Doch was passiert, wenn wir unter Stress stehen? Vom Unfallforscher Rüdiger Trimpop haben wir bereits gehört, dass Menschen sich in heiklen Situationen noch stärker auf einen kleinen Wirklichkeitsausschnitt konzentrieren und vom Radfahrer in der Einbahnstraße bis zum Flugzeugcrash auf dem Radarschirm alles Mögliche übersehen. Im Crew Resource Management geht man von folgenden Wahrnehmungsveränderungen in Stresssituationen aus:
– Die Wahrnehmung wird eingeschränkt,
– man entwickelt einen Tunnelblick,
– es kommt zu stressbedingten Wahrnehmungsverzerrungen.
Crash wegen Treibstoffmangel: New York 1990
Gleichzeitig verändert sich auch das Kommunikationsverhalten: Es wird weniger kommuniziert, die Neigung zu stillschweigenden Interpretationen des Verhaltens anderer wächst. Die Hemmschwelle etwa für verbale Angriffe auf das Gegenüber sinkt. Ein typisches Beispiel für einen Flugzeugcrash, der durch mangelnde Kommunikation verursacht wurde, ist der Absturz einer Maschine der kolumbianischen Fluglinie Avianca im Januar 1990 unweit des New Yorker Kennedy Airports. An der amerikanischen Ostküste herrschte schlechtes Wetter mit Nebel und starkem Wind. Deshalb wurde die Maschine, die in Medellin gestartet war, in etliche Warteschleifen dirigiert und erhielt erst mit 90 Minuten Verspätung die Landeerlaubnis für den Kennedy Airport. Ihr Treibstoff reichte für den Flug nach New York sowie für zwei weitere Flugstunden. Unglücklicherweise misslang der erste Landeversuch: Die Piloten mussten wegen starker Scherwinde durchstarten und verloren weitere kostbare Zeit – und Treibstoff. Schließlich fiel ein Triebwerk nach dem anderen aus, die Boeing 707 stürzte auf Long Island ab. 73 der 158 Insassen starben. Die übrigen überlebten, weil kein Feuer ausbrach, denn: Die Tanks der Maschine waren leer.
Kommunikationsprobleme im Cockpit
Der Wissenschaftsjournalist Malcolm Gladwell, der dieses Beispiel in seinem Buch Überflieger verarbeitet, wundert sich über die Passivität der Besatzung, während die Katastrophe immer unausweichlicher wurde: »Und während all dem herrschte im Cockpit bleiernes Schweigen.«7 Zuvor war es dem Kopiloten als eine Folge von Missverständnissen nicht gelungen, der Flugsicherung am Kennedy Airport klarzumachen, wie verzweifelt die Lage inzwischen war. Das simple Wort »Notfall« (Emergency) kam ihm nicht über die Lippen. Stattdessen begnügte er sich mit einem vergleichsweise schwachen »We need priority« (Wir brauchen Vorrang) und dem Hinweis »Wir haben kaum noch Treibstoff«. Da das bei allen landenden Flugzeugen der Fall ist, war niemandem im Tower die Dramatik der Lage klar.8 Wer die aufgezeichneten Cockpitäußerungen liest, bekommt den Eindruck, der Kopilot habe irgendwann resigniert. Hinzu kamen kulturelle Barrieren, die es dem Südamerikaner offensichtlich erschwerten, mit der als »ruppig« bekannten US-Flugsicherung Klartext zu reden.
Intellektuelle Notfall maßnahmen
Rückzug und Resignation, Misstrauen und negative Unterstellungen, Erstarrung und Passivität, ein stures Festhalten am einmal eingeschlagenen Kurs, »Eigenbrötlertum« und weniger Abstimmung im Team – dies sind typische Reaktionsweisen in Stresssituationen, die im Crew Resource Management bekannt sind. Denken Sie an die letzte Krisensituation im Unternehmen zurück: Fallen Ihnen Parallelen auf? Was passiert, wenn Umsätze sinken, Karrieren bedroht sind, drastische Einschnitte angekündigt werden? Wie wirkt sich das auf die Kommunikation im Team aus? Wie differenziert wird noch argumentiert? Wie planvoll wird noch reagiert? Wie nüchtern wird die Situation noch analysiert? Franz Reither diagnostiziert in seinem Buch über Komplexitätsmanagement eine Neigung zum Rückgriff auf »intellektuelle Notfallmaßnahmen« in unsicheren Situationen, in denen Misserfolg droht. Dazu zählt er »Fluchtreaktionen, Ausweichmanöver, Einkapselung, Verharmlosung, Irrationalismus, Resignation, vorschnelles Reagieren, unzuverlässige Vereinfachungen, Herabsetzung der Selbstkontrolle, Gewaltlösungen«.9 Da ist sie wieder: die unheilvolle Trias von Abhauen, Angreifen oder Totstellen, mit der schon unsere Ahnen in grauer Vorzeit Bedrohungen begegneten. Doch was im Neandertal noch wunderbar funktioniert haben mag, kann in den Bürotürmen und Produktionsstätten von heute direkt in die Insolvenz führen. Was also können Sie tun, um Stress im Unternehmen professionell zu managen?
