recht, mei Jung“, bilde ich mir die Stimme meiner Oma ein, im vertrauten südthüringischen Dialekt.
Die ersten Läufer mit dem Gratis-Köstritzer-Bier kommen uns entgegen.
Wir kommen vor dem Festzelt an. Noch verwaist, wird hier vom frühen Nachmittag an die größte Läuferparty des Jahres stattfinden. Für Außenstehende ein Mythos: Erfahrene Rennsteigfeierer berichten mit leuchtenden Augen von ausgelassener Stimmung und waghalsigen Beinschwüngen auf den Tischen. Geheimnisvoll nicken sie einander zu, sodass man meint, sie reden über die ersten Goa-Partys oder die Technopartys der 1990er-Jahre im Berliner Untergrund. Der Körper, kurz vorher noch bis an die Grenzen getrieben, spürt beim Eintritt ins Festzelt nichts mehr; will nichts, lässt bloß geschehen. Keine Spur von Schwere oder Ziehen in den Beinen, im Gegenteil, flüssiges Durchführen von Bewegungen, die bis dahin nicht mehr für möglich gehalten wurden. Alte Freunde treffen, neue Freunde, die beim nächsten Zusammentreffen schon alte Freunde sind: „Weil’s so schön war, ist doch klar, trifft man sich im nächsten Jahr.“
Rennsteigveteranen, Lebensgenossen: Wenn auch nicht gemeinsam, haben sie doch im jeweils Eigenen viel Gleiches erlebt. Dadurch bilden sich hier neue Bekanntschaften, die vom ersten Moment so sind, als würde man sich ein ganzes Leben kennen.
In einer verschämten Ecke des Zelts hole ich mir die ebenfalls im Starterpaket enthaltene Suppe ab. Dünne Brühe, lauwarm. Klar, wer nimmt auch schon Suppe, wenn es Bratwurst und Bier gibt.
Meine Mutter biegt ab und holt sich eine Waffel, nicht so eine belgische, dichte, sondern eine lockere, eine echte Ostblockwaffel; der süß-teigige Geruch zieht mir in die Nase, noch so ein Sommerurlaub-Heimatgefühl.
Lange Schlange am Zuckerwattestand daneben, lange Schlange am Köstritzer-Gratisbierstand. Ein Sammelsurium an Dialekten, dicht und durcheinander um die Feststände.
Wir warten auf die Siegerehrung, legen uns auf die Festwiese. Alle paar Minuten hole ich mir eine probiotische Joghurtprobe und beobachte die mehrmenschgroße Blasfigur aus beiger Plane, die dort hilflos verwachsen herumschlackert.
Aus dem Gras der Festwiese schauen glückliche, erschöpfte Gesichter, die nichts wollen, nichts brauchen. Ein wenig 1. Mai in unaufgeregt, friedlich. Es sind erstaunlich viele Menschen hier, die keine Sportklamotten tragen, aber ebenso glückliche und aufgeheizte Gesichter wie die eben Gelaufenen haben. Der Rennsteig ist nicht nur ein Lauf an einem besonderen Ort, er ist eine andere Zeit. Für einen Moment ist alles gut.
Die Siegerehrung ist wie bei den meisten Volksläufen von eher geringem Interesse: höfliches Applaudieren an der Bühne, ein viel zu hohes Podest, auf das ich als Studierendenmeister und Sieger meiner Altersklasse zweimal springe, ungeachtet der Verletzungsgefahr. Ehrungen für alle Altersklassen, weiblich, männlich. Die Zeremonie für den Halbmarathon dauert beinahe eine Stunde.
Wir verlassen den Festbereich, als der Stimmungspeak längst noch nicht erreicht ist. Durch Straßensperrungen und Umleitungen verzetteln wir uns zwischen Google Maps, Straßenatlas und Intuition; nur bedingt ein Ort für Ortsfremde. Einmal das Rennsteigfest verlassen, zurückgeworfen auf uns im Auto, plötzlich still, spüren wir eine eigenartige Spannung, die das eben Erlebte ins Traumnahe rückt; unwirklich, wie nie geschehen, dennoch Spuren hinterlassend: das Ende von etwas Wichtigem.
Wir fahren schweigend, jeder in eigenen Gedanken.
Der Rennsteig ist nicht nur ein Lauf an einem besonderen Ort, er ist eine andere Zeit. Für einen Moment ist alles gut.
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