Heinrich Mann

Die Göttinnen


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Schatten erstickt, durch den Raum. Die schimmernde Figur des Marmorknaben hinter ihr legte einen Finger auf den Mund. Man klatschte; darauf kam sie zurück, müde und ohne eine Spur von Erwärmung in Wangen und Augen.

      Es ging auf Mitternacht, die Herzogin brach auf. Sie sollte den Wagen des Kardinals benutzen, und als sie die Lange der Fahrt beklagte, bot sich ihr die Contessa Mil zur Begleitung an.

      Die beiden Frauen fuhren die Lungara zu Ende. An der Ecke des Borgo entstiegen dem Hintergrunde flüchtig ein paar Säulen von den Kolonnaden Sankt Peters. Vor den Osterien saß das Volk bei Windlichtern und trank Wein. Einige spielten schreiend Morra.

      "Die arme Lilian sieht aus wie ein Opfer ohne Rettung," bemerkte die Herzogin. Die Blà erklärte:

      "Ein Opfer der mütterlichen Politik. Die Cucuru hat ihr Vermögen verloren. Sie ist überaus geschäftskundig und zieht Wechsel auf die Zukunft ihrer Töchter; aber doch wohl zu hohe Wechsel, es wird nichts übrig bleiben. Haben Sie nie etwas von dem verstorbenen Fürsten gehört?"

      "Doch. Er soll das seinige an Schauspielerinnen verschenkt haben."

      "Man tut ihm Unrecht, er gab es ebenso gern den Schauspielern. Er war ein heftiger Verehrer des Brettl, und wo immer in Neapel oder im ganzen Königreich ein solches Institut mit Schwierigkeiten kämpfte, da half er aus. In späteren Jahren reiste er selbst mit einer Truppe. Er saß allabendlich im Frack und mit schwarzer Perücke, steif und tiefernst, unter einem schofeln, lärmenden Publikum. Am Schluss stieg er auf die Bühne und verbeugte sich. Die Mimen waren seine Kinder, er verheiratete sie und stattete sie aus, schlichtete ihre Eifersüchteleien und nahm ihnen ihre Liebesbeichten ab. Seine Familie hatte schon bei seinen Lebzeiten nichts. Die Fürstin ist seit vierzig Jahren die Maitresse des Kardinals Burnsheimb."

      "Noch immer?" rief die Herzogin, ganz erschrocken.

      "Beruhigen Sie sich, Hoheit. Sie haben gehört, was der Kardinal sagte: Alles zu seiner Zeit. Jetzt ist es nicht mehr an der Mutter, für den Unterhalt der Ihrigen zu sorgen: Lilian muss dies tun."

      "Auf dieselbe Art?"

      "Schlimmer, finde ich. Denn eine feingeborene Frau sträubt sich auch noch in der letzten Not gegen einen Tamburini."

      Sie ließen das Kastell und die Engelsbrücke hinter sich und rollten durch den Korso Vittorio. Zwischen dem trotzigen Cäsarengrab und den kläglichen Ruinen der unfertigen Straße tanzten in Flatterröcken über den blinkenden Fluss die späten, fleischesfrohen Genien. Aus den scharfen Schatten der Neubauten schlichen unbestimmte Gestalten, mager und faul, hinaus ins Mondlicht. Sie reichten den Dirnen, die ihnen ohne Hut, mit geöffnetem Brusttuch, schlenkernd und wiegend entgegenkamen, die weichen Verbrecherhände und gähnten.

      "Wirklich … Tamburini?" wiederholte die Herzogin. "Er hat den Anstand, den sie in den Sakristeien lernen. Zu Hause muss er gemein sein."

      "Er ist Sohn eines Bauern und ein Bauer mit allen bäuerlichen Eigenschaften. Die stärkste ist der Geiz. Die arme Lilian wird von ihren Sünden nicht satt."

      "Und wozu diese Barbarei, wozu?"

      "Vor drei Jahren liebte Lilian den Prinzen Maffa. Ich sage nicht, dass sie ihn nicht auch jetzt liebt. Er brauchte Geld. Nach einer Weile hochmütiger Koketterie hat sie, bei der Nachricht von seiner Verlobung, den Kopf verloren und sich ihm schriftlich angeboten. Der Brief ist im Klub des Prinzen herumgereicht worden, und die alte Cucuru hat ihre Tochter, um von der armen Jugend zu retten, was zu retten war, dem Tamburini zugeführt."

      "Einem kleinen Priester! Wie genügsam."

      "Auch Mousignor Burnsheimb war ein kleiner Priester, als die Fürstin ihn erhörte. Seitdem ward aus ihm ein Kardinal. Die Mutter hofft, der Purpur werde der Tochter nachfolgen in das Bett ihres Monsignore. Was wollen Sie, an so etwas glaubt man eben. Überdies ist für ein verunglücktes Mädchen das Bett eines Monsignore ein wahres Reinigungsbad. Ich weiß nicht, Frau Herzogin, ob Ihnen diese Anschauung frommer Leute bekannt ist?"

