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DAS ALIEN TANZT WALZER


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sich zum Takt drehenden Raumstation ab.

      »Ah ja, klar! Ich erinnere mich daran. Das war ein Film aus meiner Kindheit: 2001 – Odyssee im Weltraum! Das ist jetzt über ein Jahrhundert her. Nein, diese Musik werden Sie heute nicht mehr finden. Die war schon veraltet, als dieser Film entstand!«

      Gulp ließ enttäuscht seinen Kammschopf hängen, seine gesunde rote Hautfarbe verblasste deutlich.

      »Na, na, nicht traurig sein, mein Lieber! Zumindest kann ich Ihnen sagen, wer diese Musik komponiert hat und wann und wo er gelebt hat: Das war nämlich ein gewisser Johann Strauß Sohn und er lebte vor zweihundert Jahren in einer Stadt namens Wien. Hallo? Hören Sie mir überhaupt zu?«

      Gulp war in eine für seine Spezies übliche Nachdenkstarre verfallen, registrierte aber dennoch jedes Wort seines Gesprächspartners. Beim vorletzten Satz des Erdlings besserte sich seine Laune wieder merkbar. Ihm war eingefallen, warum er sich damals für den (um einiges teureren) Quantenraumer anstelle einer gewöhnlichen Hyperjacht entschieden hatte: Der äußerst eloquente Verkäufer hatte ihn damals auf die Möglichkeit hingewiesen, mit dem Schiff auch Zeitsprünge machen zu können! Seinerzeit hatte er das hauptsächlich als Prestigefeature gesehen, mit dem er in seiner Clique, vor allem bei den anderen beiden Geschlechtern, angeben konnte. Aber jetzt…

      »Wann und wo genau finde ich diesen Strauss?«, fragte er den jungen Erdling, der eigentlich alt war.

      Lennard Ryder sagte es ihm und Gulp beamte sich auf sein Schiff zurück, nachdem er sich hastig bedankt hatte.

      Vielleicht hätte ich ihm auch sagen sollen, dass die Menschen damals nicht an den Anblick von Aliens gewöhnt waren, überlegte Ryder. Ach was, er wird es schon merken…

      »Komm, Sohnemann, Zeit fürs Frühstück!«, sagte er zu dem wieder in trübseliges Starren verfallenen Mann auf dem Sofa.

      »Woismeinemargarita?«, nuschelte dieser in seinen Fünftagebart.

      Johann Strauss junior war verzweifelt. Da saß er nun spätabends in seiner teuren neuen Wohnung in der Praterstraße vor dem besten Flügel, der für Geld zu haben war, und dieser stand stumm vor ihm, weil ihm nichts mehr einfiel! Endlich hatte er alles, was er sich für seine Karriere als Komponist erträumt hatte, und jetzt musste ihm so etwas passieren. Seine Frau Henriette, die geliebte Jetty, hatte er in ihrem Sommerhaus in Hietzing zurückgelassen, damit er in Ruhe arbeiten konnte, aber jetzt lagen schon mehrere Flaschen Weißwein kreuz und quer am Boden neben dem Klavier, die der Künstler aus Verzweiflung und auf der Suche nach Inspiration geleert hatte. Er löschte das Licht, stand mühsam auf und wankte zum Fenster, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Gerade als er dieses öffnen wollte, hörte er ein deutliches Plopp hinter seinem Rücken, gefolgt vom Scheppern von Glas und einem Plumpsgeräusch, als ob ein nasser Sack Hafer zu Boden gefallen wäre. Er drehte sich um.

      Im Schein der von der Straße herein leuchtenden modernen Gaslaternen vermeinte er, Folgendes zu sehen: Einen unförmigen Körper mit roter Haut, der versuchte, zwischen den umherrollenden Flaschen, über die er gestolpert war, wieder auf seine drei Beine zu kommen. Da er dabei auch drei Arme zur Verfügung hatte, klappte das eigentlich recht gut, fand Strauss. Er fragte sich weiters, ob er vielleicht heute außer am Wein auch noch ein wenig an der Absinthflasche genuckelt haben könnte, und musste sich eingestehen, dass er sich selbst darüber nicht schlüssig Auskunft geben konnte. Also zuckte er die Schultern und fragte seinen unverhofften Gast: »Woll'n S' vielleicht a Achterl?«

      Man sollte dazu vielleicht anmerken, dass die Wiener erstens, wenn Sie nicht gerade grantig sind, eigentlich ein sehr gastliches Volk sind, und zweitens, dass sie eine Gelegenheit zum Trinken sowieso nie auslassen. Und in dieser Hinsicht war Johann Strauss junior definitiv keine Ausnahme. Gulp hingegen nahm einmal mehr den Geruch von Ethanol aus den Getränkebehältern wahr, über die er gestolpert war, und fragte sich daher nicht ganz zu Unrecht, ob dieser energiereiche Stoff auf der Erde vielleicht ein Grundnahrungsmittel sein könnte. Er sah sich einem leicht schwankenden Einheimischen gegenüber, der ihm nun ein mit der besagten Flüssigkeit gefülltes Glas entgegenhielt. Er hatte nicht nur auf dem Kopf dunkle haarige Borsten, sondern seltsamerweise in Form einer riesigen Bürste auch über seinem Mundschlitz. Wahrscheinlich dient diese Vorrichtung zum Reinigen der Nahrung, mutmaßte er.

