mich zur Begrüßung und kam kurze Zeit später in Arbeitsmontur zurück. Der Spruch Kleider machen Leute traf auf Christian definitiv zu. Nicht, dass er in Alltagskleidung unansehnlich wäre, aber in schwarzen Hosen mit weißem Hemd und Krawatte machte er ordentlich was her. Ich fand, dass ihm unsere Uniform wirklich ausgezeichnet stand.
»Also, was liegt für heute an? Lass mal sehen. Wow, voller geht es ja kaum.« Christian stand vor der Infotafel neben der Kasse und fuhr mit dem Zeigefinger über den Kalender. Wir waren heute fast ausgebucht. Sowohl mittags als auch abends waren nahezu alle Tische reserviert worden.
»Also schön, wo fangen wir denn an?« Christian studierte den Dienstplan und nahm beiläufig alte Notizzettel sowie abgelaufene Flyer ab.
»Mal sehen, Kai hat frei, Sören ist in der Berufsschule, Freddy, Sebastian und Collin haben Spätschicht. Okay, also sind wir bis heute Nachmittag nur zu dritt.« Er klatschte tatkräftig in die Hände und wir stürzten uns in den Alltagswahnsinn. Frühstück abdecken, den Festsaal eindecken und den Geschenkewagen präparieren, fürs Mittagsgeschäft vorbereiten und Massen an Gläser polieren.
***
»Komm, wir gehen schnell eine rauchen, bevor der Trubel weitergeht.« Es war kurz vor elf. Frank war schon fleißig am Vorbereiten und heizte seinen Unterstellten in der Küche gehörig ein. Aber das war ja nichts Neues. Die erste Reservierung war für halb zwölf angemeldet, also nutzten wir die kleine Pause und huschten noch mal schnell in den Innenhof. Nach wie vor zugestellt und wenig einladend empfing er uns. Auch das schöne Wetter hatte niemanden dazu inspiriert, etwas Ordnung zu schaffen. Mich natürlich auch nicht.
»Also, wie war dein Wochenende noch so?« Er hob erwartungsvoll die Augenbrauen, während ich versuchte eine angenehme Sitzposition zu finden. Das vergilbte Kissen auf dem Klappstuhl war so durchgesessen, das man es auch hätte weglassen können, ohne einen Unterschied zu spüren.
»Schön«, sagte ich knapp.
»Und?«, hakte er neugierig nach. Also fasste ich meinen Sonntag stichpunktartig zusammen und brachte ihn auf den neuesten Stand.
»Hendrik also. Ich hätte ja auf Marlon getippt.« Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Nur dieser eine Satz reichte, um meine Entscheidung kurzzeitig in Zweifel zu ziehen. Aber wirklich nur ganz kurz. Ich rutschte etwas unruhig auf meinem Stuhl herum, was meine Haut reizte und die wunde Stelle an meinem Hinterteil stechen ließ. Doch es war nicht so schmerzhaft. Eigentlich erregte es mich sogar ein wenig. Bei jedem Ziehen und Stechen erinnerte ich mich daran, wie es entstanden war. Es war verdammt heiß gewesen, wortwörtlich und auch im übertragenen Sinne.
»Na, was grinst du so?« Offenbar hatte ich mehr als eindeutige Gedanken, die sich auf meinem Gesicht abgezeichnet hatten. Reflexartig strich ich mir über die Arschbacke, während ich mich kurz nach vorn beugte.
»Sex-Flashback?«
»Könnte man so sagen. Hendrik ist … der Wahnsinn.« Christian hob die Hand in die Luft und suggerierte mir damit, ihm ein High Five zu geben. Eigentlich bescheuert, aber seine Aufregung darüber, wie spannend es bei mir gewesen war, steckte mich an. Ich klatschte sie ab und fühlte mich in dem Moment erneut wie ein notgeiler Teenager.
»Also, auf in die Schlacht.« Christian warf einen Blick auf die Uhr, drückte seine Zigarette in den Aschenbecher und stand auf. Er reichte mir die Hand und zog mich ruckartig vom Stuhl.
***
Das Mittagsgeschäft neigte sich allmählich dem Ende. Ich stand gerade an der Kasse zum Abrechnen. Das heißblütig ineinander verliebte Pärchen an meinem Tisch, welches sich unaufhörlich gegenseitig auffraß, war mehr als spendabel gewesen. Ich steckte das Trinkgeld in unseren Sparfrosch und stellte das leere Tablett auf dem Tresen der Bar ab. Christian zurrte sich seine Schürze wieder fest, die ihm ständig von den Hüften rutschte, und strich sich einige Haarsträhnen, die sich aus seinem Zopf gelöst hatten, zurück. Er schaute über die Theke, als wollte er sichergehen, dass uns niemand hörte, beugte sich zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr.
