmückten Tragsessel. Zwölf Offiziere von der Narrenbrüderschaft hoben ihn auf ihre Schultern, und eine Art bitterer und verächtlicher Freude leuchtete aus dem Gesicht des Zyklopen, als er unter seinen mißgestalten Füßen aller dieser Köpfe von schönen, kerzengeraden und wohlgebauten Menschen ansichtig wurde. Dann setzte sich die heulende und zerlumpte Prozession in Gang, um dem Brauch gemäß den innern Umgang durch die Galerien des Palastes zu nehmen, bevor sie sich auf den Zug durch die Straßen und über die Plätze begab.

      Während dieses ganzen Vorganges hatten Gringoire und sein Theaterstück wacker standgehalten. Die von ihm angespornten Schauspieler hatten nicht aufgehört, seine Komödie herzuleiern, und er hatte nicht aufgehört, ihnen zuzuhören. Er hatte sich mit dem Spektakel abgefunden und den Entschluß gefaßt, bis ans Ende auszuharren, da er an einer Wiederkehr der Aufmerksamkeit des Publikums noch immer nicht verzweifelte. Dieser Schimmer von Hoffnung erhielt neues Leben, als er sah, wie Quasimodo, Coppenole und das ohrenzerreißende Geleit des Narrenpapstes mit großem Lärm aus dem Saal schritten. Die Menge stürzte gierig hinter ihnen drein.

      «Recht so», sagte sich Gringoire, «das sind die Krakeeler alle, die sich auf die Beine machen!»

      Unglücklicherweise bildeten aber «all die Krakeeler» eben das Publikum, und im Nu war der Hauptsaal leer. Allerdings blieben — damit wir nicht gegen die Wahrheit verstoßen! — noch ein paar Zuschauer übrig, die einen verstreut, die andern um Säulen gruppiert, Weiber, Greise oder Kinder — sämtlich solche, die des Getöses und Gedränges satt und überdrüssig waren. Ein paar Studenten waren rittlings auf den Fensterkreuzen sitzengeblieben und blickten auf den Platz hinunter.

      «Gut denn!» dachte Gringoire bei sich; «es sind ihrer noch gerade so viele da, wie nötig sind, um das Ende meines Mysteriums anzuhören. Es sind ihrer wenig, aber es ist ein gewähltes, ein schriftgelehrtes Publikum.»

      Da schrie plötzlich einer von den jungen Taugenichtsen von den Fensterkreuzen herab:

      «Kameraden, die Esmeralda! Die Esmeralda ist auf dem Platz!» Dieses Wort rief eine magische Wirkung hervor. Alles, was im Saal zurückgeblieben war, stürzte nach den Fenstern hin, kletterte an den Mauern hinauf, um zu sehen, und wiederholte: «Die Esmeralda! Die Esmeralda!» Gleichzeitig vernahm man draußen ein mächtiges Beifallsgeschrei.

      «Was bedeutet denn das: die Esmeralda?» fragte Gringoire und schlug vor Verzweiflung die Hände zusammen. «Ach, du mein lieber Gott, jetzt scheinen die Fenster an die Reihe gekommen zu sein!»

      Er drehte sich nach der marmornen Tafel um und sah, daß die Vorstellung eine Unterbrechung erlitten hatte. Es war gerade der Augenblick, in welchem Jupiter mit seinem Blitz erscheinen sollte. Nun stand aber Jupiter unbeweglich am Fuß der Bühne.

      «Michel Giborne!» rief der Dichter empört, «was machst du da? Ist das deine Rolle? Steig doch hinauf!»

      «Ach, ach!» erwiderte Jupiter jammernd, «mir hat ja gerade ein Student die Leiter wegstibitzt!»

      Gringoire sah hin. Die Sache war nur zu wahr. Jegliche