Schon bei seinem ersten Auftritt macht er seiner Enttäuschung Luft, indem er sagt (Faust I, 376 – 383):
»Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis würde kund;
Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß,
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält«
Der Wunsch, diesen unbefriedigenden Zustand abzustellen, lässt ihn schließlich den Pakt mit dem Teufel schließen, indem er Mephistopheles seine Seele verkauft; so groß ist sein Leidensdruck.
Haben Sie Interesse an ein paar beispielhaften Absurditäten zum Handeln wider besseres Wissen? Dann werfen wir doch einmal einen Blick auf die Kernenergie, die seit den 1950er-Jahren im großen Stil für die Stromproduktion genutzt wird. Allerdings strahlt der radioaktive Abfall eines Kernkraftwerks auch noch nach Jahrzehnten sehr stark. Je nachdem, was man als ungefährlich einstuft, ist diese Strahlung erst nach einigen Tausend bis Hunderttausend Jahren abgeklungen. Das ist für mein Empfinden eine ziemlich lange Zeit. Also kommt der sicheren Endlagerung des Atommülls bis zu diesem Zeitpunkt doch eine wesentliche Bedeutung zu. Unter normalen Umständen hätte man ja nun erwartet, dass die Frage der Entsorgung geklärt worden wäre, bevor man damit begann, über den Bau von Atomkraftwerken nachzudenken. Nach meinen Recherchen gibt es aber bislang weltweit noch kein einziges Endlager für hoch radioaktiven Abfall. Das ist mit dem gesunden Menschenverstand nur schwer zu vereinbaren. Da wird auf eine Technologie gesetzt, von der man zum Zeitpunkt des Einsatzes noch in keiner Weise überschauen kann, wie man der strahlenden Zukunft Herr werden kann. Wenn wir noch einmal Herrn Goethe für eine Parallele bemühen wollen, dann geht es uns hier wie seinem Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nun nicht mehr loswird. Im Falle der Atomenergie stellt sich ebenfalls die Frage, wer denn nun der Zaubermeister sein soll, der dem ganzen Spuk ein Ende macht und den radioaktiven Besen wieder in seine Ecke schickt. Es ist eigentlich nicht so richtig nachvollziehbar, warum wir mit manchen Dingen schon einmal beherzt loslegen, obwohl wir noch keine wirkliche Vorstellung davon haben, wie die Reise weitergehen soll. Zuweilen entsteht sogar der Eindruck, als würde eine kindlich-naive Zuversicht uns darin bestärken, dass sich am Ende dann doch noch alles auf wundersame Weise zum Guten wenden wird. Als würde es tatsächlich so etwas wie das rheinische Grundgesetz geben, nach dem es »noch immer gut gegangen« ist und das Ihnen gern als kölsches Mantra (»Et hätt noch emmer joot jejange!«) auch außerhalb von Köln in ähnlicher Form immer wieder begegnet. Aber das ist ja fast so, als wenn Sie bei einem Sprung aus dem Flugzeug erst im freien Fall überprüfen würden, ob Ihr Fallschirm auch mitgesprungen ist. Und sollten Sie tatsächlich feststellen, dass Sie sich gerade ohne Fallschirm mit rasantem Tempo der Erde nähern, können Sie sich immer noch bis kurz vor dem Aufprall damit trösten, dass bis hierhin ja alles gut gegangen ist.
Ich stelle mir beim Nachdenken über solche Zusammenhänge immer die Frage: Warum nur bestimmt unser Wissen (oder eben unser Nichtwissen) um die langfristigen Spätfolgen unseres Handelns dann nicht unsere Entscheidungen? Und:
Warum verhalten wir uns nicht anders, wenn wir es eigentlich besser wissen müssten? Das ist doch alles nicht logisch, oder? Nein, logisch ist es nicht, aber offensichtlich psycho-logisch.
Die Sache mit der Lust
Sie kennen das: Die Dinge, die uns Freude bereiten, tun wir gern. Dafür braucht es nicht einmal einen besonderen Antrieb von außen. Die eigene Motivation reicht da vollkommen aus. Denken Sie doch einmal an etwas, das Sie mit Leidenschaft betreiben. Vielleicht eine Liebesbeziehung, ein Hobby, eine ehrenamtliche Tätigkeit oder – im günstigen Fall – vielleicht sogar Ihre Arbeit. Im Idealfall gibt es zwischen Arbeit und Vergnügen gar keinen Unterschied, weil beides zusammentrifft. Wenn Ihnen eine Aufgabe oder ein Projekt wirklich wichtig ist, wenn es Ihnen sehr am Herzen liegt und Sie sich damit in hohem Maße identifizieren, dann werden Sie dort Ihre volle Energie hineinlegen. Die Zeit wird auf einmal zur Nebensache und es zählt nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Weg dorthin ist bereits eine Vergnügungsreise. Nun ist das Leben aber ja bekanntlich kein Wunschkonzert, und das Berufsleben mit seinen vielfältigen Zwängen und Konventionen erst recht nicht. Da gibt es diverse Gelegenheiten und Situationen, in denen das eigene Vergnügen nicht gerade im Vordergrund steht. Das kann dann schon mal arg auf die eigene Motivation drücken.
