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VISIONEN & WIRKLICHKEIT


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den Vortritt lassen, da drängte sich der CL dazwischen. »Arschloch!«, entfuhr es dem Energieminister, und diesmal nicht in gedämpfter Lautstärke. Der CL boxte ihn dafür im Rauseilen in den Magen. Der Bodyguard zog ihn weg. Soldi quetschte sich an Minender vorbei und Kenmich schimpfte die ganz Zeit lauthals: »Diese Scheißliberalen, diese Scheißkanaken, diese Scheißvirologen, diese Scheißfridays, lasst mich vorbei, ihr Scheißignoranten …«

      Als der Finanzminister als Letzter durch die Tür ging, explodierte die erste Bombe. Sie fetzte das Dachgeschoss weg. Die zweite Selbstmörderdrohne zündete im Zentrum des Gebäudes und brachte das Palais vollends zum Einsturz. Niemand entkam den Flammen, die kurz danach aufloderten.

      Der Anschlag war der Auftakt zu einem Putsch, der innerhalb weniger Tage zu einem radikalen Politikwechsel führte. Das Volk war daran ja schon gewöhnt. Beziehungsweise unterstützte ihn in gewohnter Launenhaftigkeit. Der neue Innenminister der Notstandsregierung ließ es sich nicht nehmen, die Aufräumarbeiten am Anschlagsort als Kulisse für eine Rede an die Nation zu nehmen. In kräftigen, wütenden Stößen bugsierte er seinen Rollstuhl durch die kalte Asche ins Zentrum der Verwüstung. Als die Kameras rot blinkten, begann er seine kurze Ansprache: »Die wehrhafte Demokratie hat letztlich gesiegt. Und der Vernunft zur Wiederkehr verholfen. Schon jetzt zeichnet sich in den Meinungsumfragen eine radikale und längst überfällige Abkehr von den Populisten der W20 ab. Wir werden diese Entwicklung weiter fördern und beizeiten Neuwahlen ausschreiben. Und zu der Kritik an unserem entschiedenen Vorgehen nur so viel: Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig.«

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      Rainer Eisfeld (links), Heinz Zwack und Jörg Weigand auf dem OldieCon 2013. Foto: Robert Christ

      Hans-Dieter Furrer: COEURL und die Folgen

      Im Jahre 1957, ich war fünfzehn und im letzten Schuljahr, fuhr ich oft mit meinem Fahrrad auf der Seestrasse von Feldbach nach Rapperswil. Mein Ziel war ein kleines Geschäft für Zigarren und Zeitschriften in der Kluggasse. Ich parkierte meinen Stahlesel wie immer an der Hauswand. Es war das alte Rad meines Vaters, mit einer Dreigangschaltung von »Sturmey-Archer« und nicht sehr wirksamen Trommelbremsen. Ich kann mich noch erinnern, dass ich auf dem Lenker einen Tacho montiert hatte, der die Geschwindigkeit anhand des Fahrtwindes maß, was vermutlich nicht sehr präzise war.

      Ich betrat den kleinen Laden, in dem es immer nach Pfeifentabak und Zigarren roch. Links vom Eingang waren stets die neuesten Romanhefte aufgelegt. Damals las ich am liebsten die »Fliegergeschichten« aus dem Moewig-Verlag. Eben wollte ich zum neusten Band greifen, der zwei Stukas Junkers Ju 87 im Sturzflug zeigte, als mein Blick auf den UTOPIA-Grossband Nr. 50 aus dem Erich Pabel Verlag fiel: »Unternehmen Milchstraße« von A. E. van Vogt. Unter einem gelbrot schimmernden Sternennebel hing ein Raumfahrer kopfunter im Weltall, nur an einer dünnen Leine mit seinem pfeilförmigen Raumschiff verbunden.

      Auf der zweiten Umschlagseite war ein Schwarz-Weiß-Foto mit drei Männern und folgendem Text: »Zur Verwirklichung der Raumfahrtpläne tragen diese drei Männer bei, deren Namen eines Tages das Symbol einer raumfahrenden Rasse sein werden. Im Studio von Walt Disney unterhalten sich Dr. Heinz Haber, der bekannte Raummediziner, Wernher von Braun und Willy Ley. Ihre Aufgabe ist es, die fantastischen Ideen der utopischen Literatur durch harte Arbeit und geniales Können zu verwirklichen.«

      Zu meiner Lieblingslektüre gehörte in den Fünfzigerjahren auch »hobby – das Magazin der Technik« mit seinen technischen Zukunftsvisionen. Und so faszinierte mich auch dieses Schwarz-Weiß-Foto.

      Fast vierzig Jahre später, im Jahre 1996, würde ein Buch von Rainer Eisfeld erscheinen, das die Schatten dunkler Vergangenheit durchleuchten und mir den Konstrukteur der Saturn-Rakete in einem ganz anderen Licht zeigen würde: »MONDSÜCHTIG – Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei«.

      Doch damals im Jahre 1957 war ich völlig fasziniert von UTOPIA-Großband Nr. 50.

