Daniel Norden«, schimpfte Fee und ließ einen extragroßen Klecks Marmelade auf die Brotscheibe fallen. Zucker beruhigte bekanntlich die Nerven. »Ich finde es einfach schön, dir noch einmal das Jawort zu geben.«
»Warum habt ihr das nicht mit Danny und Tatjana gemacht?« Als letzte der noch verbliebenen Hausbewohner gesellte sich Anneka zu ihrer Familie an den Frühstückstisch. »So eine Doppelhochzeit wäre doch schick gewesen.«
Ein Klingeln mischte sich in die Radioklänge. Fee stand auf.
»Nein, nein. Das war schon alles gut so.« Mit Schrecken erinnerte sie sich an das Chaos, das die Hochzeit ihres Ältesten um ein Haar vereitelt hätte. »Das war der Ehrentag der beiden. Und wenn, dann suchen euer Vater und ich uns die Zeremonie aus, die uns vorschwebt.« Mit diesen Worten verließ sie das Esszimmer.
»Sieht so aus, als hättest du keine Chance. Armer Dad.« Dési streichelte ihrem Vater den Rücken. Das Zucken um ihre Mundwinkel verriet sie.
Dagegen war Jans Mitgefühl echt.
»Keine Sorge, Dad. Irgendeine Ausrede fällt uns schon ein. Und im Zweifel entführe ich dich auf eine LAN-Party. Da vermutet Mum dich nie und nimmer.«
»Kann man das essen?«, fragte Anneka und schob sich ein Stück Croissant in den Mund.
Janni schnaubte. Was hatte er verbrochen, dass er sein Leben zwischen Unwissenden fristen musste?
»Bei einer LAN-Party werden private Computer durch ein lokales Netzwerk miteinander verbunden, um gemeinsam Computerspiele zu spielen.«
Daniel leerte seine Tasse. Mit einem Blick auf die Armbanduhr folgte er dem Beispiel seiner Frau.
»Vielen Dank für das Angebot. Aber bevor ich an so einer Veranstaltung teilnehme, gebe ich deiner Mutter lieber noch einmal das Ja-Wort.«
Dési und Anneka prusteten gleichzeitig los.
»Was gibt es da zu lachen?« Mit dem Telefon in der Hand kehrte Fee ins Esszimmer zurück.
»Das erkläre ich dir ein andermal.« Daniel gab ihr einen Kuss. »Ich muss los. Der Kollege Maurer holt mich in einer Stunde von der Klinik ab. Bis dahin will ich unbedingt noch einmal bei dem Patienten auf der Quarantänestation vorbeischauen, der in den frühen Morgenstunden eingeliefert wurde.«
Die Schilderung des Notarztes Matthias Weigand am Telefon besorgte den Klinikchef nachhaltig. Fee dagegen hatte andere Sorgen.
»Ach, du bist ja bis morgen auf dem Kongress.« Ihre Mundwinkel wanderten nach unten. »Das hatte ich völlig vergessen.«
»Warum schaust du denn so traurig? Bisher bin ich noch jedes Mal wiedergekommen.«
»Darum geht es doch gar nicht. Es ist wegen Felix.« Felicitas hielt das Telefon hoch. »Er ist heute Nacht in München gelandet und kommt für zwei, drei Tage vorbei. Ich habe Tatjana zwar versprochen, heute auf Fynn aufzupassen. Trotzdem hätten wir am Abend eine kleine Familienfeier organisieren können.«
»Das geht leider nicht.« Daniel schüttelte den Kopf. »Und morgen Abend ist es auch schlecht. Da haben wir eine Schulung für das neue Röntgengerät.«
»Ich habe weder heute noch morgen Zeit. Bin für die Abendschicht an der Tankstelle eingeteilt«, erklärte Jan.
»Bei mir ist es auch schlecht. Ich habe eine Informationsveranstaltung von der Uni«, musste auch Dési dem Plan ihrer Mutter eine Absage erteilen.
»Warum sagt der Herr nicht ein bisschen früher Bescheid? Denkt er, die ganze Welt wartet nur auf ihn?« Annekas Frage war berechtigt.
»Ich denke, er weiß selbst nie so genau, wann er für welchen Flug eingeteilt wird.« Felicitas seufzte. »Auf jeden Fall wird er traurig sein, dass er euch nicht sieht.«
»Dann musst du uns eben würdig vertreten und das Familienfest vertagen.« Es nützte nichts. Daniel musste aufbrechen. Wenig später machte es ihm seine Familie nach und zerstreute sich in alle Himmelsrichtungen.