      "Ich bin glücklich über diese Anschauung, falls sie der armen kleinen Lilian zugutekommt."

      "O, manche sehen ihren Fehltritt schon jetzt als gesühnt an, und in einiger Zeit könnte sie sich standesgemäß verheiraten, wenn…"

      "Wenn sie nicht so traurig wäre, die traurige Prinzessin."

      "Nicht bloß traurig. Zu ihrem Unglück scheint sie Wert zu legen auf Menschenwürde. Ich fürchte fast, sie lebt innerlich in Empörung!"

      "Sie weiß wenigstens warum. Und der Kardinal? Er hat das alles geschehen lassen?"

      Ihr Wagen lenkte ein, sie befanden sich bei der Kirche Gesu. Vom Korso her bewegten sich Gruppen heimkehrender Theaterbesucher. Rauschende Frauen näherten ihre geschminkten Gesichter den Schnurrbärte« von Stutzern, an den Tischen vor den strahlenden Kaffeehäusern. Dem Lachen und Summen die Trottoirs entlang, dem Klappern von Geld und Kristallen, den mutlosen Rufen der Alten und der Kleinen mit Zeitungen und wächsernen Zündstäben gesellten sich ferne Orchesterklänge, als käme ein Nachtvogel herbeigeflattert zu andern.

      "Der Kardinal," sagte die Blà, "er war immer nur ein Frauchen, wie seine Freundin sich ausdrückt. In den Duetten der beiden hat die Cucuru die Männerstimme gehabt. Jetzt ist ausgesungen, er hat sich den Vergewaltigungen durch ihr hartes Organ entzogen. Einzig seine Leidenschaft für teures altes Gerümpel war imstande, ihm dazu Kraft zu verleihen. Nun genießt er seine Selbständigkeit und gibt, mit dem Eigensinn der Schwachen, der alten Freundin nicht einmal das, was er ihr anständigerweise geben müsste."

      "Also ein einfacher Egoist?"

      "Kein einfacher: ein feiner, der unter Umstanden auch fähig wäre, Gutes zu tun, bloß aus Neugier, und ohne an das Gute zu glauben. Wenn man seine weibliche Neugier kitzelte, so könnte er vielleicht sogar Teilnahme fassen für den Freiheitskampf der Völker!"

      "Aber die Freiheit lieben…?"

      "Niemals. Sie wird ihm so gleichgültig bleiben wie die Frage, ob es in zwanzig Jahren noch Kirchenfürsten geben wird. Es genügt ihm, dass er selbst einer ist."

      "Dieser alte Mann ist unheimlich eisig. Gehört er nicht zu den böhmischen Burnsheimb?"

      "Er stammt von säbelrasselnden Draufgängern mit Stallduft, vor denen er sich verstecken musste in seiner Zartheit und Geistigkeit. Ich kann mir es denken, als Jüngling hat er viel geheuchelt, ist scheu geworden und krankhaft eigensüchtig. Das geistliche Gewand nahm er bloß, weil das in jener Umgebung für ein Wesen wie das seinige die einzige Art war, um anerkannt zu werden. Der neue Papst hat ihn recht gern, sie helfen einander beim Dichten von lateinischen Oden auf den Segen der Taubheit oder Episteln über die Bereitung von Radichiosalat. Haben Sie bemerkt, Frau Herzogin, wie er seine Medaillen und Gemmen anschaut? Mit tief beunruhigter Liebe, nicht wahr, und fast mit Neid."

      "Mit Neid?"

      "Weil sie ihn überleben werden."

      Nach einer Pause setzte die Blà, etwas leiser, hinzu:

      "Schließlich ist er von uns allen, die heute Abend beisammen waren, doch vielleicht der einzige, den man glücklich nennen kann."

      "Sie vergessen Vinon Cucuru?" meinte die Herzogin.

      "O, Vinon: ein Mädel, ahnungslos und hochgemut. Bei Tische, in der Pension zu sechs Lire, wo die fürstliche Familie Cucuru der Reklame wegen für fünf Lire wohnen darf, macht sie sich lustig über die Deutschen."

      "Aber San Bacco?"

      "Ganz glücklich ist er wahrscheinlich nur bei den parlamentarischen Duellen, von denen er allerdings jährlich zwei oder drei hat. Seine geredete Begeisterung, die Sie kennen, dient ihm nur als Ersatz für die gehauene und gestochene. Zwar liebt er die hohen Ideen und glaubt an sie, denn er ist ja Christ und Ritter. Aber sie müssen ihm auch die Berechtigung geben zu Handlungen, denen es einigermaßen an … wie soll ich sagen, an bürgerlicher Solidität gebricht,"

      "Er ist arm. Wie lebt er eigentlich?"

      "Er lebt von Freiheit und Patriotismus. Da er sein Vermögen dem Lande geschenkt hat, so hält er jeden Landsmann für seinen