hatte!“
Die wunderbare Geldvermehrung.
Eines Tages stand die Not wieder einmal vor der Türe Johann Kellers. Die Ernte war noch weit, die Kühe standen vor dem Kalben, gaben also keine Milch, das letzte Schwein war beinahe aufgezehrt, das andere noch nicht fett. Die Grossmutter sass in schwerer Sorge auf der Ofenbank, die Hände in die Schürze gewickelt, der Grossvater spielte auf dem Tische mit einem Fünfpfennigstücke.
„Das is nu mein ganzes Geld!“ sagte er, ernster als sonst. Die Grossmutter weinte. Da stand Johann lebensmutig auf und sagte: „Ach was, mit einem solchen Kapital lässt sich doch nichts Gescheutes anfangen; ich gehe jetzt ins Wirtshaus und verkneip’ mein ganzes Barvermögen.“ „Dass du dich nicht unterstehst,“ jammerte die Grossmutter; „das wäre eine schöne Verschwendung!“
„Verschwendung oder nicht,“ sagte Johann; „ich kauf mir jetzt für all mein Geld einen kleinen Korn.“
Er steckte den Fünfpfennig in die Westentasche und ging. Die Grossmutter flennte hinter ihm her.
„’s letzte Geld trägt er fort!“
Zwei Stunden später kam Johann in ungeheuer vergnügter Stimmung nach Hause.
„Siehst du, Christiane, was das für einen Segen stiften kann, wenn man mal ins Wirtshaus geht! Ich sitze bei meinem kleinen Korn, da kommt der Sattler-Bauer aus Zirlau. Der sagt: „Schön, dass ich Sie mal treffe, Meister Keller; ich bin Ihnen doch immer noch 10 Mark schuldig.“ — Ich sagte, ich könne mich darauf nicht besinnen. „Ja, ja,“ sagte Sattler, „es stimmt. Ich schreib ja alles auf. Von der Rechnung für den neuen Brunnen damals blieben noch 10 Mark Rest.“
„Und da sind sie,“ sagte der Grossvater und schüttelte lachend seinen silbernen Reichtum auf den Tisch. Die Grossmutter machte ein aufheiterndes Gesicht, zählte das Geld, zählte es noch einmal und sagte dann: „Es sind bloss neun Mark fünfzig.“
„Nu, Christiane,“ lachte Johann, „denkst du etwa, wenn ich so ein Heidengeschäft mache, da werde ich bei einem kleinen Korne sitzen bleiben?“
Zwei Tage später kam neue Brunnenarbeit; eine Kuh kriegte ihr Kalb; das wurde verkauft; es gab wieder Milch; die Not war von der Tür verscheucht.
Ausklang.
Mein Grossvater ist über achtzig Jahre alt geworden; er war im Leben nie einen Tag krank. Aber eines Morgens merkte er plötzlich, dass der Tod nahe. Die Grossmutter war schon lange vorher gestorben. Der Grossvater liess den Pfarrer holen, bereitete sich auf das Sterben vor und sagte: „Der Paul soll noch einmal kommen, aber Ihr müsst ihm telegraphieren, denn es wird rasch gehen.“ Ich traf den geliebten Alten noch am Leben; zwei Tage später war es zu Ende.
Die Graue Schwester, die ihn pflegte, fragte: „Meister Keller, haben Sie noch einen Wunsch?“ Er schmunzelte und erwiderte: „Ach ja, ich möchte noch gern eine Zigarre rauchen.“ Die Schwester, die doch sah, wie es stand, wunderte sich über das seltsame Begehren, aber da der Arzt befohlen hatte, dem Sterbenden jeden Wunsch zu erfüllen, ging sie tatsächlich nach der Nebenstube und sah sich nach einer Zigarre um. Sie fand auch bald eine. Als sie zurückkam, war Johann Keller tot. Er war ohne den mindesten Todeskampf gestorben. —
Als ich dem Grossvater einen Denkstein errichtete, grübelte ich lange, was für einen Spruch ich darauf schreiben sollte. Da dachte ich wieder daran, wieviel Kinder und Kindeskinder in dem Hause dieses armen und doch so fröhlichen Mannes hatten hausen und grosswachsen müssen und so liess ich auf den Stein das milde und tröstliche Heilandswort schreiben: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen.“ Es ist das Wort, mit dem ich zehn Jahre später meinen Roman „Der Sohn der Hagar“ beschloss, dort allerdings in anderem Sinne.