      »Der vorliegende Roman wurde vom Science Fiction Club Deutschland mit dem Clubsiegel ausgezeichnet und somit als echter Science-Fiction-Roman empfohlen.« Nur schon der Begriff Science-Fiction klang irgendwie geheimnisvoll. Und es existierte sogar ein Science-Fiction-Club!

      Ich begann zu lesen: »Weiter und immer weiter wanderte Coeurl. Die schwarze, mondlose, beinahe sternenlose Nacht wich widerwillig vor einer unfreundlichen rötlichen Dämmerung zurück, die zu seiner Linken heraufgekrochen kam. Es war ein vages Licht, welches nicht die geringste Vorahnung kommender Wärme enthielt. Zögernd enthüllte es eine Alptraum-Landschaft.« (Übersetzung: Jesco von Puttkamer)

      Was für ein Einstieg! Wer war dieser Coeurl? Wo befand ich mich? Rückblickend muss ich gestehen, dass mich die erste Lektüre von »Unternehmen Milchstraße« damals etwas überforderte. Alles war so fremdartig, so neu für mich. Doch die Faszination hielt an und führte nach weiteren UTOPIA-Großbänden dazu, dass ich 1958 dem SFCD, Landesgruppe Schweiz, beitrat und im August 1959 meinen ersten Con besuchte, den 1. Europakonvent (Eurocon) des Science Fiction Club Europa (vormals SFCD) im Hotel »Weisser Wind« in Zürich. Damals könnten Rainer Eisfeld und ich uns zum ersten Mal begegnet sein. Sein Name tauchte ja im Programm auf:

      »14 h 40: Willkommen der Auslandsdelegationen und Verlesung von Grussbotschaften durch Rainer Eisfeld«.

      Doch ich saß wohl bei meinem ersten Con-Besuch als stiller Beobachter irgendwo im Hintergrund. Damals wusste ich nicht, dass Rainer genauso fasziniert von Van Vogt war. Er las die Meisterwerke der Vierziger- und Fünfzigerjahre natürlich im Original. Und er übersetzte in jener Zeit bereits »Welt der Null-A« und »Kosmischer Schachzug«, die als Leihbücher im Balowa-Verlag erschienen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von einem gewissen Armin von Eichenberg. Ich hatte keine Ahnung, dass sich hinter diesem Pseudonym Rainer Eisfeld verbarg.

      Autogramme von W. D. Rohr und K. H. Scheer waren die einzigen Trophäen, die ich nach Hause trug. Immerhin knüpfte ich auf dem Europakonvent in Zürich auch einen ersten »internationalen« Fankontakt mit Manfred Knorr aus Nürnberg, dem heutigen Chefredaktor und Herausgeber der Zeitschrift MOVIESTAR. 1972 erschien die erste Nummer von VAMPIR mit einem Bericht vom Filmfestival Triest, das in jenem Jahr zeitgleich mit dem ersten echten Eurocon stattfand. Ein Jahrzehnt lang besuchte ich in der Folge Jahr für Jahr die einschlägigen Festivals des Phantastischen Films in Triest, Paris und München. Bereits 1966 hatte ich sieben Monate in Paris verbracht und neben Sprachschule und Beruf die auf SF- und Horrorfilme spezialisierten Kinos der Großstadt besucht.

      Und dann kam der 20. Juli 1969. Die ersten Menschen landeten auf dem Mond. Und ich saß bis zum Morgengrauen vor einem Schwarz-Weiß-Fernseher und verfolgte gebannt die unscharfen Bilder und die knackenden Funkverbindungen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass auch Rainer Eisfeld in dieser Nacht vor einem Fernsehgerät saß. Und natürlich tauchte in den folgenden Tagen in Zeitungsberichten auch der Name Wernher von Braun wieder auf.

      1996 entdeckte ich das Buch MONDSÜCHTIG und las zum ersten Mal die wahre Geschichte der V2-Konstrukteure von Peenemünde. Rainer Eisfeld sei Dank für diesen eindrücklichen Geschichtsunterricht. In der Schule sind wir in Geschichte nie bis zum Zweiten Weltkrieg gekommen. Wir liebten unseren Lehrer für seinen bildhaften und spannenden Unterricht, aber er hielt sich viel zu lange bei den Pfahlbauern auf, und später bei Wilhelm Tell, bei den alten Eidgenossen und der Schlacht bei Morgarten. Für die Schrecken des Zweiten Weltkriegs blieb dann keine Zeit mehr. Rainers Buch hatte zur Folge, dass ich auch die heldenhaften »Fliegergeschichten« kritischer sah, die mich in den Fünfzigerjahren so begeistert hatten.

      Rainer Eisfeld ist es zu verdanken, dass die großen »Klassiker« von A. E. van Vogt in ungekürzten Neuübersetzungen in der »Bibliothek der Science-Fiction-Literatur« im Heyne-Verlag erschienen sind, jeweils ergänzt durch kenntnisreiche Vor- und Nachworte. 1986 erschien NULL-A, 1989 ISHER und 1992 mit Band 83 auch DIE EXPEDITION DER SPACE BEAGLE. Und ich erfuhr, dass Van Vogts Roman aus vier früheren Erzählungen ergänzt und zusammengefügt worden war. Die Geschichte mit Coeurl, die den Anfang macht, erschien bereits 1939 und hieß »Black Destroyer«