Thomas Troward (1847-1916)
Englischer Richter, Philosoph, Maler
Um Veränderungskompetenz fördern zu können, ist es wichtig, zu wissen, was im Umgang mit Veränderung vorwärtsführt. Das ist Inhalt von Teil I.
Ein Blick in die Praxis erinnert daran, dass Menschen Veränderung sehr unterschiedlich begegnen. Veränderungskompetenz kann nur effektiv gefördert werden, wenn angesetzt wird bei dem, was in einer individuellen Situation spielt. Um sich nicht in der Vielfalt zu verlieren, ist es zugleich wichtig, zu wissen, worauf es im Umgang mit Veränderung im Kern ankommt. Dazu stelle ich Ihnen den konzeptuell-theoretischen Rahmen dieses Buches vor und fokussiere anschließend auf den Veränderungskreis, mein Konzept zu den Schlüsseldimensionen erfolgreichen Umgangs mit Veränderung.
Ziel von Teil I ist es, dass Sie mit dem Veränderungskreis einen theoretisch fundierten konzeptuellen Orientierungsrahmen für die Förderung von Veränderungskompetenz erhalten, der offen genug ist, um Vielfalt und Unterschieden individuellen Umgangs mit Veränderung Rechnung zu tragen und der zugleich ermöglicht, rasch auf das zu fokussieren, was in einer individuellen Situation vorwärtsführt.
Vielleicht wollen Sie sich vor Beginn der Lektüre Ihre eigenen Beobachtungen, Erfahrungen, Annahmen, evtl. auch offenen Fragen vergegenwärtigen, wenn es darum geht, was im Umgang mit Veränderung vorwärtsführt (
Kasten 1
Was führt im Umgang mit Veränderung vorwärts? Reflexion des eigenen Zugangs
Vergegenwärtigen Sie sich Ihren Arbeitsalltag:
• Wenn es einen einzigen Erfolgsfaktor gäbe, der Menschen auszeichnet, die Veränderungssituationen erfolgreich meistern: Welcher ist das?
• Wenn es einen einzigen Stolperstein im Umgang mit Veränderung gäbe, der Prozesse garantiert ins Stocken bringt: Welcher ist das?
• Wenn es darum geht, was im Umgang mit Veränderung vorwärtsführt: Welche Fragen wollen Sie mit der Lektüre von Teil I für sich klären?
1 Ein Blick in die Praxis: Wie begegnen Menschen Veränderung?
»Wenn der Wind der Veränderung weht,
bauen die einen Mauern,
die anderen Windmühlen.«
Chinesisches Sprichwort
Einige Beispiele aus meinem Praxisalltag veranschaulichen Vielfalt und Unterschiedlichkeit individueller Situationen und Strategien im Umgang mit Veränderung (
Kasten 2
Wie Menschen Veränderung begegnen – Beispiele
• Frau Ast, Akademikerin, hat innerhalb relativ kurzer Zeit mehrmals die Arbeitsstelle verloren. Sie ist talentiert und frustriert. Sie ist überzeugt, wiederholt Opfer von Mobbing zu sein.
• Eine junge Tamilin erhält bei der Stellensuche Absage um Absage. Sie geht realistisch und gut vor. Sie bleibt dran und sie bleibt fröhlich. Auf meine Frage, wie sie es schaffe, so fröhlich zu bleiben, antwortet sie: »Ich hoffe einfach, etwas wird kommen.«
• Herr Peter, Parkinsonpatient, musste aufgrund der Krankheit seine Karriere aufgeben. Er begann auf sein Hobby Naturphotographie zu fokussieren und dieses zu professionalisieren. Er ist heute viel unterwegs. Er sagt: »Für mich gehen immer wieder Türen auf.«
• Herr Rieder, ebenfalls Parkinsonpatient, sagt: »Mit Parkinson bin ich ein Krüppel. Das Leben macht keinen Sinn mehr.«
• Frau Müller, Pflegedienstleitende in einer Klinik, klagt: »Wir haben jedes Jahr Arztrochade. Jedes Mal muss alles wieder auf den Kopf gestellt werden. Ich habe die Nase voll.«
• Frau Geiser, in deren Firma viel reorganisiert wird, fragt: »Wie kann ich reale Probleme ansprechen – ohne dass das als Kritik aufgefasst wird?«
Solche Praxissituationen sowie theoretische Reflexion haben mich im Hinblick auf die Arbeit mit Menschen in Veränderungssituationen zu drei Prämissen veranlasst (