      »Gulp mein Name, verehrter Erdling. Sind Sie vielleicht Strauss, der Kleinere?«

      »Johann Strauss, der Jüngere, meine Verehrung, der Herr, aber sag’n S’ ruhig Schani zu mir! Zu Ihren geschätzten Diensten.«

      Gulp nahm das ihm dargebotene Glas vorsichtig entgegen und bedankte sich höflich. Der Musiker behielt gleich die ganze Flasche in der Hand und nahm sicherheitshalber einen langen durstigen Schluck daraus, bevor er fragte: »Womit kann ich Euer Gnaden dienen?«

      »Ich habe Ihre wunderbare Musik gehört und würde gerne mehr davon haben. Können Sie mir vielleicht einen Datenträger davon verkaufen?«

      Johann Strauß runzelte verwirrt die Stirn. Dass dies ein potenzieller Kunde sein könnte, schien ihm sicher, aber was redete der da?

      »Wenn S’ Noten von mir kaufen wollen, dann können S’ in jede Musikalienhandlung in Wien gehen. Ansonsten empfehle ich Ihnen an Konzertbesuch. Am nächsten Sonntag spiel’ i im Casino Dommayer in Hietzing, wenn’s beliebt.«

      »Nein, ich meine, eine Tonaufzeichnung, so wie diese hier«, sagte Gulp und spielte einmal mehr das Video auf seinem Holoschirm ab.

      Die Wirkung auf den Erdling war verblüffend! Er machte vor Schreck einen Satz nach hinten, stolperte dabei und fiel auf denjenigen Körperteil, den diese Spezies normalerweise zum Sitzen benützte.

      »Was haben S’ denn da? An Orchestra in der Tasch’n? ‘S is a Mirakel!«, stieß er atemlos hervor. Doch dann gewann die musikalische Neugier die Oberhand und er lauschte mit steigendem Interesse den Klängen.

      »Wer ist denn der Maestro, der das komponiert haben mag?«, fragte er ehrfürchtig, als die letzten Töne verklungen waren. Gulp stutzte. War das doch nicht der richtige Erdling?

      »Das waren doch Sie!«, stellte er trocken fest. Sehr trocken, denn an dem dargebotenen Glas hatte er wohlweislich nicht einmal genippt. Dann sah er auf das Display eines kleinen Geräts, das einer Fernbedienung nicht unähnlich war.

      »Oh, Mist!«, meinte er dann zerknirscht. »Verzeihung, mein Herr, ich muss mich korrigieren. Ich meinte natürlich: Das werden Sie sein!«

      »Wie meinen, Euer Gnaden?« Johann Strauss junior befand sich natürlich geistig äußerst fest verankert im Spätsommer des Jahres 1866 und war daher mit den Fallstricken von Zeitparadoxa eher wenig bis gar nicht vertraut.

      »Nicht so wichtig!«, sagte Gulp hastig. »Leider ist meine Zeit begrenzt und ich muss jetzt gehen. Nächsten Sonntag in Hietzing, sagten Sie? Ich werde dort sein, leben Sie wohl!«

      Mit einem Plopp verschwand er genauso schnell, wie er erschienen war.

      »Aber dann zieh’n S’ sich was G’scheiteres an, in so an roten Anzug kann man do ned auf die Straß’ gehen, oder?«, zeigte sich der Musiker noch mild entrüstet. Doch nun beschäftigte ihn bereits ein ganz anderer Gedankengang und er setzte sich eifrig ans Klavier. Wie war die Melodie doch gleich gegangen? Er summte ein wenig im Dreivierteltakt vor sich hin. Dann griff er beherzt in die Tasten seines Flügels.

      Gulp blieb noch länger in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. Nachdem er ein paar sehr unerquickliche Erlebnisse mit fürchterlich erschreckten Einheimischen gehabt hatte, bestellte er sich bei Allmazon eine Holotarnung, die es ihm erlaubte, wie ein ganz normaler Bewohner von Wien durch die Stadt zu flanieren. Auch besuchte er solcherart verkleidet oft Tanzveranstaltungen, vorzugsweise, wenn Meister Strauss ein Konzert gab. Dass er dort als Walzertänzer bei der Damenwahl äußerst beliebt war, lag möglicherweise auch daran, dass er sein drittes Bein unter der Tarnung in seiner Körpermitte aufgerollt und verstaut hatte, was bei engeren Tanzschritten zu unglaublichen Verzückungen seiner Tanzpartnerinnen führte. Er selbst fand ja, dass drei Beine für den Walzer weitaus besser geeignet