Johannes Cassianus

Von den Einrichtungen der Klöster


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muß man wissen, daß die Matutin, welche jetzt auch sogar in den meisten abendländischen Provinzen gefeiert wird, als canonische Verrichtung erst zu unserer Zeit und zuerst in unserem Kloster (zu Bethlehem) eingeführt wurde, wo unser Herr Jesus Christus, aus der Jungfrau geboren, dem Wachsthum eines menschlichen Kindes zu unterziehen sich würdigte und auch unsere in der Frömmigkeit noch zarte und saugende Kindheit durch seine Gnade befestigte. Wir finden nämlich, daß die Feier der Matutin (welche in den gallischen Klöstern kurze Zeit nach Vollendung der nächtlichen Psalmen und Gebete gehalten zu werden pflegt) bis zu jener Zeit (im Kloster zu Bethlehem) zugleich mit den täglichen Vigilien (Nocturnen) vollendet wurde, und daß die übrigen Stunden von unseren Vorfahren für die Ruhe bestimmt waren. Da jedoch die Nachläßigeren diese Nachsicht mißbrauchten und die Frist zum schlafen zu weit ausdehnten, weil ja vor der dritten Stunde (Terz) keinerlei Zusammenkunft stattfand und sie nöthigte, ihre Zellen zu verlassen und von ihren Lagerstätten sich zu erheben, und da sie dann zum Nachtheil für die (Tages-) Arbeit auch unter Tags, wo man verschiedenen Geschäften sich hingeben soll, in Folge des übermäßigen Schlafes als erschlafft sich erwiesen, zumal an jenen Tagen, an welchen den vom Abend (Vesper) bis zum Nahen des Morgenrothes (Laudes) Nachtwache (Nocturnen) eine gar lästige Ermattung zu erwachsen pflegt: so wurde dortselbst (in Bethlehem), nachdem einige geisteseifrige Brüder, welchen solche Nachläßigkeit sehr mißfiel, an die Oberen Klage gebracht hatten, von diesen nach langer Erörterung und reiflicher Ueberlegung Folgendes beschloßen: Bis Sonnen-Aufgang, wo man schon ohne Anstand die Lesung halten oder eine Handarbeit vornehmen könne, solle dem müden Leibe Ruhe gegönnt, hierauf, um dieser religiösen Uebung nachzukommen, sollen die Mönche geweckt werden und alle zusammen aufstehen; nun sollten drei Psalmen und Gebete gesprochen werden nach der bei der Feier der Terz, Sext und Non üblichen Weise; hierauf solle man mit dem Schlafe ein Ende und mit der Arbeit in rechtem und billigem Maße einen Anfang machen. Scheint man auf diese Anordnung auch nur aus Zufall gekommen zu sein und sie in jüngster Zeit aus dem erwähnten Grunde getroffen zu haben; so ergänzt sie doch jene Zahl, die der selige David angibt, — abgesehen davon, daß sie auch eine geistige Beziehung zuläßt, — dem Buchstaben nach ganz deutlich: „Siebenmal am Tage sage ich dir Lob wegen der Gerichte deiner Gerechtigkeit.“40 Kommt nämlich noch dieses feierliche Gebet hinzu, so halten wir siebenmal ohne Zweifel am Tage diese feierlichen Versammlungen, und es bestätigt sich, daß wir siebenmal an demselben dem Herrn Lob singen. Obgleich übrigens dieser Gebrauch ursprünglich aus dem Morgenland stammt und zu sehr großem Nutzen bis hierhin verbreitet wurde; so scheint er doch bis jetzt in einigen der ältesten Klöster des Orients, die durchaus kein Abgehen von den Regeln der Väter dulden, gar keinen Eingang gefunden zu haben.

      5. Nach der Matutin (Prim) darf man nicht wieder schlafen gehen.

      

      Manche, die nicht wissen, warum diese Gebetsfeier angeordnet wurde oder in unserem Lande in’s Leben trat, begaben sich nach Abbetung der Matutin wieder zur Ruhe und kommen somit dennoch in jenen Fall, zu dessen Verhütung dieses Gebet von unseren Oberen eingeführt wurde. Denn sie verrichten dasselbe schon um jene Stunde, in welcher den Nachläßigeren und weniger Besorgten wieder Gelegenheit zum Schlafen gegeben ist. Dieß darf durchaus nicht geschehen, wie wir im vorigen Buche ausführlicher nachgewiesen haben, in welchem wir die Gebetsversammlungen der ägyptischen Mönche beschrieben. Denn in diesem Falle laufen wir Gefahr, die durch demüthiges Bekenntniß und vor Tag verrichteten Gebete erlangte Reinheit durch eine gewisse sich einstellende Fülle der natürlichen Flüssigkeit zu beflecken oder durch Vorspiegelungen des bösen Feindes zu verlieren. Und selbst wenn die hierauf eintretende Ruhe von einem reinen und einfachen Schlafe begleitet ist, so kann sie doch das Feuer unseres Geistes dämpfen und uns, die wir durch die Erschlaffung des Schlafes lau geworden sind, alsdann den ganzen Tag hindurch unthätig und träge dahinschleppen. Damit Dieß den ägyptischen Mönchen nicht begegne, so dehnen sie, da sie zu gewissen Zeiten schon vor dem Hahnenrufe aufzustehen pflegen, nachdem die vorgeschriebene Gebetsversammlung (Officium nocturnum) geschlossen ist, die Nachtwachen bis zum Tagesanbruche aus. So trifft sie der kommende Tag in dieser Glut des Geistes an und erhält sie den ganzen Tag hindurch eifriger und sorgfältiger; denn er überkommt dieselben vorbereitet zum Streite und zum täglichen Kampfe gegen den Teufel durch die Uebung der Nachtwachen und die geistliche Betrachtung gestärkt.