Vorfrühling
Mein Stolz war damals eine kleine Tabakspfeife. Kein Junge im Dorfe ausser mir besass eine solche. Ich hatte das Prachtstück von einem „Kühprinzen“ erhandelt, einem jovialen jungen Manne von etwa sechzehn Jahren, der schon längst aus der Schule war, es aber doch nicht verschmähte, mit uns Schuljungen zu verkehren. Ja, seine Leutseligkeit ging soweit, dass er Schulden bei uns machte. Überhaupt, ein Lebemann war er! An einem einzigen Sonntag Nachmittage — so kam mir ein dunkles Gerücht zu Ohren — hatte er beim „Titschen“ hundertzwanzig Knöpfe verspielt. Und da kam er in Zahlungsschwierigkeiten. Also erschien er bei mir, der ich als Knopfkrösus im Dorfe bekannt war, und bot mir einige seiner Güter zum Verkaufe an. Einen kleinen Taschenkamm lehnte ich rundweg ab, aber für ein Taschentuch mit dem Bilde des alten Moltke setzte ich fünfundzwanzig Knöpfe. Das war zu wenig für ihn, und so bot er mir erst zögernd einen kleinen, runden Spiegel und dann nach fürchterlichem Seelenkampfe sein altes Taschenmesser zum Verkaufe. Sechzig Knöpfe war alles, was ich geben wollte. Dem armen Schlucker stand der Schweiss auf der Stirne. „Sechzig sein zu wing,“ keuchte er. Da rückte ich endlich mit meinen selbstsüchtigen Absichten heraus. „Fer die Feife gäb’ ich zweehundert,“ sagte ich lauernd. „Du bist ganz verrückt,“ antwortete er und verliess mich. Kaltblütig liess ich ihn laufen.
Am nächsten Abend hatte ich die Pfeife. Der Spielgegner des „Kühprinzen“ hatte gedroht, ihn bei seiner „Braut“ blosszustellen, wenn er nicht zahle.
Zwanzig Knöpfe musste ich allein für die Drohung bezahlen, da sie der Gläubiger nur auf die Gefahr einer riesigen Tracht Hiebe hin wagen konnte.
*
Mein Grossvater, bei dem ich lebte, war nicht nur Landwirt und Brunnenbauer, sondern auch Stellmacher. Nie mehr im Leben habe ich seligere Zeiten verlebt. Wir hatten zwar fast alle Tage Rauchfleisch auf dem Tische; aber er ass das fette, und ich bekam das magere, und wenn’s eine Arbeit gab, tat er sie selbst und liess mich springen. Ich sei nicht für die Arbeit, sagte er. Im Hause meines Grossvaters lebte oben in der Giebelstube die alte Blümeln. Zu ihr bin ich oft hinaufgestiegen, und ich dachte immer ans Dornröschen, das zur Spinnerin schleicht. Aber die alte Blümeln spann nie. Im Sommer ging sie rüstig und fleissig zur Arbeit, Tag für Tag, und im Winter war sie, da sie gerade Zeit dazu hatte, immerfort krank. Was ihr fehlte, sagte sie keinem Menschen, mir auch nicht.
Auch an dem Märztage, von dem ich erzählen will, ging ich zur Blümeln. Sie lag im Bette und sah mich jämmerlich an. In der Stube waren vielleicht dreissig Grad Hitze, und sie hatte noch zwei Tücher um den Kopf gebunden. Da klagte die Arme über Kopfschmerzen.
Ich machte mich der Blümeln so angenehm wie möglich. Ich liess mir etwas von ihrem seligen Manne erzählen, ich beguckte staunend das Bild ihres Sohnes, der beim Militär war, ich legte auf ihren Wunsch noch einmal frische Kohlen aufs Feuer. Dann wurde ich launig. Ich erzählte eine Schnurre vom Alten Fritz, deren Pointe sie aber nicht zu erfassen schien; ich turnte über ihre Stühle, versuchte sechsmal vergebens, auf dem Kopfe zu stehen und raubte ihr endlich gar einen Kuss. Da hatte sie mich verstanden.
„Du willst wull Tobak?“, fragte sie.
„Ach ja, bluss a kleenes bissla,“ bat ich.
„Na, do such dir!“
Augenblicklich lag ich auf der Diele und kroch auf allen vieren unter Mutter Blümels Bett. Dort stand ganz im allerhintersten Winkel eine riesige Strohschüssel mit trockenem Tee aller Art. Aus dieser Schüssel bezog ich meinen Bedarf an Rauchtabak.
Ich zog die Schüssel ans Licht und stellte sie auf den Tisch. Dann suchte ich aus der Tasche eine Menge grosser und kleiner Düten hervor und traf meine Auswahl. Zuerst versorgte ich mich mit meiner Lieblingssorte. Mutter Blümeln sah mir mit leidender Miene zu. „Jüngla, niem ni zu viel Fafferminze,“ sagte sie.
„Aber die roocht sich gerade gutt,“ erwiderte ich.
„Ju, aber ich brauch’ se fer a Kupp. Niem lieber Spitzweger; uff der Lunge hab ich’s jitzt nich.“
Also nahm ich Spitzwegerich, obschon ich ihn wegen seiner dicken Rippen für eine untergeordnete Sorte hielt, versah mich genügend mit Thymian und Baldrian und stellte dann in einer grossen Düte noch