nichts mehr schiefgehen, denkt man. Genau das ist der Irrtum. Belbin konnte in seiner über 30-jährigen Forschung beweisen, dass es auf die richtige Balance zwischen funktionalen Rollen und Teamrollen entscheidend ankommt.
SO SIND SIE IM TAKT
Achten Sie auf die persönlichen und charakterlichen Rollen Ihrer Teammitglieder mindestens so sehr wie auf die fachlichen Profile. Die charakterlichen Teamrollen sind der wichtigste Erfolgsfaktor für Ihr Team.
In Gewinnerteams passen alle Rollen perfekt.
Gewinnerteams, die mit Begeisterung und Leidenschaft auch mal Überstunden machen, unterscheiden sich von weniger erfolgreichen Teams dadurch, dass die Teamrollen perfekt passen. Jeder spielt im Team exakt die Rolle, die seinem Charakter, seinen Neigungen und Talenten entspricht. Umgekehrt sind in jedem Team sämtliche Teamrollen vertreten, die nötig sind, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Da die Teamrollen heute in den wenigsten Unternehmen ausreichend beachtet werden, sind sie wie ein verborgener Schatz, den Führungskräfte heben können.
Ein Spitzenorchester kann viele verschiedene Stücke spielen
Die Stücke ändern sich, die Instrumente bleiben.
Während der verrückten Aktionswoche bei »Set Point« gerieten die Hierarchien und Funktionen völlig durcheinander. Wie bei einem großen Karneval schlüpften Mitarbeiter in ungewohnte Rollen. Der Banker betätigte sich als Lagerarbeiter, der IT-Administrator beriet Kunden und der Marketingleiter ließ sich vom Azubi zeigen, wie man Hemden faltet. Doch nur die funktionalen Rollen wurden getauscht – nicht unbedingt die Teamrollen! Auch als Lagerarbeiter behielt der Banker alle Zahlen im Kopf. Er hätte jederzeit sagen können, wie viele weiße Hemden noch am Lager sind. Der IT-Administrator erklärte den Kunden jedes Detail eines Hemdes. Einschließlich Material und Waschvorschrift. Und der Marketingleiter hörte dem Azubi zwar zu, machte aber gleichzeitig Witze und verbreitete gute Laune. Wie jeden Morgen im Büro. Alle machten mal was anderes – und blieben sich doch treu.
Eine Aktion wie bei der holländischen Bekleidungskette können Sie nicht in jeder Firma machen. Wenn die Mitarbeiter überhaupt dazu bereit sind, werden sie unter ungünstigen Umständen im Chaos enden. Ich vergleiche das gern mit einem Spitzenorchester und Amateurmusikern. Die Amateure haben schon mit etwas schwierigeren Stücken Probleme. Sie üben und üben und spielen dann doch falsch. Ein Spitzenorchester dagegen spielt an einem Abend alle möglichen Stücke. Erst Brahms, dann Schönberg, dann Henze. Und zwischendurch noch die »Jazz Suite« von Schostakowitsch. Alles kein Problem. Jeder im Orchester ist eben Virtuose auf seinem Instrument. Und kann dieses Instrument immer wieder in unterschiedlichen Stücken zum Klingen bringen.
Sich die Teamrollen bewusst machen
Erfolgreiche Teams in Unternehmen sind genauso. Alle wissen, welche Rollen ihnen am meisten liegen. Der eine ist der kreative Kopf – der andere sorgt dafür, dass Dinge, die angefangen wurden, auch zu Ende gemacht werden. Der eine gibt gerne Gas – der andere achtet darauf, dass niemand unter die Räder kommt. Und einer ist immer derjenige, der einfach unauffällig die Arbeit macht und die Steine aus dem Weg räumt. In absoluten Spitzenteams ist sich jeder seiner Lieblingsrolle auch voll bewusst. Er kennt seinen Beitrag zum Ganzen. Er hält sich dabei weder für besser noch für schlechter als die anderen und möchte mit niemandem tauschen. In einem Spitzenorchester beneidet auch nie der Bassist den Violinisten. Jeder hat sich für sein Lieblingsinstrument entschieden. Und jeder ist unentbehrlich für die Aufführung der Musik.
Wo kein Team die Kunden begeistert, sieht es düster aus.
Leider gibt es auch Business-Teams, die bestenfalls wie Amateurorchester spielen. Die deutsche Drogeriekette Schlecker zum Beispiel expandierte über drei Jahrzehnte in rasantem Tempo. Das Unternehmen wollte europaweiter Marktführer werden. 1989 kam Schlecker nach Holland und eröffnete 20 Jahre später hier in Heerlen eine Versandapotheke. Doch dann gingen ganz schnell die Lichter aus. 2010 beschloss Schlecker, alle 100 holländischen Filialen mit einem Schlag dichtzumachen. Zur selben Zeit kamen in Deutschland erste Pleitegerüchte auf. Skandale häuften sich, Gewerkschaften und Medien betrachteten die Firma immer kritischer. Als dann 2012 wirklich die Insolvenz kam, war der Schock insbesondere für die mehr als 11 000 Mitarbeiter dennoch groß.