      6. Durch Einführung der Matutin (Prim) wurde von den Obern Nichts an der alten Ordnung des Psalmengebetes geändert.

      

      Auch Das dürfen wir nicht unerwähnt lassen, daß unsere Oberen, welche eben diese Matutin dem Gebete glaubten hinzufügen zu müssen, an dem alten Brauch des Psalmengebetes Nichts geändert, sondern in derselben Ordnung wie früher in den nächtlichen Versammlungen stets die Feier des Gebetes abgehalten haben. Denn die Lobpsalmen, welche sie in diesem Lande zu der Matutin (= Laudes) ausgewählt haben, singt man ähnlich auch heute noch am Schlusse der Nachtwachen, die man nach dem Hahnenruf vor Anbruch der Morgenröthe zu schließen pflegt. Diese Gesänge sind folgende: der 148. Psalm, der mit den Worten beginnt: „Lobet den Herrn vom Himmel her“, und die folgenden; der 50. Psalm aber, der 62. und der 89. sind, wie wir wissen, für diese neue Andacht (Prim) bestimmt. Endlich wird in Italien noch heute nach Absingung der Psalmen der Matutin der 50. Psalm in allen Kirchen gesungen, was ohne Zweifel sich aus dieser Veränderung herleitet.

      7. Wer zum Gebet am Tage vor Schluß des ersten Psalmes nicht erschienen ist, darf das Oratorium nicht mehr betreten; bei dem Nachtgebet aber wird eine Verspätung bis zum Schlusse des zweiten Psalmes noch verziehen.

      

       Wer in der Terz, Sext oder Non vor Schluß des begonnenen Psalmes nicht zum Gebete erschienen ist, wagt das Oratorium nicht mehr zu betreten noch sich zu den Singenden zu gesellen, sondern wartet vor der Thüre die Entlassung der Versammlung ab, um von allen Herauskommenden durch fußfällige Buße Verzeihung seiner Nachläßigkeit und Langsamkeit zu erlangen. Denn er weiß, daß er auf gar keine andere Weise die Schuld seiner Trägheit sühnen, aber auch nicht einmal zu der drei Stunden darauf erfolgenden Andacht zugelassen werden kann, wenn er nicht für die gegenwärtige Nachläßigkeit durch wahre Demuth eifrige Genugthuung zu leisten sich beeilt. Bei den nächtlichen Versammlungen wird dem Säumigen eine Frist bis zum zweiten Psalme gewährt; jedoch muß er vor dem Beginne der unmittelbar auf diesen Psalm folgenden Oration sich der Versammlung eiligst anschließen und beigesellen. Wenn er aber über die festgesetzte Frist nur ein wenig zu spät kommt, so muß er zweifelsohne dem erwähnten Tadel und der genannten Buße sich unterziehen.

      8. In welche Zeit die mit Samstag Abend beginnenden Nachtwachen fallen, und in welcher Ordnung dieselben gehalten werden.

      

      Was indessen die Nachtwachen betrifft, die jede Woche mit Anbruch des Samstag-Abendes gehalten werden, so dehnen die Vorsteher in den Klöstern zur Winterzeit, wann die Nächte länger sind, dieselben nur bis zum vierten Hahnenrufe aus; und zwar geschieht Dieß, damit die, welche die ganze Nacht über gewacht, doch noch die übrigen zwei Stunden ihren Körper kräftigen können und mit dieser kurzen Ruhe statt des Schlummers der ganzen Nacht sich begnügend nicht den ganzen Tag über von Schlaftrunkenheit ermattet seien. Diesen Brauch sollten auch wir mit aller Gewissenhaftigkeit beobachten und uns begnügen mit dem Schlafe, der uns nach dem Verlaufe der Nachtwachen bis zum Anbruche des Tages d. h. bis zu den Psalmen der Matutin (Prim) gestattet ist, und hierauf den Tag in der Verrichtung unserer Arbeiten und Dienstleistungen verbringen; denn sonst möchte die Ermüdung in Folge der Nachtwachen und unsere Schwachheit uns verleiten, den Schlaf, den wir der Nacht entzogen, während des Tages wieder zu beanspruchen, und es könnte den Anschein haben, als ob wir nicht so sehr dem Körper Ruhe entzogen als die Zeit der Ruhe und nächtlichen Erquickung nur vertauscht hätten. Denn unmöglich kann das gebrechliche Fleisch so der ganzen Nachtruhe entbehren, daß es den ganzen folgenden Tag ohne Schläfrigkeit und geistige Erschlaffung in unerschütterlicher Wachsamkeit sich aufrecht erhalten kann. Die Körperkräfte werden eher dadurch geschädigt als gefördert werden, wenn der Leib nicht nach Beendigung