Kasten 3
Was führt im Umgang mit Veränderung vorwärts? Prämissen
1. Jeder Mensch begegnet Veränderung anders. Dies erfordert eine offene und differenzierte Wahrnehmung.
2. Nicht Umstände sind entscheidend, sondern wie Umständen begegnet wird. Haltung und Verhalten sind einzubeziehen.
3. Was im Umgang mit Veränderung vorwärtsführt, ist universal. Entscheidend sind drei Dimensionen (Veränderungskreis).
Prämisse 1: Jeder Mensch begegnet Veränderung anders. Dies erfordert eine offene und differenzierte Wahrnehmung
Obige Beispiele veranschaulichen die Vielfalt individueller Situationen, Haltungen und Verhaltensweisen. Während die eine stellenlose Person hängen bleibt bei der Überzeugung, Opfer von Mobbing zu sein, holt die andere aus einer optimistischen Grundhaltung Energie zum Dranbleiben. Während die eine Person bei der Konfrontation mit der Diagnose Parkinson auf neue Möglichkeiten fokussiert, kommt die andere nicht darüber hinweg. Während sich die eine Person über dauernde Veränderung am Arbeitsplatz ärgert, sucht eine andere Person Wege, reale Probleme zu benennen.
Die Beispiele erinnern: Eine vergleichbare Ausgangslage kann völlig unterschiedlich wahrgenommen werden. Und: Veränderung ist kein für jeden Menschen gleicher Stressor. Die Beispiele der jungen Tamilin sowie Herrn Peters, des Parkinsonpatienten, machen deutlich, dass es Menschen gibt, die auch eingreifenden Veränderungen mit Zuversicht und Initiative begegnen. Im Hinblick auf die Arbeit mit Menschen in Veränderungssituationen heißt dies, vorsichtig zu sein mit Vorannahmen und unbeabsichtigter Pathologisierung.
Veränderungskompetenz kann nur gefördert werden, wenn möglichst präzise bei dem angesetzt wird, was in einer individuellen Situation mitspielt. Das erfordert eine offene und differenzierte Wahrnehmung: Wie begegnet dieser Mensch dieser spezifischen Situation? Und was bewirkt dies? Dies ist weniger selbstverständlich als es scheint. Einerseits wird in verschiedenen Forschungsansätzen mit Verlaufskurven und Phasenmodellen potentiell suggeriert, dass Veränderungsprozesse ähnlich erfahren und durchlaufen werden. Andererseits lassen einseitige Problem- bzw. Lösungsorientierung in Forschung und Praxis schnell einmal vergessen, erst zu explorieren, wie diese Person dieser spezifischen Situation begegnet. Entweder wird von vornherein darauf fokussiert, was Menschen in Veränderungssituationen belastet. So gerät leicht aus dem Blick, was sie befähigt, Schwieriges zu meistern.1 Oder es wird mit bester Absicht sofort auf Lösungen und Ressourcen fokussiert. Dabei geraten reale Probleme und Schwierigkeiten schnell einmal aus dem Blick und Menschen in Stress, die es nicht schaffen, die erwünschte Lösungsperspektive einzunehmen.2 Schließlich kommt ein weiterer Faktor hinzu, der es oft erschwert, vor jeder Intervention erst ein genaues Bild zu bekommen, wie eine Person einer Situation begegnet: Kontextuelle Zielvorgaben, beschränkte zeitliche bzw. finanzielle Ressourcen, festgelegte Prozeduren und inhaltlich-fachbezogene Schwerpunkte.
Prämisse 2: Nicht Umstände sind entscheidend,