Durch die Rechtsverordnung wurde auch der „Nationalparkbeirat“ gegründet, dem insgesamt 22 Mitglieder angehörten.
Am 2. Oktober 1969 fand die erste Sitzung des „Nationalparkbeirates“ unter Vorsitz von Minister Eisenmann statt. Übereinstimmend wurde festgelegt, dass das Nationalparkgebiet 10.160 Hektar umfassen sollte. Südgrenze war die heutige Nationalparkstraße zwischen Spiegelau und Mauth. Auf Antrag des „Nationalparkzweckverbandes“ wurde dann die Nationalparkgrenze bereits 1970 über die Straße hinaus an die Staatswaldgrenze nach Süden verlegt und der Kleine Rachel einbezogen. Damit wurde das Gebiet auf 13.000 Hektar erweitert.
Ein Naturpark erhält den Namen Nationalpark
Abschließend muss allerdings noch einmal zusammenfassend daran erinnert werden, dass Wolfgang Haber in seinem Gutachten, welches er im Auftrag des „Deutschen Rates für Landespflege“ erarbeitete und das die fachliche Grundlage für den Landtagsbeschluss war, forderte, dass eine bestmögliche touristische Nutzung des Gebietes erzielt werden sollte. Sowohl größere Besucherströme als auch einzelne Ruhesuchende und wildbeobachtende Wanderer sollten auf ihre Kosten kommen und dem Gebiet eine dauerhafte Beliebtheit sichern. Wörtlich heißt es im Gutachten: „Sobald ein Naturschutzgebiet dem Fremdenverkehr erschlossen werden soll, sei es als Nationalpark oder unter anderem Namen, ist ein Vollnaturschutz weder durchführbar noch sinnvoll.“
Nach Habers damaliger Überzeugung wünschte sich der erholungssuchende Tourist und Naturfreund eine naturgemäße und abwechslungsreich erschlossene Landschaft. Diese aber, so der Gutachter, könne nur unter Verzicht auf strengen Naturschutz erreicht werden. Deshalb plädierte Haber dafür, im Bayerischen Wald nicht einen Nationalpark, sondern einen Naturpark zu gründen – nach dem Muster der 30 in Deutschland bereits vorhandenen Naturparke. Sein Gutachten endet mit der Feststellung: „Sorgfältige forstliche Waldpflege und auch naturgemäße Holznutzung – nach den bewährten Grundsätzen der naturnahen Waldwirtschaft in den Staatsforsten des Bayerischen Waldes – müssen auch aus landschaftspflegerischen Erwägungen gewährleistet bleiben“. Ergänzend heißt es, dass „Vollnaturschutz und Fremdenverkehr nur dort einigermaßen vereinbar sind, wo eine kleinräumige landschaftliche Vielfalt eine hohe natürliche Selbstregulierungskraft bewirkt. In allen anderen Fällen muss die Natur durch überlegte Pflege und Gestaltung dem touristischen Gebrauch angepasst werden. Das aber ist das wesentliche Prinzip der Naturparke, dem auch der im Bayerischen Wald geplante Park einzuordnen wäre und seine Bezeichnung als Nationalpark mehr zu einer Vokabelfrage macht.“
2 |WIR TUN DREI JAHRE SO ALS OB…
DER AUFBAU DES NATIONALPARKS BEGINNT
Auf Vorschlag von Minister Eisenmann wurde ich am 2. Oktober 1969 in der ersten Sitzung des vom Landtag errichteten Nationalparkbeirates zum Leiter des Nationalparkamtes Spiegelau berufen. Mein Schulfreund Dr. Georg Sperber wurde von der Ministerialforstabteilung zu meinem Stellvertreter ernannt. Unser Dienst in Spiegelau begann am 2. November 1969. Trotz des einstimmigen Landtagsbeschlusses, einen Nationalpark einzurichten, gab die Ministerialforstabteilung in München den Widerstand gegen das Projekt nicht auf. Weder Georg Sperber noch ich hatten auch nur die geringste Ahnung, was da auf uns zukommen würde. Als wir am 5. November 1969 in Spiegelau von Regierungsdirektor Kilian Baumgart aus München in den Dienst eingeführt wurden, verabschiedete er sich mit den Worten: „Herr Dr. Bibelriether, da tun wir jetzt mal drei Jahre so als ob, dann erledigt sich das von selber.“ Ich hatte nur eine sehr beschränkte Vorstellung davon, was ein Nationalpark war, geschweige denn, wie ein solcher aufzubauen sei. Meine Bewerbung um den Posten hatte vor allem den Grund, endlich aus München weg zu kommen. Raus aufs Land, raus in die Natur – das war mein Wunsch! In meiner Jugend hatte sich dieser Wunsch entwickelt.
Große Freiheit mit zwölf Jahren
Bei Kriegsende 1945 war ich zwölf Jahre alt und brauchte ein Jahr lang nicht zur Schule zu gehen! Fernsehen oder Computerspiele gab es damals noch nicht, nur endlose Wälder, Wiesen und Feldfluren um mein Elternhaus in Ezelheim in Mittelfranken. Es war Frühling. Mein Bruder Martin und ich kundschafteten Vogelnester aus – etwa von Habicht und Krähe, Rotkehlchen und Rebhuhn. Am Ende der Brutzeit besaßen wir eine stattliche Eiersammlung von über 50 Vogelarten. Unvergessen sind mir unsere riskanten Klettertouren in die Gipfel alter Eichen, wo Mäusebussard und Gabelweihe, der Rote Milan, brüteten.