»Nur damit ich das richtig verstehe, du hast jetzt heißen, versauten Sex mit Hendrik und Marlon ist vom Tisch, oder?« Autsch.
»Ja«, sagte ich etwas wehmütig.
»Also kein Dreier mehr in Sicht?« Noch mal autsch. Ja, der Dreier war wohl oder übel vorerst gestrichen. Ungeachtet dessen, dass sich meine Fantasien in den letzten Wochen vorrangig um Hendrik und Marlon gemeinsam gedreht hatten, war mein Wunsch von einem Dreier im Allgemeinen noch immer da. Vorzugsweise mit den beiden. Hendrik wollte das nicht. Noch nicht. Vielleicht bekomme ich ihn ja doch noch überredet. Wobei, nein, unwahrscheinlich. Fuck. Da sind die Bilder wieder. Diese heißen, eindringlichen Bilder von mir und vier Händen auf meiner Haut. Scheiße.
»Alex? Noch da?«
»Wie? Nein, der Dreier ist gestrichen. Bedauerlicherweise.« Ich verschränkte die Arme und ließ mich etwas beleidigt an den Schrank hinter mir sinken. »Monogam zu sein, macht überhaupt keinen Spaß.« Christian lachte herzlich.
»Monogam? Ehrlich jetzt, wie lang bist du schon mit Hendrik monogam?« Er setzte das Wort monogam mehr als auffällig in Gänsefüßchen.
»Ja, schon gut.«
»Ich glaube kaum, dass du dir nach einem Tag Pseudomonogamie ein Urteil erlauben kannst. Geschweige denn, es verteufeln kannst, wo es noch gar nicht richtig angefangen hat. Und letztendlich ist eine Fantasie nur eine Fantasie. Mit der Realität haben doch die wenigsten etwas zu tun, oder nicht? Also, lehn dich zurück und lass es erst mal wirken, bevor du dir selbst alles madig redest. Davon wird man nur schlecht gelaunt und zynisch. Ich denke nicht, dass dir das stehen würde.« Ich schwieg, lächelte aber dezent. Er traf mal wieder ins Schwarze. Ich hatte schon immer dazu geneigt, mir alles zu vermiesen, wenn ich unsicher war oder meine Entscheidungen infrage stellte. Das war wieder typisch ich. Pessimismus als Vermeidungsstrategie. Sehr effizient. Aber an dieser Stelle wirklich überflüssig.
»Du hast ja recht«, gab ich seufzend zu und meinte es auch so. Christian hatte wirklich ein Talent dafür, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Er schaffte es gleichermaßen, sich mit mir zu freuen und mitzufiebern oder aber mir einen Spiegel vorzuhalten und in meine manchmal etwas wirren Gedanken Klarheit zu bringen. Wirklich angenehm, so jemanden in seiner Nähe zu wissen.
2
Ich stand gerade im Bad und schaute in mein zerknautschtes Gesicht, als es an der Haustür klingelte. Ich klatschte mir kaltes Wasser auf die Wangen, was mich kurz aufschrecken ließ, und ging etwas irritiert zur Tür. Wer klingelt denn bitte schön morgens um halb fünf?
»Bea, hi. Oh Gott, sag nicht, mein Wecker hat dich wachgerüttelt.« Bea stand mit kleinen verschlafenen Augen vor mir und hielt sich gähnend die Hand vor den Mund. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Hast du heißes Wasser?« Ich ging sofort zurück ins Bad, um nachzusehen, konnte aber kein Problem feststellen. »Na toll, dann muss ich diesen gruseligen Hausmeister schon wieder anrufen.«
»Wieder?«
»Vor zwei Wochen ist die Dusche bereits ausgefallen, da kam dann gar kein Wasser mehr. Zum Kotzen, ausgerechnet heute. Unser neuer Dirigent hat mich ohnehin schon auf dem Kieker.« Ich bot ihr an, bei mir zu duschen, wenn ich fertig sei.
Zehn Minuten später saß sie mit ihrem Kulturbeutel in den Händen an meinem Küchentisch, während ich durch die Wohnung stromerte und dabei versuchte, gefühlt fünf Dinge gleichzeitig zu erledigen. Kaffee trinken, Augenränder kaschieren, Haare bändigen …
»Und, wie ist seine Hoheit so?« Bea machte ein Würgegeräusch und schnaubte verächtlich.
»So jemand Aufgeblasenes habe ich noch nie erlebt. Der ist gerade mal seit vier Wochen bei uns und tut so, als würde ihm der Laden gehören. Ich meine, wir sind wirklich nur ein kleines Theater mit winzigem Budget und überschaubaren Mitarbeitern. Aber dieser Herr von und zu Heinemann spielt sich auf, als würden wir im Wiener Opernhaus auftreten.« Das klang echt übel. Bea bekam ganz rote Wangen, so sehr redete sie sich in Rage.
»Und