Robert Heymann

Die Hölle um Maria Giotti


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      Die Hölle um Maria Giotti

      Robert Heymann

      SAGA Egmont

      Die Hölle um Maria Giotti

      Copyright © 1950, 2018 Robert Heymann und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711503737

      1. Ebook-Auflage, 2018

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Einleitung.

      „Die Hölle um Maria Giotti“ ist ein Kriminalroman aus dem Leben. Unwesentliches hat dichterische Freiheit hinzugefügt, Nebensächliches ist zeitlich verändert worden. Ich habe den Versuch unternommen, dem Kriminalroman die Form zu geben, die unsere Zeit, ihre Probleme und die Wahrheit, der jede Feder dienen soll, zu fordern haben. In diesem Roman ist keine Hauptfigur erfunden, keiner dieser verschiedenartigen Charaktere ist willkürlich gezeichnet. Dieser italienische Untersuchungsrichter lebt, er hat gelebt, er hat so, wie es geschildert ist, nicht anders, seine Sache, die nicht die Sache des göttlichen Rechtes war, geführt.

      Diese unglückliche Heldin trägt aus rein menschlichen Rücksichten — wie alle Personen — nicht ihren wahren Namen. Alles aber ist wahr, alles, was sie erlebt, erlitten, erduldet hat! Jeder Schimpf ist wahr, keine dieser schreienden Ungerechtigkeiten einer in sich selbst erstarrten Justiz ist erfunden.

      Dieser Roman beweist, daß das System der Justiz, die Voruntersuchung, die Allmacht des Richters, die Hilflosigkeit überraschter Angeklagter, daß die forensischen Martern, die Spitzfindigkeit der Untersuchung, die Heuchelei der öffentlichen Meinung, der Ehrgeiz von Beamten, die Abhängigkeit der Geschworenen von dieser „Öffentlichen Meinung“ —, daß dies zusammen immer von neuem „Stimmungsurteile“ begünstigt. — Dies ist der nicht gewollte, aber nicht zu verbergende Sinn dieses Romans. — Es gibt keinen Kriminalfall, der nichts bewiese — und wäre es schließlich nur die immer wiederkehrende Wahrheit von der Unvollkommenheit aller menschlichen Einrichtungen.

      Wenn das Leben die besten, spannendsten und vielleicht aufregendsten Romane schreibt — dann haben sie vor den erfundenen Romanen den Vorzug, eine Moral zu enthalten. Die gewollte Tendenz, die Tendenz um der Tendenz willen, die Absicht, tendenziös zu schildern, verstimmt. Aber die Wahrheit, die aus den lebendigen Bildern gelebter Geschehnisse heraustritt, ist klar und funkelnd wie ein Edelstein. Es ist eine alte Schwäche der Menschen, schneller zu urteilen als zu begreifen. Und es ist ein Rückfall ins Mittelalter, daß auch wir modernen Menschen so leicht geneigt sind, nach der Beurteilung schon zu verurteilen, daß so oft die Person abgeurteilt wird, nicht die Sache.

      Es gibt keinen Roman ohne Problem, und wäre es das uralte der Liebe. Es sollte kein Kriminalroman geschrieben werden ohne die lebendige Wahrheit.

      Berlin, Januar 1930.

      Robert Heymann.

      1.

      Es war Herbst in Bologna, aber es herrschte sommerliche Wärme. Auch über die Via Mazzini schüttete die Sonne noch ihre Gluthitze, schmal und dürftig lag der Schatten vor dem Palazzo Bisteghi.

      Julia Straglia schritt unschlüssig auf und ab. Sie schlenderte, spielte mit ihrer Tasche, griff sich in das nußbraune Haar und äugte zu Vittorio hinüber, der eben träge vom Rüsterlagäßchen herkam. Hände in den Taschen der engen Beinkleider, den Strohhut schief über dem Ohr, Zigarette im Mund. Auf dem schwarzen Rock leuchtet eine rote Nelke, aus der linken Brusttasche hängt ein gelbseidenes Tuch wie eine kleine Fahne.

      Vittorio hat ein brutales, vortretendes Kinn, er schaukelt beim Gehen wie ein Weib, aber die Beine setzt er voreinander wie ein Raubtier.

