Nele Kreyßig

Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen


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einen Fünfzig-Euro-Schein im hinteren Teil ihrer Börse. Geht das nicht ein bisschen schneller? Inzwischen ist meine Laune auf dem Tiefpunkt.

      So richtig gut begonnen hat der Tag ohnehin nicht. Auf mein – wie ich fand – tolles Seminarkonzept hin rief mich die Assistentin des Personalleiters an. Alles sei wunderbar, nun müsse ich nur noch das Ganze in das dafür vorgesehene Formular der Personal-abteilung eintragen. »Sie verstehen, Frau Kreyßig, die Vorschriften. Ich maile Ihnen mal den Bogen. Den brauchen wir möglichst heute noch zurück, um das Go des Chefs zu bekommen.« Als ich den Anhang öffnete, stieß ich auf ein achtseitiges Formblatt mit vielen Kästen, Ausfüllblöcken und Winzigschrift. Na prima. Müssen die so bürokratisch sein? Während ich mich durch die Seiten kämpfte, der Anruf einer Freundin: Sie organisiert den Junggesellinnenabschied einer gemeinsamen Freundin und wollte nun Ideen mit mir durchsprechen. Ob ich rote oder rosa T-Shirts besser fände? Ich atmete tief durch und entschied mich für Rot. »Warum das denn? Also, ich fänd ja Rosa besser.« Meine Güte, hat die nichts Besseres zu tun? Ich versuchte, das Gespräch abzukürzen, und erntete ein pikiertes: »Du hast ja nie Zeit!« Ich legte auf und kämpfte den Rest des Nachmittags mit meinem schlechten Gewissen und dem Ausfüllformular. Und jetzt auch noch die Kleingeldfetischistin vor mir.

      Wenn die anderen uns das Leben schwer machen …

      Kommt Ihnen das bekannt vor? Wir verbuchen das schnell unter »mieser Tag«. Glück sieht anders aus. Wenn die anderen sich nur ändern würden, schneller wären, unbürokratischer, weniger kompliziert! Unser Leben wäre so viel einfacher. Doch was ist eigentlich passiert? An der Supermarktkasse hat es zwei Minuten länger gedauert, am Freitagabend keine große Überraschung. Das Konzept wird vermutlich angenommen, es gibt nur noch eine überschaubare Hürde. Und in drei Wochen wird es eine rauschende Party geben, auf die ich mich eigentlich freue. Und doch kennen wir wohl alle den Gedanken, unser Leben wäre leichter und letztlich auch glücklicher, wenn »die anderen« uns nicht immer wieder kleinere oder größere Knüppel zwischen die Beine werfen würden. Langsame Mitkunden oder nervige Formulare sind da noch das geringste Übel. Wie viele Eltern hadern mit ihren längst erwachsenen Kindern, beispielsweise weil die nicht so ehrgeizig sind wie erhofft und statt Arzt lieber Eventmanager werden? Wie viele erwachsene Kinder besuchen ihre vermeintlich »spießigen« Eltern nur noch aus Pflichtgefühl und leiden unter den immer gleichen Themen und Vorhaltungen am Kaffeetisch? Wie viele Führungskräfte schimpfen über die Azubis von heute, die alles über Apps und Smartphones wissen, aber noch nie was von Kommasetzung gehört haben? Wie viele Beziehungen zerbrechen an unterschiedlichen Vorstellungen davon, was ein »gelungener Abend« ist und wie penibel es im Haushalt zugehen muss? Ganz zu schweigen davon, wie man »richtig« Weihnachten feiert und die Grundsatzfrage »Bei deinen oder meinen Eltern?« löst.

      Der Änderungswunsch ist gegenseitig und er ist überall. Doch wenn ich will, dass du dich änderst, und du willst, dass ich mich ändere, finden wir uns gemeinsam in einer Sackgasse wieder. Und dann? Stillstand, Sprachlosigkeit, im schlimmsten Fall Entfremdung und Trennung. Mein persönlicher Schlüsselmoment war ein einziger Satz, der eine langjährige Freundschaft zerstörte, die zu meiner Hamburger Freundin Katja. Wir kannten uns seit unserem elften Lebensjahr. Hatten zusammen unsere Jugend verbracht, Boygroup-Sänger angeschmachtet, getanzt, gelacht, geweint, gestritten, uns wieder vertragen, unzählige gemeinsame Urlaube, Abende, Tage, Nächte und Stunden miteinander erlebt und richtig viel Spaß miteinander gehabt. Eines Abends vor einigen Jahren – wir hatten uns gerade noch prächtig amüsiert – erzählte ich ihr, dass ich mich entschieden hätte: Ich würde von Hamburg nach Freiburg ziehen. Meine große Liebe lebte dort, und ich genoss jede Sekunde in dieser Stadt und Region. Katjas Reaktion machte mich erst einmal sprachlos: »In Freiburg kannst du doch niemals glücklich werden!«

      Pause. Ich glaubte nicht richtig zu hören, zwang mich, durchzuatmen. Wie bitte?! Kein »Oh, ich freue mich, dass du dein Glück gefunden hast!«. Kein »Cool, wann kann ich dich besuchen kommen?«. Kein »Wann geht’s los? Brauchst du Hilfe beim Umzug?«. Schlagartig schien die Raumtemperatur um zehn Grad gefallen zu sein. Wenig später verabschiedete ich mich kühl. Ein paar höfliche Telefonate später war es vorbei mit unserer Freundschaft. Das tat richtig weh, doch mit Katja darüber reden oder ihr verzeihen konnte ich damals nicht. Mir ist natürlich bewusst, dass nicht dieser eine Satz unsere Freundschaft zerstörte. Es gab eine Vorgeschichte der schleichenden Entfremdung, zu der auch ich meinen Teil beigetragen habe, keine Frage.

