Jürgen Frey

Mein Freund, der Kunde


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mich ist es immer wieder faszinierend, wie nur kurze Zeit später, nach intensivem gemeinsamem Nachdenken über die Stärken des Unternehmens, jeder einzelne Mitarbeiter ohne langes Nachdenken und mit einer Menge Stolz darstellen kann, worin die Kernkompetenz besteht. Und dann, noch mal kurze Zeit später, kommen die ersten Berichte, dass Kundenbesuche plötzlich anders verlaufen. Man muss ja gar nicht mehr so angestrengt »verkaufen«! Es hat sich etwas verändert.

      Vom Kurzstreckenläufer zum Marathongewinner

       Lernen, Geduld zu haben

      Mittlerweile bin ich dankbar für die Rückschläge am Anfang meiner Karriere. Ich bin dankbar für die Chinesen, die uns mit ihrer Konkurrenz gezwungen haben, uns zu besinnen und unsere Stärken zu erkunden. Und ich bin dankbar für den stämmigen Amerikaner, der mir mit seiner Frage »What’s in it for me?« eine Art Mantra für mein restliches Berufsleben geliefert hat. Ich kenne viele Mittelständler, denen es ähnlich ergangen ist wie uns damals bei drilbox. Sie brauchten einen Weckruf, um richtig gut zu werden. Dann haben sie die Kurve gekriegt. Doch schließlich brauchten sie auch Geduld.

      Herkömmliche Vertriebskonzepte und typische Verkaufstrainings setzen immer noch stark auf den schnellen Erfolg. Mit cleveren Tricks und viel Tschakka-Motivation soll die Absatzkurve einen Sprung nach oben machen. Doch so schnell, wie die Kurve nach oben schnellt, fällt sie auch wieder nach unten, sobald die ersten Kunden merken, dass man ihnen viel versprochen, aber wenig gehalten hat. Ich habe über die Jahre gelernt, Geduld zu haben. Die Dinge wachsen zu lassen schien lange nicht zur schnelllebigen Businesswelt zu passen. Doch nach der großen Finanzkrise mit ihren Spekulationsblasen und Scheingeschäften hat ein Umdenken eingesetzt. Viele Mittelständler wussten es schon immer besser und haben hartnäckig an ihren Stärken gearbeitet, statt an die wunderbare Geldvermehrung zu glauben. Sie haben jetzt immer deutlicher die Nase vorn.

       Größenwahn scheitert

      Zu den Verlierern gehören dagegen Unternehmen wie der Nudelriese Barilla. Die Italiener kauften die mittelständisch geprägte deutsche Bäckereikette Kamps im Jahr 2002 für sage und schreibe 1,8 Milliarden Euro. Das Motiv war ganz offensichtlich das Streben nach bloßer Größe und noch mehr Geld. Südlich der Alpen nahezu unbemerkt ging jedoch die Kernkompetenz von Kamps, Backwaren den ganzen Tag über in der Filiale frisch aufzubacken, über die Jahre verloren. Denn praktisch jede andere Bäckerkette kopierte dieses Konzept. Neue Stärken wurden unter Barilla jedoch nicht entwickelt. Die Folge: 2010 verkaufte Barilla Kamps für einen zweistelligen Millionenbetrag. Die Bäckereikette wurde zum Milliardengrab für den Konzern.

       Methodenkoffer

      Sind die Kernkompetenzen im Unternehmen einmal erkannt, sollten sie ausgebaut und zur Richtlinie des Handelns gemacht werden. Kernkompetenzen sind zukünftig der Maßstab für unternehmerische Entscheidungen.

      To do:

      

Konzentrieren Sie sich immer wieder. Kümmern Sie sich um alles, was Ihren Kunden wichtig ist. Wenn Sie das auch selbst leisten können, gehört es zu Ihrer Kernkompetenz.

      

Was Ihren Kunden zwar nützt, Sie aber selbst nicht gut können, lagern Sie an Dritte aus oder geben es ganz auf.

      

Suchen Sie ständig nach neuen Märkten. Überlegen Sie, wie Ihre Kernkompetenzen auf andere und zukünftige Märkte übertragen werden könnten.

      

Halten Sie regelmäßig Kreativmeetings ab und wenden Sie dabei Brainstorming-Techniken an. Laden Sie Kunden und Partner als Gäste ein.

      

Holen Sie sich Ideen auf Messen und Kongressen. Gehen Sie vor allem auch zu branchenfremden Messen und Kongressen.

