so einem ist er noch nicht begegnet.“
„Natürlich,“ log Andreas, „habe ich davon gehört. Aber die Einzelheiten habe ich nicht ganz begriffen.“
„Ist auch nicht so leicht wie Sie glauben. Mancher begreift’s nie. Türkheimer ist eben ein großer Mann, das ist alles. Stellen Sie sich mal vor, dass Türkheimer mit dem Präsidenten oder Diktator der Republik Puerto Vergogna, der übrigens ein ausgebrochener Sträfling sein soll, dahin übereinkommt, das schöne warme Ländchen mit Eisenbahnen zu beglücken. Der Präsident macht Türkheimer zu seinem Generalkonsul und erteilt ihm die Konzession Lose auszugeben. Diese wurden an der Berliner Börse nicht zur Quotierung zugelassen, (Türkheimer hatte damals noch keinen Hochstetten zum Schwiegersohn. Merkwürdig, wie weit wir es im Schutz der Dummen gebracht haben!) Aber in Wien ließ die Regierung mit sich reden. Na, Deutschland war doch der Hauptabnehmer der Stradas ferradas de Puerto Vergogna. Das deutsche Publikum hat nun mal ’ne rührende Vorliebe für wohlklingende Wertpapiere. Die ersten Prämien und Treffer sollen von der tropischen Republik sogar ausbezahlt worden sein. Aber als der Präsident von dem Ertrag der Emission, der auf siebzig Millionen geschätzt wurde, keinen Pfennig zu sehen bekam, merkte er, dass Türkheimer auch erfahrenen Sträflingen über sei, und sagte die Partie ab. Er fand die Eisenbahnen zum sittlichen und wirtschaftlichen Fortschritt seines Landes nicht mehr nötig, Puerto Vergogna stellte sich überdies als gänzlich pleite heraus, wofür Türkheimer doch offenbar nichts konnte, und das Deutsche Reich macht seitdem Vorstellungen bei der Republik. Es soll nächstens wieder mal ein Kreuzer hingeschickt werden, der deutschen Gläubiger wegen und um der Welt zu zeigen, wie weit Deutschlands starker Arm reicht. Verstehnsemich, sehr geehrter Herr?“
„Also siebzig Millionen,“ sagte Andreas nachdenklich.
„Nicht wahr?“ rief Kaflisch begeistert. „Was für’n großer Mann! Ich sage es ja immer, für uns moderne Literaten geht nichts über das Genie der Tat. Napoleon, Bismarck, Türkheimer!“
Er bat um eine zweite Zigarette und verfiel in Schweigen. Andreas’ Gedanken blieben, ein wenig müde, bei Kaflisch’ letztem Wort stehen. Der Mann entdeckte also gelegentlich auch etwas wie ein literarisches Ideal in sich. Nun ja, das hatten die von der Tafelrunde im Café Hurra auch besessen, bevor sie sich irgendeinem Jekufer verdungen hatten, und gelegentlich des Nachts um drei, wenn sie gratis zu trinken erhalten hatten, kam es wieder zum Vorschein. Andreas ruhte nach allen Aufregungen des Abends wohlgefällig in der Überlegenheit des freien Dichters über den schreibenden Tagelöhner aus.
Kaflisch wischte die Scheiben ab; der Wagen bog in die Linienstraße ein.
„Ich muss wieder umkehren,“ bemerkte er, „ich wohne Albrechtstraße.“
„Fabelhaft,“ so begann er wieder, „was für’n Glück Sie heute Abend gehabt haben! Sie haben wohl ’nen hübschen Batzen eingesackt, und ich bin doch nett zu Ihnen gewesen, dass ich Ihnen das Spiellokal gezeigt habe. Bitte, gern geschehen. Unter Kollegen tut man sich so was zuliebe, ohne Prozente zu verlangen. A propos, können Sie mir bis zum Ersten hundert Mark pumpen? Wenn Sie wüssten, wie schäbig der Jekuser zahlt. Es ist nicht zu sagen, dass ich seit sechs Jahren, dass ich mir bei ihm die Nägel kurz schreibe, immer bloß zehn Pfennig für die kleine Zeile bekomme. Und die weißen halben Zeilen zieht er ab!“
Andreas griff in die Tasche, bevor Kaflisch zu Ende war. Er reichte den Schein seinem Nachbar, der einen Augenblick verstreichen ließ, bevor er sich bedankte. Vielleicht hatte er nur zwanzig Mark erwartet.
Der Wagen hielt, und Andreas verabschiedete sich. Als er den Schlag hinter sich geschlossen hatte, ließ Kaflisch das Fenster herunter und rief ihm nach:
„Sie! Einen Moment! Mein kleines Geld langt nicht, Sie bezahlen wohl den Kutscher!“
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