Mit allem, was dazugehört – und ohne psychische Probleme, falls Sie das meinen.«
»Und Ihr Bergtrauma haben Sie in den Griff bekommen? Eine Ihrer ersten ›Krise‹-Sendungen hatte das Thema: ›Traumata bewältigen – Rückkehr an den Ort des Schmerzes‹. Damals sagten Sie, so weit seien Sie noch nicht, die Berge seien ein großes Tabu für Sie. Aber das ist ja schon vier Jahre her.«
Robert Adelhofer grinste verlegen.
»Ertappt. Nein, die Berge werden wohl für den Rest meines Lebens nicht mehr zur Liste meiner Aufenthaltsorte gehören.«
Katharina lächelte ihn an. »Danke, Herr Adelhofer, für dieses offene Gespräch. Es war interessant für mich. Besonders froh bin ich, dass wir die Geschichte mit dem Trauma klären konnten. Ich habe tatsächlich falsche Informationen zugespielt bekommen.«
Adelhofer schaute überrascht. »Ich verstehe nicht?«
Katharina legte nach: »Ach, es gibt einige Leute, die behaupten, Sie nach Ihrem Bergwinter in den Bergen gesehen zu haben. Angeblich gibt es Fotos. Aber das können Sie dann ja nicht gewesen sein. Gut, ich werde mal gehen. Wenn ich noch Fragen habe, darf ich Sie sicher anrufen.«
Katharina stand auf und war schon an der Tür vom Jesusstüberl, als Adelhofer nachhakte:
»Frau Langenfels, entschuldigen Sie meine Neugier, wer behauptet das? Ich muss auf der Hut sein, bei übler Nachrede schalte ich sofort meinen Anwalt ein.«
Katharina drehte sich um, lächelte Adelhofer an und sagte freundlich: »Das verstehe ich gut, verstehen Sie bitte auch mich. Hier gilt der Informantenschutz, ich darf keine Namen herausgeben. Noch mal mein herzliches Beileid, für Sie und Ihre Eltern.«
Samstagnachmittag, Frauenchiemsee
»Aha, das ist er wirklich auf den Fotos?«
»Ich würde sagen, ja. Wir hatten es vermutet, die Fotos sind zwar unscharf, trotzdem ist eigentlich klar, dass es sich um Robert handelt. Außerdem hat sein Gesicht Bände gesprochen.«
Oliver saß im Biergarten auf der Fraueninsel, ganz der Anwalt im Wochenende: dunkelblaue Bermudashorts, rosa Polohemd und teure Männer-Flipflops. Auf seinem Kopf trug er die Baseballkappe eines namhaften italienischen Sport-Labels. Er hatte Messer und Gabel sinken lassen, während Katharina von ihrem Gespräch mit Adelhofer erzählte. »Wo hat Birgit diese Fotos noch mal entdeckt?«, hakte er nach.
»Das war in diesem Fall nicht schwierig. Auf Fanclubseiten auf Facebook und Instagram gibt es jede Menge Fotos von Begegnungen mit Robert. Auf einigen sieht man ihn undeutlich in einer Menge von Autogrammjägerinnen an der Kampenwand unterhalb vom Gipfel. Sie halten alle ihre Smartphones hoch, drum ist er nicht gut erkennbar.«
Katharina schaute versonnen auf Olivers Teller.
Mit dem Schweinsbraten und den Knödeln war er inzwischen fertig. Die Kellnerin brachte gerade einen großen Becher Spaghettieis. Vorne am Wasser saß Svenja auf dem Steg und hatte offenbar eine interessante, circa achtjährige Männerbekanntschaft gemacht. Eigentlich hätte Katharina ihrer Tochter gern kurz Hallo gesagt. Als könnte Oliver Gedanken lesen, riet er:
»Lass es sein, Svenja hat gerade sowieso keine Augen für dich.«
Tatsächlich war ihre Tochter so vertieft ins Gespräch mit dem rothaarigen Wuschelkopf, dass Mütter nur stören würden.
»Bei diesem ausgefallenen Männergeschmack muss sie sich später wenigstens nicht mit anderen Mädels um den Gleichen kloppen«, seufzte Katharina.
Nachdem sie beschlossen hatte, Olivers Beispiel zu folgen und heute Kalorien Kalorien sein zu lassen, bestellte sie ebenfalls den Schweinsbraten mit Knödeln, Rotkraut und »viel Kruste«.
»Hat Birgit sich bei dir gemeldet?«, fragte sie Oliver, der mit weiten Teilen seines Gesichts im Eisbecher verschwunden war, um noch den letzten Rest rauszuschlecken.
»Nein, du müffteft doch beffer wiffn, wo fie fteckt«, ertönte es undeutlich aus der Glasschale.