      Warum der Änderungswunsch in eine Sackgasse führt …

      Bis ich anfing, mich intensiv mit Persönlichkeit und ihren Wurzeln zu beschäftigen, wusste ich nicht, was ich hätte anders machen sollen. Heute ist mir klar: Katjas kompromissloses Urteil und der Wunsch, der andere möge sich ändern, sind Kehrseiten derselben Medaille – der Medaille unserer persönlichen Prägung, unserer Werte und Gewohnheiten, unserer Erfahrung und nicht zuletzt auch unserer Gene. All das bestimmt, wie wir die Welt sehen. Das Vertrackte dabei: Wir unterstellen, die oder der andere müsse »die« Welt doch genauso sehen. Und wundern uns, warum sie oder er so merkwürdig anders reagiert und urteilt. In Katjas Vorstellung war Hamburg der Nabel der Welt. Ihr Vater, ein begnadeter Musiker, war hier geboren und erfolgreich geworden, hatte alle Höhen und Tiefen eines Künstlerlebens in Hamburg durchlebt. Dass es nirgendwo anders schöner sein konnte als in dieser Stadt, war in Katjas Welt vollkommen klar. Hamburg war der sichere und inspirierende Hafen, den man nicht verlassen sollte und wollte. Mit meinem heutigen Wissen hätte ich verständnisvoller reagiert. Ich hätte Katjas Statement nicht als herzlos gedeutet, sondern die Angst herausgehört, mich als Freundin zu verlieren. Ich hätte darüber gesprochen, wie sehr ich mir wünsche, dass unsere Freundschaft die Entfernung überlebt. Vermutlich hätte ich Katja und mir selbst viel Traurigkeit erspart. Mein Leben wäre phasenweise sehr viel glücklicher gewesen. Und Katja zählte vermutlich noch heute zu meinem Freundeskreis.

      … und wie es sich gelassener lebt.

      Inzwischen bin ich überzeugt: Wer sich mit echter innerer Überzeugung von der Idee verabschiedet, andere müssten die eigene Weltsicht teilen und sich so verhalten, wie man selbst sich das vorstellt, lebt zufriedener und glücklicher. Sie oder er hat bessere Beziehungen und bekommt mehr Anerkennung und Wertschätzung als jemals zuvor – eine der wichtigsten Glücksquellen überhaupt. Dabei geht es nicht um Gleichgültigkeit, sondern um Verstehenwollen, um ein Verständnis, das zugleich die Chance bietet, gemeinsam aus der Sackgasse gegenseitiger Vorurteile und Forderungen herauszufinden. Dieses Buch ist als Wegweiser dazu gedacht. Es bündelt mein Wissen über Persönlichkeit und nimmt Sie mit auf eine Reise, die spannender ist als jeder Abenteuerurlaub: die Reise ins eigene Ich und in die Welt unseres Gegenübers. Im Kapitel 2 gibt es einige Übungen, die Sie auf dieser Reise unterstützen werden. Die Übungen stehen Ihnen zusätzlich als kostenfreier Download zur Verfügung, Sie finden Hinweise an den entsprechenden Stellen im Buch.

      Viel Spaß dabei wünscht Ihnen

      Ihre Nele Kreyßig

      Freiburg im Breisgau, Herbst 2019

      Vollkommen liebenswert und vollkommen hassenswert sind nur die Menschen, die man nicht kennt.

      Evelyn Waugh

      1IN DER BEWERTUNGSFALLE

      Kennen Sie Rumpel? Das ist der Griesgram in der Sesamstraße. Neben Schrott und Müll liebt er Leute, die schlechte Laune haben. Wenn jemand gut drauf ist oder gar begeistert, bringt ihn das aus dem Konzept. Wir alle kennen solche Rumpels: den Onkel, der jede Familienfeier mit Dauerschimpfen über die Politik, die Wirtschaft, die EU oder auch die Jugend von heute beglückt. Die Nachbarin, die ein Haar in jeder Suppe findet (Treppe nicht geputzt, Staubsaugen in der Mittagsruhe oder die Neuen, die sich noch nicht vorgestellt haben). Die Bekannte, die auf die arglose Frage »Wie geht’s?« jedes Mal haarklein berichtet, was ihre Chefin (oder auch ihr Mann, der Handwerker, die Klassenlehrerin) wieder alles falsch gemacht hat. Was wir dabei gern übersehen, ist der Rumpel in uns selbst. Und der kann uns das Leben hin und wieder ganz