Als Jäger aus der Gefangenschaft heimkehrten, mussten sie ihre Gewehre abliefern und es gab jahrelang keine Jagd. So wurden Rehe und Wildschweine fast zahm. Ich sehe sie noch vor mir, am helllichten Nachmittag: Rotten feister Schweine, denen wir im Wald nachgespürt hatten. Zehn Meter vor uns erhoben sie sich grunzend von ihren Lagern auf und suchten eher beleidigt als ängstlich das Weite. Tagtäglich waren wir unterwegs. Nur das Unkrauthacken in den Kartoffel- und Rübenfeldern, das Zusammenrechen von Gras und Heu oder im Herbst die Kartoffel- und Rübenernte hielten uns von unseren Entdeckungstouren ab. Beim Kühe hüten dagegen blieb genug Zeit, den Forellen, Weißfischen und Krebsen im Bach nachzustellen.
Im Frühjahr 1946 war es dann zwar mit der großen Freiheit zu Ende. Wir mussten zurück auf die Schulbank. Aber die kleine Freiheit blieb. Die Rückfahrt mit dem Fahrrad aus der zwölf Kilometer entfernten Oberschule in Scheinfeld zog sich manchmal bis vier Uhr nachmittags hin. Schließlich wollten wir wissen, ob die jungen Waldohreulen schon ausgeflogen, die Walderdbeeren schon reif waren oder die Bekassinen noch in den Sumpfwiesen hockten. In mir wuchs in dieser Zeit nicht nur die Liebe zur Natur, sondern ganz besonders zum Wald. Das war auch der Grund, weshalb ich Forstwirtschaft studierte und Förster werden wollte. Dieses enge Band, das mich seit meiner Jugendzeit mit der Natur verbindet, hält bis heute. Und ich bin mir sicher: Das eine schulfreie Jahr hat mich mehr geprägt als zwölf Jahre Schule!
Stark durch Gemeinsamkeit
Schon bald nach unserem Dienstantritt im Nationalparkamt gab es erste Konflikte zwischen Georg Sperber und mir mit der Ministerialforstabteilung, weil wir den Aufbau des Nationalparks wirklich voranbringen wollten. Sie häuften sich und Ministerialdirektor Hermann Haagen stellte schon nach einem Jahr fest, es sei seine größte personalpolitische Fehlentscheidung gewesen, Georg Sperber und mich gemeinsam nach Spiegelau zu versetzen. Deshalb hat man auch versucht, Georg Sperber im September 1970 zur Bewerbung als Amtsvorstand an das freigewordene Forstamt Nürnberg-Süd zu überreden. Im Rückblick ist mir klar geworden: Einer allein hätte diese Anfangszeit nicht durchgestanden.
Doch wie kam es überhaupt dazu, dass Georg Sperber und ich uns beide um den Posten des Nationalparkleiters bemüht hatten? Mit Georg Sperber saß ich 1943 bis 1945 zusammen auf einer Schulbank in der Oberrealschule in Neustadt an der Aisch und als ich 1953 in München das Forststudium begann, traf ich ihn am ersten Tag im Hof der Forstabteilung der Universität in der Amalienstraße wieder. Unsere Schulfreundschaft wuchs in eine enge persönliche Beziehung. Im Studentenheim teilten wir uns eine Bude. Auf einer Exkursion im Herbst 1956 mit Waldbauprofessor Josef Köstler hörten wir im Bus hinter ihm sitzend, wie unser Studienkollege Karl Kreuzer mit Professor Köstler sprach, um bei ihm zu promovieren. Georg Sperber sagte am Abend zu mir, dass wir doch eigentlich auch promovieren könnten. Allerdings waren wir uns einig: Nur dann, wenn wir gemeinsam irgendwo die Außenarbeiten erledigen könnten. Wir trugen unser Anliegen Professor Köstler vor. Einige Wochen später sagte er uns, dass wir über die Lärche und die Weymouthskiefer im Spessart promovieren könnten. So begannen wir 1957 mit den Außenaufnahmen in Heigenbrücken im Spessart. Wir kauften uns gemeinsam einen gebrauchten VW-Käfer, arbeiteten einige Monate an Waldbestandsanalysen und Bodenuntersuchungen und promovierten beide im Jahr 1960 an der Universität in München.
Georg Sperber begann die dreijährige Referendarzeit erst 1958. Er kartierte, um Geld zu verdienen, nach seinem Studienabschluss einige Monate lang Waldstandorte im Forstbetrieb Öttingen/Spielberg. Dadurch machte er ein Jahr später als ich das Staatsexamen und lernte in dieser Zeit Hubert Weinzierl kennen. Sie freundeten sich an, da mein Freund Sperber – auch er hatte ein Jahr lang nicht in die Schule gehen müssen – bereits seit seiner Kinderzeit sehr an der Natur, vor allem der Vogelwelt