Weiter kamen sie nicht, denn Svenja hatte offenbar bereits genug von ihrem rothaarigen Flirt. Sie kam ohne Schuhe und mit nassen Füßen an den Tisch und forderte in klarem Befehlston: »Ich will auch Schweinsbraten und Spaghettieis.«
»Hallo, Svenja«, blieb Katharina freundlich und drückte ihrer Tochter einen Kuss auf den Wuschelkopf. »Warum hast du deinen Freund nicht mitgebracht?«
»Der ist nicht mein Freund. Der ist saudoof. Und außerdem heißt er Konstantinus. Voll arschblöder Name.«
Oliver und Katharina warfen sich einen Blick zu und wechselten das Thema. Svenja würde ohnehin nicht mehr erzählen über ihren Ärger.
»Was haben Oliver und du Schönes gemacht, mein Schatz?«, fragte Katharina liebevoll, nachdem die Kinderportion Schweinsbraten bestellt war.
»Wir haben im Klosterladen Marzipan gekauft und wir waren baden. Ich bin Olli davongeschwommen.« Svenja kicherte bei der Erinnerung daran.
»Olli?«, fragte Katharina mit hochgezogenen Augenbrauen in Richtung Oliver. »Wenn ich dich Olli nennen will, sprichst du drei Tage nicht mehr mit mir, und Svenja darf das?«
»Svenja ist eben was Besonderes«, grinste Oliver und streichelte seinem liebsten Pflegekind über die heute zu zwei Zöpfen gefassten braunen Wuschelhaare.
»Logisch ist Svenja was Besonderes«, tönte es hinter Katharina. »Bei dieser Mama cool zu bleiben, da muss man was Besonderes sein, gell Svenja?«
Svenja strahlte vor Stolz darüber, dass eine Erwachsene sie als cool bezeichnete, während sich Birgit Wachtelmaier auf den letzten freien Stuhl am Tisch setzte.
»Oh, Schweinsbratentag. Bin dabei«, sagte sie mit einem Blick über den Tisch, auf dem Olivers leerer und Katharinas gut gefüllter Teller standen.
»Passt die Eier-Diät nicht zum kleinen Schwarzen?«, fragte Katharina grinsend. »Wobei«, sie warf einen prüfenden Blick über Birgits Freizeitoutfit – knallrote Turnschuhe, gelbe Leggings, darüber schwarze Leinenshorts und dies kombiniert mit einem giftgrünen, tief dekolletierten T-Shirt, unter dem ein orangefarbener Spitzen-BH hervorlugte – »du siehst wieder normal aus.«
Svenja hatte inzwischen den Nächsten an der Angel – am Nachbartisch saß ein circa zehnjähriger bayerischer Bursch mit Lederhose und kariertem Hemd, verspeiste genüsslich seinen Schweinsbraten, flirtete mit Svenja … und sie zurück. Sie grinsten sich an, schauten weg, grinsten sich wieder an. Bis Svenja die Sache in die Hand nahm und zu ihrer Mutter im Aufstehen sagte: »Du, Mama, sag der Kellnerin bitte, sie soll meinen Schweinsbraten an den Nachbartisch bringen.«
Sprach’s und saß neben ihrem neuen Schwarm, schüttelte dessen Eltern artig die Hand und war flugs in ein Gespräch mit Ludwig vertieft. So hatte sich der braungelockte Nachwuchs-Casanova jedenfalls eben vorgestellt.
»Na, in Sachen Männeraufriss könntest du von deiner Tochter echt noch was lernen«, kommentierte Birgit.
»Danke für den Tipp. Und, was ist noch passiert auf der Beerdigung?«
»Mmh, vielen Dank.« Birgit strahlte die Kellnerin an, die ihr ihren Schweinsbraten, bestehend aus zwei großen Bratenscheiben mit lecker duftender dicker brauner Sauce, zwei ebenfalls recht überdimensionierten Kartoffelknödeln und einer beachtlichen Schale Rotkraut, vor die Nase stellte.
»Die Kinderportion bitte für die Partnerin des jungen Herrn am Nachbartisch«, bat Birgit schmunzelnd die Bedienung. Während sie ihre Knödel zerlegte, begann sie, über Schweinsbratenrezepte zu philosophieren: »Der Arnulf wollte ihn nur mit Biersauce, finde ich auch nach wie vor am besten. Man kann alternativ Brühe nehmen. Das Wichtigste ist sowieso, den Braten stundenlang mit der Schwarte nach unten in Flüssigkeit zu legen, sonst wird sie nie knusprig. Mmh, genau so haben die das hier gemacht. Köstlich.«
Oliver warf Katharina einen verwirrten Blick zu, sie machte unauffällig eine beschwichtigende Geste in seine Richtung.
»Birgit?«,