ANTI-CRASH-FORMEL
Vermeiden Sie Sprachlosigkeit, Abschottung und Resignation – fördern und fordern Sie das Gespräch mit Ihrer Mannschaft! Hören Sie zu, auch wenn Ihnen nicht gefällt, was Sie hören.
Professionelles Stressmanagement im Unternehmen
Erfolgsduo: Stressprävention plus Notfallplan
Wie gut ist Ihr Unternehmen auf kritische Situationen vorbereitet? Auch gut ausgebildete Mitarbeiter, ein professionelles Controlling und regelmäßige Abstimmungen und Meetings auf Leitungsebene können nicht verhindern, dass eine Organisation ins Trudeln gerät. Wie vermeiden Sie, dass sich Probleme aufschaukeln, bis Kopflosigkeit um sich greift? Das beste Stressmanagement ist Stressprävention. Und ist die Krise erst mal da, sollten Sie einen Notfallplan haben.
Krisensimulation: Vorbereitung für den Ernstfall
Fehlende Krisenprävention in der Managerausbildung
Das Training im Flugsimulator ist fester Bestandteil jeder Pilotenausbildung, und auch später müssen Linienpiloten ihre Fähigkeiten und ihre »Krisenfestigkeit« regelmäßig im Simulator überprüfen lassen. Wer stressige Situationen vorab durchgespielt hat, kann im Ernstfall besonnener handeln. Diese Erkenntnis steckt auch hinter den Übungen von Einsatzkommandos der Polizei oder im militärischen Bereich: Stress ergibt sich nicht (nur) aus äußeren Stressoren, sondern aus dem Zusammenspiel von Situation und Wahrnehmung durch den Einzelnen. Warum gibt es eigentlich keinen »Krisensimulator« in der Managerausbildung? Rund 30000 Unternehmensinsolvenzen jährlich allein in der Bundesrepublik sollten eigentlich Grund genug sein, über potenzielle Gefahren nachzudenken, auch wenn momentan noch alles rund läuft.
Mögliche Worst-Case-Szenarien überdenken
Wer im schlimmsten Fall nicht kopflos reagieren will, sollte vorbereitet sein. Es lohnt sich daher, Worst-Case-Szenarien durchzuspielen: Was wäre die schlimmstmögliche Entwicklung, mit der Sie in absehbarer Zeit konfrontiert sein könnten? Konkret könnte das der Verlust eines wichtigen Schlüsselkunden sein, mit dem Sie mehr als ein Drittel Ihres Umsatzes bestreiten. Es könnte das Billigangebot eines ausländischen Konkurrenten sein, der zu Konditionen liefert, bei denen Sie nicht mehr mithalten können. Im Konsumgüterbereich könnte es eine Veränderung der Konsumentengewohnheiten geben, die zu drastischen Umsatzeinbrüchen bei Ihrem bis dato bestverkäuflichen Produkt führt. Der Zeitgeschmack könnte sich wandeln, Ihr Produkt könnte – aus welchen Gründen auch immer – Negativschlagzeilen machen. Ihre Bank könnte Ihnen die Kreditlinie streichen, Ihre Finanzierung zusammenbrechen. Nehmen Sie sich die Zeit und sammeln Sie so viele potenzielle Bedrohungsszenarien wie möglich. Hüten Sie sich vor vorschnellen Verharmlosungen à la »Das kann eh nicht passieren«. Spielen Sie den Ernstfall konkret durch: Wie würden Sie handeln? Was spricht eigentlich dagegen, sich im Leitungsteam einmal im Jahr aus der Alltagsroutine auszuklinken und für den Worst Case zu planen?
ANTI-CRASH-FORMEL
Proben Sie den Worst Case im Krisensimulator – mindestens ein Mal jährlich für einen Tag!
Krisensimulation als Chance
Möglicherweise werden bei Vorbereitung wie Durchführung eines solchen Planspiels Sorgen und Befürchtungen zur Sprache kommen, für die im Alltagsgeschäft sonst kein Platz ist. Und sehr wahrscheinlich werden Sie aus der Diskussion möglicher Gefahren auch konkrete Anregungen für den Alltag mitnehmen – sei es, dass Sie Ideen entwickeln,