Wer jemals eine Schlecker-Filiale betreten hat, dem könnte aufgefallen sein, dass hier von »Teams« oft gar nichts zu sehen war. Die typische Filiale auf dem Land oder in den Nebenstraßen der Städte wurde aus Kostengründen als »Ein-Frau-Betrieb« geführt. Die Geschäftsführerin wurde zwar einigermaßen anständig bezahlt, es gab Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und bezahlte Überstunden. Aber sie musste sich eben um alles alleine kümmern. In den zum Schluss ausgesprochen unattraktiven Läden wurde an allen Enden gespart – sogar bei der Sicherheit. Durch die fehlenden Alarmanlagen kam es um 2005 zu einer Serie von Raubüberfällen auf Schlecker-Märkte. Und die Kunden? Sie kauften irgendwann nur noch dann bei Schlecker, wenn ihnen der Weg zu einem anderen Laden zu weit war. Auf Facebook hatte Schlecker zuletzt rund 3900 »Fans« (bei 47 000 Mitarbeitern), während beim Hauptkonkurrenten dm-Drogeriemarkt bereits 575 000 Nutzer des sozialen Netzwerks »gefällt mir« geklickt hatten.
»Oh, Männer sind einsame Streiter.
Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter«
Herbert Grönemeyer »Männer«
»Leute, nun gebt mal mehr Gas, ich will Ergebnisse sehen!«, lautete ein Lieblingssatz des Vorstandschefs. Dabei trommelte er gerne mit den Fingern auf den Tisch. Seine Kollegen im Vorstand nickten dann meistens nur. Sie hatten verstanden. Noch mehr Arbeit. Der Finanzchef setzte sich hin und schaute nach weiteren Einsparpotenzialen. Der Einkaufschef schloss sich in seinem Büro ein und recherchierte nach noch günstigeren Anbietern. Und der Personalchef stellte genau die Leute neu ein, die sein Boss haben wollte. So verdiente die Firma viel Geld. Die Arbeitstage des Vorstands wurden immer länger und die Dienstwagen immer größer. Für den Vorstandschef war die Welt in Ordnung.
Von einer Gruppe Solisten zum Spitzenorchester
Ein Management-»Team«, das den Namen nicht verdient
»Men at Work« ist in Holland eine Kette von Jeansläden. Als ich vor Jahren den damaligen Vorstandschef kennenlernte, machte ich mir um die Firma sofort Sorgen. Dabei sahen die Zahlen, Daten und Fakten erst mal super aus. Die Umsatzkurve zeigte steil nach oben, überall entstanden neue Läden, und die Prozesse schienen gut organisiert. Der Vorstandschef redete schnell, dachte noch schneller und schien den eisernen Willen zum Erfolg zu haben. Um ihn persönlich machte ich mir auch keine Gedanken. Aber sein Managementteam war in meinen Augen überhaupt kein Team, das diesen Namen verdient hätte. Das war die tickende Zeitbombe in der erfolgreichen Firma.
Teammitglieder wie diesen Vorstandschef vergleiche ich mit der Trommel im Orchester. Sie sind ständig unter Strom, haben meistens das Smartphone am Ohr oder sind im Gespräch mit Mitarbeitern, denen sie ihre neuesten Ideen mitteilen. Sie sind die Tempomacher im Team und warten ungeduldig auf rasche Resultate. Wenn im Orchester der Schlagzeuger schneller wird, müssen alle anderen Musiker auch schneller spielen. Trommeln sind deshalb gerne Chef und gehen in dieser Rolle auf. Aber Trommeln brauchen auch Gegengewichte, die sie gut ergänzen. Druck und Tempo allein machen keine Firma auf Dauer erfolgreich. Kreative Ideen für neue Produkte und Services müssen her. Mitarbeiter müssen für die Strategien des Managements begeistert werden. Und bei zwischenmenschlichen Konflikten, bei denen die Trommel immer weiter Öl ins Feuer gießt und recht behalten will, sollte ein kluger Vermittler einschreiten.
Wo alle durcheinander spielen, entsteht nur Lärm.
Alle diese ergänzenden Gegengewichte fehlten damals dem CEO von »Men at Work«. Der übrige Vorstand bestand hauptsächlich aus nüchternen Umsetzern. Sie beschäftigten sich jeweils nur mit ihrer eigenen Sparte – Finanzen, Personal, Einkauf oder Sortiment – und setzten dort um, was der Vorstandschef als Marschroute vorgab. Solche tüchtigen, disziplinierten Umsetzer sind wie der Bass im Orchester. Er fällt nicht groß auf, ist aber für den satten Klang unentbehrlich. Doch was für einen Klang ergibt eine Trommel mit fünf Bässen, die alle ihre eigenen Noten spielen?