       Die Innenwirkung entwickelter Kernkompetenz

       Arroganz ist nicht Selbstbewusstsein

      In der gar nicht so »guten« alten Zeit der Quasi-Monopole saßen viele Unternehmen auf einem ziemlich hohen Ross. Heimliches Vorbild auch so mancher Westfirma war die DDR, wo die Produkte gnädig an die Konsumenten verteilt wurden. War man gar Weltmarktführer, so bildete man sich darauf mächtig was ein. Arroganz ist jedoch etwas komplett anderes als Selbstbewusstsein. Arrogantes Auftreten gegenüber dem Kunden trägt den eigenen Erfolg zur Schau und arbeitet mit Statussymbolen. Der Kunde kauft, solange er dieses Angebot unbedingt haben will.

      So wollten in den Siebzigerjahren viele betuchte Kunden unbedingt einen »Daimler« fahren und nahmen dafür die Arroganz der Mercedes-Verkäufer und die jahrelangen Lieferfristen in Kauf. Arrogante Verkäufer haben jedoch ein Problem: Ihre Kunden schließen keine wirkliche Freundschaft mit dem Unternehmen. Sie sehen sich nach Alternativen um. Im Extremfall wächst bei ihnen sogar die heimliche Lust, der arroganten Firma irgendwann mal eins auszuwischen. Spätestens als Audi und BMW in Sachen Qualität, Komfort, Zuverlässigkeit und technischem Anspruch mit dem »Stern« gleichzogen, musste Mercedes vom hohen Ross absteigen und auf seine Kunden zugehen.

       Erst Identität macht selbstbewusst

      Warum nicht gleich so? Gesundes Selbstbewusstsein statt Arroganz ist eine Folge des Bewusstseins von Identität. Mitarbeiter, die wissen, wofür ihre Firma steht, was sie stark macht und womit sie dem Kunden nützt, sind selbstbewusst und strahlen das auch aus. Die Folge ist weniger Stress. Wer weiß, wie gut er ist, kann die Dinge ruhiger angehen. Der Erfolg wird sich einstellen. Wer sich konzentriert, braucht nicht ständig zu »rotieren«. Er weiß, dass seine entwickelten Stärken eine enorme Hebelwirkung haben. Deshalb muss er nicht alles machen, was er machen könnte, sondern nimmt sich auch Zeit für Familie und Freunde, soziale oder kirchliche Aktivitäten.

       VON DEN BESTEN LERNEN: Tergon Swiss Ergochairs

      Die Bürostühle des Schweizer Herstellers Tergon zählten schon lange zu den besten auf dem Markt. Doch das Produkt hatte ein Problem: Neben den filigranen Designerstücken der Marken USM oder Vitra sahen die Tergon-Stühle aus wie Opas Volvo aus den Achtzigern neben dem neuen Ferrari FF. In Zeiten steigender Ansprüche an das Design selbst bei Alltagsgegenständen wie Computermäusen oder Druckern verschärfte sich dieses Problem. Zudem überlegen sich viele Unternehmen, ob sie rund 800 Euro pro Mitarbeiter für einen Bürostuhl ausgeben sollen. Schließlich gibt es bei IKEA ansprechendes Design und passable Qualität für weniger als ein Viertel dieses Preises.

      Bei Tergon besann man sich in dieser Situation ganz auf die Kernkompetenz. Die Bürostühle sind weder die schönsten noch die billigsten. Aber auf kaum einem anderen Stuhl sitzt ein Mitarbeiter gesünder. Und dieses Argument sollte Unternehmenskunden überzeugen. Gesund sitzende Mitarbeiter sind ausgeglichener, leistungsfähiger und seltener krank. Bei Tergon hat der Unternehmer das gute Gefühl, nicht am falschen Ende gespart zu haben.

      Mit dem Claim »Der Stuhl, der sitzt« kommuniziert Tergon heute seine Kernkompetenz an die Kunden. Das gesunde Sitzen wurde zu einem technischen Gesamtkonzept weiterentwickelt. Die Stühle passen sich danach der Anatomie jedes Rückens automatisch an und sind optimiert, um die Bandscheiben in Bewegung zu halten. Anatomische Zeichnungen und erklärende Texte vermitteln dieses Konzept in Prospekten und im Internet. Gutachten von Ärzten sowie Testimonials von Kunden sollen die Rückenfreundlichkeit belegen.

      Als Partner für gesundes Sitzen gruppierte der Hersteller schließlich passende Services rund um sein Angebot. Jeder Bürostuhl kann gratis vier Wochen zum Probesitzen geliefert und bei Nichtgefallen wieder abgeholt werden. Dem Kunden werden schnelle Lieferzeiten, versandkostenfreie Lieferung, langjährige Garantien und ein Reparaturservice durch eigene Techniker geboten. Der monatliche Newsletter »Fitback« gibt Kunden Tipps