      „Geh schon! Geh!“ murmelt er zwischen den Zähnen, die groß und gelb vom Rauchen zwischen dem halbgeöffneten Mund sichtbar werden.

      Julia zuckt die Achseln, ihre beweglichen Augen mustern nochmals schnell die verschlossenen Fenster der Wohnung des Grafen Martini. Sie zaudert, denn die Portière steht unter der Tür, die Achtzigjährige, sauber, mit schneeweißem Haar. Sieht und hört noch alles.

      Was glotzt sie mich so an, denkt die Junge, steht herum wie nicht abgeholt, krumm, wie einer unserer schiefen Türme. Schließlich tritt sie mit einem Ruck ein. Geht die kühle Steintreppe empor und klingelt an der Wohnung Martinis. Nichts regt sich. Sie klingelt nochmals, horcht mit schiefgehaltenem Kopf. Julia ist von robuster römischer Schönheit. Den kleinen Kopf trägt ein kräftiger runder Hals. Ihr Gesicht ist leicht verschlafen, erinnert an eine Katze, die sich sonnt, aber der aufgeworfene Mund ist lebendig, und die roten Lippen leuchten über das ganze Gesicht.

      „Madonna!“ sagt sie, geht zaudernd, kehrt noch einmal um, klingelt wieder. Wartet aber den Erfolg nicht mehr ab, geht langsam nach unten. Sie schüttelt sich und starrt in die forschenden Augen der Alten, die keinen Blick von ihr gewandt hat. Diese Augen sind die Treppe hinauf hinter ihr hergewandert und kleben noch an ihr, während Julia unschlüssig am Haustor verharrt.

      Die leuchtende Straße liegt mit überhellen Konturen in dem dunklen Ausschnitt des Tores, mitten drin steht lauernd Vittorio.

      Was sage ich ihm? denkt Julia, und woher Geld nehmen? Es war so fein ausgedacht, aber doch bin ich froh, daß der Graf nicht zu Hause ist. Ja, ich freue mich schon auf das enttäuschte Gesicht Vittorios, weil er mich immer quält, dieser Jettatore, dessen böser Blick mich nicht losläßt.

      „Eh?“ beginnt die Alte. „Was wollen Sie hier?“

      „Graf Martini öffnet nicht!“

      „Hat er Sie eingeladen?“

      „Das nicht. Ich wollte nur —“

      „Geld fordern?“

      „Geht es Sie etwas an?“

      „Ja! Eine Schande und Pfui sage ich, wenn ein Mann verheiratet ist! Diese arme Frau, diese schöne Frau! Wie sie leidet! Solch ein vornehmer Mann, und gibt sich noch mit Weibern ab!“

      „Ich reiße dir alle Haare aus, alte Giftkröte!“ stammelt Julia, weiß vor Zorn, mit plötzlich ganz wachen Augen. Fäuste in die Hüften gestemmt, legt sie los. Ein Wasserfall von Beschimpfungen.

      Die Alte hält die Hände an die Ohren und geht, so schnell die matten Beine sie tragen, in die Wohnung.

      Vittorio ist langsam über die Straße gekommen.

      „Öffnet nicht?“

      „Nein. Nicht zu Hause!“ Julia macht ein verängstigtes Gesicht, die Wutausbrüche Vittorios gehen ihr auf die Nerven. Aber er bleibt sonderbar ruhig, sie wundert sich. Hat er es denn gewußt?

      „Gestern nicht zu Hause, vorgestern nicht zu Hause! Er hat eine andere, sage ich dir!“

      Julia wiegt sich einige Augenblicke nachdenklich in den Hüften.

      „Er hat keine andere. Er kennt mich lange genug. Aber warum schickst du mich zu ihm, wenn du doch siehst, daß die Fensterläden geschlossen sind, daß es zwecklos ist?“

      Sie schaut ihn forschend an. Das ist gerade der Blick, der Vittorio die gute Laune verderben kann.

      „Brütest du schon wieder über was?“ schreit er sie an, zerrt sie am Arm mit. „Warum soll ich das nicht tun! Woher soll ich wissen, daß er nicht da ist? Warum richtest du immer die aller dümmsten Fragen der Welt an mich, du rote Hexe?“

      „Ich dachte mir doch nichts dabei!“ entgegnet Julia eingeschüchtert. „Gehen wir!“

      „Gehen wir! Gehen