jeden. Sie ging höchst belustigt umher und ließ aus den Winkeln ihres Gedächtnisses einen vergessenen Scherz nach dem andern hervorsteigen und verstand sie plötzlich alle. Wie ein um Jahre verspätetes Echo hallte ihr einsames Lachen durch die Säle.
III
Die Prinzessin Friederike bat die Herzogin von Assy mehrmals zu ihrem cercle intime. Da dies nichts half, schickte sie den Kammerherrn Baron Percossini, um ihr freundschaftliche Vorstellungen zu machen. Percossini deutete an, Ihre königliche Hoheit sei der Meinung, dass die Herzogin sich vom Hofe fern halte, um dem Thronfolger Versuchungen zu ersparen. Sie wisse ihr für so viel Delikateste des Herzens unendlichen Dank; doch sei zurzeit nichts zu fürchten. "Man entzieht Seiner königlichen Hoheit zeitweilig die geistigen Getränke," erklärte vertraulich der Kammerherr, "und Seine königliche Hoheit sind sofort voll kommen inoffensiv."
Ein anderes Mal erkundigte er sich im Namen der Prinzessin, warum die Herzogin noch niemals zu den Strickabenden bei den Dames du Sacré Cœur erschienen sei. Es würde so wertvoll sein für sie beide, wenn sie Fühlung miteinander gewinnen würden bei der gemeinsamen Arbeit für das Volk. Percossini setzte skeptisch lächelnd hinzu: "Hiermit meinten Ihre königliche Hoheit die Suppen und die wollenen Westen."
Prinz Phili sandte ihr mehrere kläglich lautende Briefe. Er wisse wohl, sie arbeite am Untergang seines Hauses, doch verlange er es gar nicht besser. Wenn sie ihm nur verzeihen wolle!
Der König Nikolaus knüpfte mit der schönen Frondeuse Verhandlungen an, die erfolglos blieben. Er verlieh Pavic und Rustschuk seinen Hausorden. Der Tribun nahm ihn gar nicht an, der Finanzmann schickte ihn nach dreitägigem Seelenkampfe zurück. So oft ihr Wagen den des Königs kreuzte, begrüßte der alte Herr sie mit nachsichtigem Schmunzeln. Beate Schnaken drückte das Doppelkinn sehr tief in den Spitzenkragen. Ihre Gebärde besagte die herzliche Achtung einer anmutig sich Unterordnenden. Bei einem Konzert des Pablo de Sarasate verließ sie, allen sichtbar, ihren Vorzugsplatz, um ihn der eben eintretenden Herzogin von Assy anzubieten.
Die Gutmütigkeit all dieser Leute erbitterte die Herzogin. Sie wollte Kampf, und fühlte sich gelähmt durch das höfliche Wesen von Gegnern, die sich gar nicht wehrten. "Wie lange muss ich euch kitzeln?" fragte sie. "Schließlich will ich euch doch noch wütend sehen! Eure Behaglichkeit widert mich an. So weiche Herren wie ihr dürfen nicht länger ungestört herrschen; es wäre ungerecht. Und sei es nur meine Laune! Ehemals, in Paris, reizte ich den Leopold Tauna so, dass er mich töten wollte. Und ich wusste nicht einmal, wodurch mir das gelang: ich spielte nur. Jetzt will ich auch euch dahin bringen, das ist mein Spiel." Ihr "Hausjude" hörte manchmal auf, sie zu belustigen, ohne Genugtuung empfing sie die Meldungen von wiederholten Scharmützeln zwischen Bauern und Truppen und von meuternden Regimentern; Pavic' Tiraden machten sie gähnen. Aber dann tauchten aus dem Nebel von Langerweile und Beschränktheit, hinter dem sie versunken waren, die Freunde des Thronfolgerpaares hervor. Sie sah wieder die schwerfälligen Geister sich spreizen und vorsichtig schwanken zwischen Massacres und weiblichen Handarbeiten, und sogleich fühlte sie mit frisch erregtem Blut einen neuen verlockenden Sinn in den Worten Freiheit, Gerechtigkeit, Aufklärung, Wohlstand.
Es fanden sich in ihrem Lager die ersten Begeisterten ein, junge Leute aus guten Häusern, die für den Fortschritt schwärmten und für das bleiche, kühne Haupt der Herzogin von Assy. Die ersten Lieutenants verrieten ihren Fahneneid und schritten, blass und entschlossen, zu den kleinen, hochverräterischen Zusammenkünften an der Piazza della Colonna. Allmählich kamen die Klugen, hohe Beamte und Hofleute, denen es nicht länger rätlich schien, ihre Zukunft bedingungslos dem Glücke der Dynastie Koburg anzuvertrauen. War irgendwo im Lande das Militär erfolgreich, so verschwanden mehrere von ihnen.