Mit dieser Thematik hat sich, wie schon erwähnt, auch Sigmund Freud vor über hundert Jahren auseinandergesetzt und vom Lustprinzip sowie vom Realitätsprinzip gesprochen. Mit dem Lustprinzip verbindet er menschliche Bedürfnisse bzw. Triebe, die nach sofortiger Befriedigung streben. Freud hat hier den Begriff des »Es« geprägt und damit das Unbewusste der menschlichen Psyche bezeichnet (Freud 1909). Allerdings stößt der Wunsch nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung oftmals an die Grenzen der gesellschaftlichen Konventionen. Selbst wenn Ihnen beim Einkaufen im Supermarkt ein geeigneter Sexualpartner über den Weg laufen sollte und Sie der sofortigen Bedürfnisbefriedigung in Form eines One-Night-Stands hinter der Käsetheke durchaus nicht abgeneigt wären, werden Sie unter normalen Umständen doch eher eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legen.
Dem Lustprinzip steht daher das sogenannte Realitätsprinzip gegenüber, weil gerade in unserem gesellschaftlichen Miteinander nicht jeder Triebimpuls sofort befriedigt werden kann. Die Erkenntnis, dass spontan auftauchende Bedürfnisse nicht unmittelbar und jederzeit befriedigt werden können, ist das Ergebnis eines langwierigen Lernprozesses, der in der Kindheit seinen Anfang nimmt und selbst bei vielen Erwachsenen noch nicht abgeschlossen zu sein scheint. Hier geht es darum zu verstehen, dass es manchmal durchaus sinnvoll sein kann, den Wunsch nach einer Bedürfnisbefriedigung zunächst hinten anzustellen. Manchmal lassen sich angestrebte Ziele auch nicht auf dem direkten Weg erreichen, sondern bedürfen vielleicht sogar eines Umwegs über verschiedene Etappenziele. Oder, wie es in Bertolt Brechts »Leben des Galilei« heißt: »Angesichts von Hindernissen mag die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten die krumme sein.« (Brecht, Band 5, S. 282)
Kennen Sie in Ihrem Freundeskreis vielleicht einen Raucher? Oder sind bzw. waren Sie vielleicht selbst einmal einer? Dann wissen Sie ja auch sicherlich, dass Raucher sehr genau um die Nachteile ihres Handelns wissen. Kaum ein Raucher, der nicht ganz genau darüber im Bilde ist, was er sich und seinem Köper da antut. Es hat sich inzwischen weiträumig herumgesprochen, dass Raucher früher sterben und ein höheres Risiko haben, Herz- und Kreislauferkrankungen oder Krebs zu bekommen. Das weiß doch jeder. Und dennoch rauchen viele Raucher beharrlich weiter – trotz dieses Wissens. Aber wie kann das sein? Eigentlich müsste doch jeder vernünftig denkende Mensch, der diese Realitäten nicht vollkommen ignoriert, angesichts dieser gravierenden Nachteile und offensichtlichen Gefahren sofort mit dem Rauchen aufhören.
Stattdessen wird aber vielfach unbeirrt weitergeraucht. Gelegentlich mit dem Argument, dass ja auch ein Kettenraucher wie Altkanzler Helmut Schmidt letztlich 96 Jahre alt geworden sei. Oder der Schauspieler Johannes Heesters sogar 108 Jahre. Wenngleich derartige Einzelfälle selbstverständlich überhaupt keine statistisch belegte Aussagekraft haben, könnte man diesem Argument auch entgegenhalten, dass die beiden, wenn sie denn nicht geraucht hätten, vielleicht ja sogar nie gestorben wären.
Beim Rauchen ist es wie mit vielen Dingen, die uns einen kurzfristigen und vermeintlichen Vorteil oder Lustgewinn verschaffen, uns aber langfristig eher schaden: Der Vorteil ist sofort zu spüren, der Nachteil liegt in weiter Ferne. Und oftmals ist ja auch keinesfalls erwiesen, dass der Worst Case im jeweiligen Einzelfall auch tatsächlich eintreten muss. Vielleicht kann man ja den Lustgewinn mitnehmen, ohne den hohen Preis am Ende dafür zahlen zu müssen.