seinen Laptop zu. Er ließ sich meistens nichts anmerken, wenn Winkels wieder einmal unangemeldet hereinschneite, doch es war ihm anzusehen, dass er seinen Vorgänger lieber von hinten sah.
Egal – Tjade hatte sich schon soweit mit dem Fall Papendieck beschäftigt, dass es jetzt nicht mehr zurückkonnte. Er musste einfach mithelfen, diesen Mord aufzuklären.
Also informierte er Dröver über die Fußspuren, und der - das musste man ihm lassen – reagierte sofort und rief die Spurensicherung an.
Winkels war erleichtert. Er hatte einen wichtigen Beitrag geleistet, so dass Dröver ihn kaum noch aus der Ermittlung ausschließen konnte.
Während er auf dem Besucherstuhl vor Drövers Schreibtisch saß, hatte er Gelegenheit, die Unterlagen auf der Schreibtischplatte zu studieren, solange sein Gegenüber telefonierte. Winkels verstand sich hervorragend darauf, auf dem Kopf stehende Schriften lesen zu können.
Auf ein Blatt Papier hatte Dröver mit Großbuchstaben zwei Worte geschrieben und unterstrichen:
Seniorenheim Waldfrieden.
Na, sieh mal einer an!
Wenn in so kurzer Zeit zum zweiten Mal ein bestimmter Begriff auftaucht, dann hat er auch eine Bedeutung, und Winkels war klar, wohin ihn sein nächster Weg führen musste.
Das folgende Gespräch entpuppte sich als ziemlich zäh, denn Dröver wollte mit Informationen einfach nicht herausrücken. Er musste jedoch zugeben, dass Winkels mit seinem Verdacht richtig gelegen hatte. Wilhelm Papendieck war ermordet worden.
Ein Rechtsmediziner war noch am gleichen Tag nach Aurich gekommen und hatte beim ersten Blick auf den Toten festgestellt, dass es sich nicht um einen Unfall handelte. Er hatte sich die Leiter angesehen und die gleichen Schlüsse gezogen wie Winkels. Bei näherer Betrachtung der Leiche waren ihm dann die Spuren von Würgemalen am Hals aufgefallen. Die Ergebnisse der Obduktion lagen noch nicht vor, doch der Hergang der Tat war inzwischen recht klar.
Auch die Spurensicherung hatte bestätigt, dass die Leiter nicht von allein umgefallen war.
Es handelte sich jetzt offiziell um einen Mordfall und Uwe Dröver hatte bereits seine Sonderkommission zusammengestellt.
Er hatte sein Gespräch beendet und legte auf. Sein Interesse war wieder auf seinen Vorgänger gerichtet.
„Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“
„Ich würde gern weiter an dem Fall arbeiten. Ich könnte dir einige Laufereien abnehmen. Ich weiß ja, wieviel du hier in der Zentrale zu tun hast. Schließlich lastet die gesamte Verantwortung auf dir. Ich würde dir selbstverständlich sofort mitteilen, wenn ich auf ein wichtiges Detail gestoßen bin. Vor allem würdest du ein eventuelles Lob bekommen…“
Das reicht jetzt, dachte Tjade Winkels. Noch mehr Honig, und Dröver würde misstrauisch werden.
Sein Nachfolger überdachte den Vorschlag. Schließlich nickte er.
„Na, gut. Versuchen wir es.“
Tjade Winkels hatte es jetzt plötzlich eilig und verabschiedete sich.
3. Kapitel
Er fuhr rechts an den Straßenrand, als ihn ein Krankenwagen mit Blaulicht und angeschalteter Sirene in hohem Tempo überholte. Tjade Winkels hatte seinen alten Golf aus der Garage holen müssen, da der Weg zum Altenheim für einen Fußweg zu weit gewesen wäre.
Er war doch erst zu Hause gewesen und hatte ein Fertiggericht warm gemacht, während Harm sein Dosenfutter schlabberte. Dann war er mit dem Hund eine halbe Stunde spazieren gegangen. Harm mochte es nicht, wenn er zu lange im Haus bleiben musste. In solchen Fällen waren herumliegende Socken vor ihm nicht sicher.
Der Krankenwagen war kaum vorbei, als ein Streifenwagen ebenfalls mit Sirene und Blaulicht hinter ihm aufkreuzte. Tjade ließ auch ihn vorbei, ehe sich wieder in der Verkehr einordnete.