*
Zwanzig Minuten später betrat der Klinikchef die Quarantänestation. Eingehüllt in einen Overall, stand Schwester Elena am Bett und versorgte den Patienten. Dr. Weigand stand draußen vor der Scheibe und verfolgte die Bemühungen seiner Freundin und Kollegin.
Als er die Schritte hörte, warf er einen Blick über die Schulter. Dr. Norden trat neben ihn.
»Und? Wie geht es unserem Patienten?«, erkundigte er sich.
»Wie heißt es so schön? Den Umständen entsprechend.«
»Wisst ihr schon, was ihm fehlt?«
»Er ist gestern am späten Abend mit einer Maschine aus Mexiko gekommen. Aus einer Gegend, in der gerade der Grippevirus A/ H1N1 wütet. Noch haben wir keine Beweise. Aber der Verdacht liegt nahe, dass er sich angesteckt hat.«
»Schweinegrippe.« Daniel erinnerte sich gut an die letzte Pandemie, die damals als einfache Grippewelle in Südamerika begonnen und sich schnell über die ganze Welt ausgebreitet hatte. Das veränderte A-Virus H1N1 wies Teile des Erbguts von menschlichen, aber auch von Influenzaviren aus Schweinen und Vögeln auf. Daher der Name. »Kein sehr schönes Souvenir.«
»Du sagst es.«
»Habt ihr schon Kontaktpersonen ausfindig gemacht?«, erkundigte sich Dr. Norden.
»Eine Kollegin saß während des Flugs neben Herrn Budai. Die beiden sind als Archäologen an Ausgrabungen der Templo-Mayor-Anlage beteiligt.«
Die zweite Information interessierte den Klinikchef im Augenblick weniger.
»Wie heißt die Dame?«
Matthias zwinkerte Daniel zu.
»Das weiß ich nicht. Aber mach’ dir keine Hoffnungen. Der Kollege Aydin hat sich schon bereit erklärt, deine Assistentin bei der Suche zu unterstützen.«
»Schade«, erwiderte Daniel. Es war ihm anzusehen, dass er es nicht ernst meinte. »Na, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich auf den Weg zum Kongress zu machen. Bitte haltet mich auf dem Laufenden.« Er nickte den Kollegen zu und verließ das Zimmer und schließlich die Quarantänestation. Vor der Klinik wartete bereits der Kollege Axel Maurer auf ihn.
»Es geht ja schon wieder hoch her bei euch.« Während Axel auf eine Lücke im Verkehr wartete, deutete er auf den Notarztwagen, der mit Blaulicht in die Einfahrt zur Notaufnahme einbog. »Gut, dass ich dich jetzt entführe. Diese Verschnaufpause hast du dir redlich verdient.«
*
»So, mein Süßer. Wasch’ dir schon einmal die Hände! Gleich gibt es Mittagessen.«
Dieser Hinweis war eigentlich überflüssig. Die Fischstäbchen zischten in der Pfanne mit den Bratkartoffeln um die Wette. Nur der Salat stand stumm auf dem Tisch und wartete geduldig auf seinen großen Auftritt.
Fynn hatte seiner Oma Fee fleißig bei den Vorbereitungen geholfen. Jetzt kletterte er von seinem Schemel und watschelte Richtung Gästetoilette davon. Sein Windelpopo wackelte im Takt mit seinen Schritten.
»Fynni Ände wascht«, plapperte er vor sich hin.
Fee sah ihm lächelnd nach. In Gesellschaft ihres ersten Enkelkindes fühlte sie sich um Jahre zurückversetzt. In eine Zeit, in der sie eine junge Mutter gewesen war. Mehrere Leben schienen seitdem vergangen zu sein. Und obwohl sie ihren Beruf als Leiterin der Pädiatrie der Behnisch-Klinik über alles liebte, bedauerte sie es manchmal, nicht mehr Zeit mit Fynn zu verbringen, nicht öfter in den Erinnerungen schwelgen zu können.
Gedankenverloren wendete sie die Fischstäbchen und schaltete den Ofen aus. In das Zischen mischten sich Stimmen. Fee erschrak. Hatte sie etwa vergessen, die Tür abzuschließen?
»Nicht weglaufen, Fynn!«, rief sie auf dem Weg in den Flur. Ein paar Meter weiter blieb sie stehen. Unwillkürlich hielt sie die Luft an, so schön war das Bild vor ihren Augen. Ein junger Mann, die markanten Zügen halb verdeckt von einem gepflegten Bart, auf Knien vor