Früher noch als die Enthusiasten versicherte der Baron Percossini die Herzogin seiner vollständigen Ergebenheit. Jeder Besuch, den er ihr im Auftrage der Prinzessin machte, fügte seinem glatten Treubruche etwas hinzu. Unmerklich, unter lauter obenhin gelispelten Fadheiten, langte er bei Kundschafterdiensten an. Übrigens war die Herzogin sich bewusst, er spioniere ebenso gut sie selbst aus wie seine Herrschaft. Er plauderte ihr von den Versuchen vor, die die von ihr Bedrohten endlich zu ihrer Vernichtung unternahmen. Sie erfuhr ohnehin von Freunden an allen Höfen, die Vertreter des Königs Nikolaus führten Klage über sie. Sie erreichten nichts; denn durch ihre eigenen Verbindungen im internationalen Hochadel war die Herzogin besser geschützt als die regierende Familie durch den Willen einiger europäischer Staatsmänner. Die Partei Koburg hatte für sich überall nur die Kabinette, die Partei Assy die Camarilla. Das Geld Rustschuks wirkte in den fremden Hauptstädten rascher als die aus Zara eintreffenden Depeschen. Auch war der Weltfriede wichtiger als das Schicksal der Nikolaus, Friederike, Philipp, Beate. Von diesen vier erwies Beate sich am stärksten. Sie brach ohne weiteres auf, behufs Gewinnung des Ministers einer Großmacht, der eben in Italien reiste. Es war ein weicher, frommer Herr; fast hätte sie ihn auf die gleiche Weise gerührt wie ehemals den König Nikolaus. Im Augenblick vor seinem Falle besann er sich auf die Pflicht und floh in großen Tagemärschen vor der Verführerin.
Die Herzogin nahm diese Geschichte heiter auf. "Wenn der Mann weniger stark gewesen wäre," so meinte sie, "was dann? Ich hätte mit dem Fräulein Schnaken in Wettbewerb treten müssen, und alles wäre auf die Frage hinausgekommen: bevorzugt Seine Excellenz die blonden Haare oder die braunen? Meine Herren, die weibliche Politik ist wenig verwickelt."
Aber die Partei Assy ward stärker und fing an Fehler zu machen. Der erste war eine jähe Verbesserung der herzoglichen Güterverwaltung. Sie war sinnreich geordnet. Unter einem Generalpächter stand eine Anzahl Pächter, diese verfügten über eine größere Menge Unterpächter, und die einzelnen Unterpächter befehligten ihre Aufseher, die unmittelbar die Bauern beherrschten. Die Aufseher nahmen den Bauern fast den ganzen Erntepreis ab und gaben ihn größtenteils weiter an die Unterpächter, die ihn nach Abzug des ihrigen den Pächtern aushändigten; das meiste davon verabfolgten diese dem Generalpächter. Jeder ernährte also seinen Vorgesetzten, und alle zusammen lebten vom Bauern. Niemand hätte daran Anstoß genommen, nur Rustschuk fand den Generalpächter zu wohlhabend und zu einflussreich: sie hatten sich an der Börse hassen gelernt. Er stachelte mehrere Anhänger der Herzogin gegen das Latifundien - System auf. Pavic lieh ihnen seine Beredsamkeit. Die Herzogin war freudig überrascht. Eine kraftvolle Handlung machte es ihr möglich, im eigenen Hause die Gerechtigkeit einzuführen. Ein sanguinischer Federstrich beseitigte das ganze Heer der Pächter. Acht Tage darauf brannten überall in Dalmatien die Rebstöcke, die Ölbaume fielen über Nacht in Splitter. Die kleinen Entlassenen stifteten Unruhen auf dem Lande, in den Städten lärmten die größeren. Was ihnen von der Ernte blieb, mussten die Bauern an den Ring der Pächter verschleudern; diese bedrohten die Käufer. Die Einnehmer, die den Gewinnanteil der herzoglichen Kasse eintreiben wollten, wurden mit Steinwürfen und Flintenschüssen empfangen.
Die Herzogin konnte sich nicht genug wundern.
"Das Volk bleibt ein Rätsel. Offenbar ist es gewohnt, ausgebeutet zu werden, und will keine Gerechtigkeit. Wie viel durfte es früher vom Ertrage seiner Arbeit behalten?"
"Kaum ein Zwanzigstel."
"Ich überlasse ihm die Hälfte, und es wirft mit Steinen. Was würde es tun, wenn ich ihm das ganze schenkte?"
Rustschuk lächelte geistvoll:
"Hoheit, das wäre unser aller Tod."
Bei dem von den weggeschickten Beamten in der Presse erregten Sturm spritzte manches schmutzige Wasser auf. Neugierige Zeitungsmenschen, die von ihren Rädern mit Kot besprengt, in die Tiefe ihres Wagens danach lugten, welche Boutons sie heute trage, nannten die Herzogin von Assy eine Deklassierte. Ihr Umgang mit Pavic und Rustschuk deklassiere sie. Pavic beging die Ungeschicklichkeit, sie deswegen um Entschuldigung zu bitten. Sie hob die Schultern:
"Welches ist denn meine Klasse?"
Sein eigener Verkehr konnte ihr unmöglich Schande bringen, davon war Pavic überzeugt. Bezüglich ihres Verhältnisses zu Rustschuk stand seine Meinung nicht ganz so fest. Er stellte ihr anheim, einen andern Financier zu berufen, zum Beispiel den entlassenen Generalpächter; damit wäre manches wieder gut zu