Wahrscheinlich ein Verkehrsunfall.
An seinem Ziel angekommen, blieb er vor der Einfahrt stehen und musterte das große Schild an der rechten Seite.
Seniorenresidenz Waldfrieden.
Klar, es musste heutzutage ja alles pompöser klingen als es war. Winkels erinnerte sich, dass er vor vielen Jahren schon einmal hier gewesen war. Er war gerade erst in die Abteilung für Schwerverbrechen versetzt worden, was er sich damals schon lange erhofft hatte.
Im Heim hatte es eine Vergewaltigung gegeben, Nein, keine der Insassinnen, sondern eine junge Küchenhilfe. Ein Mann hatte sie in ein leer stehendes Zimmer gezerrt, und sie hatte vor Angst keinen Laut von sich gegeben. Es war wohl ein Besucher oder jemamd war von der Straße durch ein Nebengelass auf das Gelände gekommen, eine unverschlossene Eingangstür und eine Gelegenheit: Der Fall war nie aufgeklärt worden.
Winkels hatte die junge Frau immer wieder besucht, ihr Fotos von Verdächtigen gezeigt und nachgeforscht, ob ihr nicht doch eine Einzelheit aufgefallen war. Ob ihr nicht doch noch etwas aufgefallen war, egal, wie unwichtig es zu sein schien.
Sie hatte immer nur den Kopf geschüttelt und ihn traurig angesehen. Irgendwann war sie fortgezogen, und der Fall lastete heute noch auf seiner Seele, auch wenn er damals noch nicht einmal der leitende Beamte gewesen war.
Der pensionierte Hauptkommissar legte den Gang wieder ein und rollte in die Einfahrt. Er wusste noch, dass der Weg in sanftem Bogen an einer Baumreihe vorbeiführte und dann vor dem L-förmigen Gebäude endete. Hier gab es einen Parkplatz für Besucher.
Als Winkels endlich einen freien Blick auf das Gebäude hatte, trat er abrupt auf die Bremse.
Das war doch nicht möglich!
Vor dem Haupteingang stand der Krankenwagen. Eine Trage auf Rädern war soeben ausgeladen worden, und ein Typ in einem weißen Kittel gestikulierte mit den Händen.
Die Polizisten aus dem daneben stehenden Streifenwagen waren offensichtlich bereits ausgestiegen und im Gebäude verschwunden, denn der Wagen war leer.
Langsam fuhr Winkels weiter.
Was hatte das zu bedeuten?
Nun, es war eine Wohnanlage für alte Menschen. Da kam es vermutlich häufiger vor. dass ein Krankenwagen gebraucht wurde. Aber wurde in solchen Fällen auch die Polizei gebraucht?
Er stellte seinen Golf auf dem Parkplatz ab und schlenderte zum Eingang hinüber, ganz so, als würde er hierher gehören.
Der Bau war recht modern und besaß drei Etagen. Die beiden oberen waren mit einer durchgehenden Balkonfront ausgestattet, mit Trennwänden zwischen den einzelnen Zimmern. Überall waren Köpfe und Oberkörper zu sehen, die neugierig herunterstarrten. Im Erdgeschoss gab es eine Fensterfront mit großen Scheiben, hinter denen schemenhaft ein Speisesaal zu erkennen war.
Ungehindert betrat Winkels das Gebäude durch den Haupteingang, dessen zweiflügelige Glastür weit geöffnet war. Er stand ein einer großen Halle, von der nach beiden Seiten Durchgänge abzweigten. Geradeaus war die breite Treppe, die um einen Fahrstuhlschacht herumführte.
In einem leicht geschwungenen Bogen rechts davon war so etwas wie eine Rezeption. An der Wand hinter dem Tresen sah er zahlreiche Fächer für Briefe und Haken für Schlüssel. Ganz ähnlich wie ein einem Hotel. Im Moment war die Rezeption nicht besetzt.
Neben der Treppe gab es einen Hinterausgang, dessen Türen ebenfalls weit geöffnet waren.
Er hatte den Eindruck, dass sich dort der Schauplatz des Geschehens befand. Einige ältere Damen und Herren, teilweise auf Stöcke gestützt, liefen oder standen herum und wussten offenbar nicht, was die Quelle der Unruhe war.
Schnell durchquerte Winkels den Raum und trat an der Rückseite wieder nach draußen. Mit geübtem Blick erfasste er sofort die Einzelheiten.
In