umso mehr traten seine leidenschaftslosen Züge voll Tatkraft und Befehlshaberwürde ins Licht; er trat auf in seiner Standeskleidung mit den Abzeichen des Kommandanten.
So wurde denn auch die Mannschaft der Forward wider Willen fortgerissen und rief einstimmig:
»Hurra! Hurra! Hurra für den Kapitän!«
»Shandon«, sprach dieser zu seinem Stellvertreter, »lassen Sie die Mannschaft sich aufstellen, ich will Musterung halten.«
Shandon gehorchte und gab mit bewegter Stimme seine Befehle. Der Kapitän trat vor seine Offiziere und Matrosen und sprach zu jedem, was seinem bisherigen Verhalten gemäß passend war.
Hierauf stieg er auf die Kampanie und sprach in ruhigem Ton die folgenden Worte:
»Offiziere und Matrosen, ich bin Engländer, wie Sie auch, und mein Wahlspruch ist der des Admirals Nelson:
›England erwartet von jedem, dass er seine Pflicht erfülle.‹
Als Engländer will ich nicht, wollen wir nicht, dass kühnere Männer dahin dringen, wohin wir nicht vermocht hätten. Als Engländer will ich nicht, wollen wir nicht geschehen lassen, dass andere den Ruhm davontragen, weiter nach dem Norden zu dringen. Wenn jemals eines Mannes Fuß das Polarland betreten darf, so muss das der Fuß eines Engländers sein! Hier ist die Flagge Englands. Ich habe dies Schiff ausgerüstet, ich habe mein Vermögen an das Unternehmen gesetzt und will mein Leben und das Eurige dafür einsetzen, aber diese Flagge soll am Nordpol wehen. Lassen Sie es an Zuversicht nicht fehlen. Tausend Pfund Sterlind sind Euch für jeden Grad zugesagt, welchen wir von heute an weiter nördlich vordringen. Jetzt sind wir unterm zweiundsiebzigsten, und es sind neunzig Grad. Nun rechnet. Mein Name wird Ihnen übrigens eine Bürgschaft sein; Energie und Patriotismus sind ihm eigen. Ich bin der Kapitän Hatteras!«
»Der Kapitän Hatteras!« rief Shandon.
Dieser Name war unter den englischen Seeleuten wohlbekannt. Die Mannschaft vernahm ihn mit stillem Respekt.
»Jetzt«, fuhr Hatteras fort, »soll man die Brigg an die Eisblöcke festankern, die Feuer ausgehen lassen, und jeder gehe an sein gewöhntes Tagewerk. Shandon, ich habe mit Ihnen über die Schiffsangelegenheiten zu reden. Kommen Sie nebst dem Doktor, Wall und dem Rüstmeister zu mir in meine Kabine. Johnson, lassen Sie die Leute auseinandergehen.«
Hatteras, kaltblütig und kühl, stieg ruhig vom Hinterdeck herab, während Shandon die Brigg festankern ließ.
Wer war denn dieser Hatteras, und weshalb machte sein Name einen so tiefen Eindruck auf die Mannschaft?
John Hatteras, der einzige Sohn eines Brauers zu London, der im Jahre 1852 im Besitze von sechs Millionen starb, widmete sich noch in jungen Jahren, trotz des glänzenden Vermögens, das er erben sollte, dem Seewesen. Nicht der Handelsberuf führte ihn dazu, sondern sein Herz war vom Trieb nach geografischen Entdeckungen durchdrungen; er sann unablässig darauf, seinen Fuß dahin zu setzen, wohin noch kein Mensch gedrungen war.
Bereits zwanzig Jahre alt besaß er die kräftige Leibesbeschaffenheit magerer und sanguinischer Menschen: energische Gesichtszüge mit geometrisch bestimmten Linien, hohe Stirn senkrecht auf der Ebene schöner, aber kalter Augen, feine Lippen eines wortkargen Mundes, mittlere Statur, fester Gliederbau mit eisernen Muskeln – gaben das Gesamtbild eines Mannes von erprobtem Charakter. Sein Aussehen verriet Kühnheit, sein Ton kühle Leidenschaft; unbeugsam, nie zurückzuweichen fähig, war er bereit, das Leben anderer mit gleicher Überzeugung wie das seinige auf das Spiel zu setzen. Es galt daher zweimal zu überlegen, ehe man sich zur Teilnahme an seinen Unternehmungen entschloss.
Den Stolz des Engländers besaß er im höchsten Grade. Als in seiner Gegenwart ein Franzose mit vermeintlicher Höflichkeit und selbst Liebenswürdigkeit sagte:
»Wäre ich nicht Franzose, so möcht’ ich Engländer sein«, so erwiderte Hatteras:
»Wäre ich nicht Engländer, so möcht’ ich Engländer sein.«
Über alles ging ihm der Wunsch, den Ruhm geografischer Entdeckungen seinen Landsleuten allein zu wahren; aber zu seinem großen Missfallen hatten diese im Laufe der früheren Jahrhunderte in Hinsicht auf Entdeckungen wenig geleistet.
Die Entdeckung Amerikas verdankte man dem Genuesen Christoph Columbus, Indiens dem Portugiesen Vasco de Gama, Chinas dem Portugiesen Fernand d’Andrada, der Feuerlande dem Portugiesen Magelhaen, Kanadas dem Franzosen Jacques Cartier; die Sunda-Inseln, Labrador, Brasilien, das Kap der Guten Hoffnung, die Azoren, Madeira, New-Foundland, Guinea, Kongo, Mexiko, Kap Blanco, Grönland, Island, die Südsee, Kalifornien, Japan, Kambodscha, Peru, Kamtschatka, die Philippinen, Spitzbergen, das Kap Horn, die Behrings-Straße, Tasmanien, Neu-Seeland, Neu-Britannien, Neu-Holland, Louisiana, die Insel Jan-Mayen – wurden von Isländern, Skandinaviern, Russen, Portugiesen, Dänen, Spaniern, Genuesen, Holländern aufgefunden; aber kein einziger Engländer befand sich unter ihnen; für Hatteras zum Verzweifeln, dass seine Landsleute nicht dieser glorreichen Schar von Seefahrern angehörten, welchen man die großen Entdeckungen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts verdankte.
Die neueren Zeiten konnten Hatteras ein wenig trösten; die Engländer fanden doch eine Entschädigung an ihrem Sturt, Daniel Stuart, Burke, Wills, King, Gray in Australien; an Palliser in Amerika, an Cyrill Graham, Wadington, Cummingham in Indien, an Burton, Speeke, Grant, Livingstone in Afrika.
Aber dies reichte nicht hin; nach Hatteras Ansicht waren die Leistungen dieser kühnen Reisenden vielmehr Vervollständigungen als Entdeckungen; er strebte nach Besserem.
Er hatte bemerkt, dass, obwohl die Engländer nicht unter den älteren Entdeckern die Mehrzahl bildeten, und dass man bis auf Cook zurückgehen musste, um Neu-Caledonien (1774) und die Sandwich-Inseln (1778) zu bekommen, es doch eine entlegene Gegend des Erdballs gab, wo sie durch vereinte Bemühungen etwas geleistet hatten, nämlich die Eismeere und Nord-Länder Amerikas.
Die Entdeckungen der Polarlande übersieht man an dieser Zusammenstellung:
Nowaja-Semlia, entdeckt von Willoughby (1553)
Die Insel Waigatz, entdeckt von Barrough (1556)
Die Westküste Grönlands, entdeckt von Davis (1585)
Die