Christian Montillon

Perry Rhodan 2648: Die Seele der Flotte


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Seine menschliche Vorstellungskraft versagte, obwohl er schon viel erlebt hatte und die Norm- ebenso wie Präferenzstränge des Psionischen Netzes aus seiner Zeit als Gänger des Netzes gut kannte. Doch das lag lange zurück, und auch damals war ihm etwas wie dieses Versteck niemals begegnet.

      »Du schweigst?« Die holografische Gestalt klang verächtlich.

      »Wie lange war niemand hier?«, fragte Ramoz unvermittelt.

      »Eine eigenartige Frage.« Der Oracca hob eine Hand, um damit die Kapuze der Kutte weiter über das Gesicht zu ziehen, sodass es fast völlig im Schatten verschwand. Nun leuchteten die Augen im Dunkeln rot wie die einer Katze, die das letzte Umgebungslicht brachen und reflektierten. »Und das von dir, Ramoz?«

      »Ich ...«

      »Schweig! Wir müssen herausfinden, wer du wirklich bist.«

      »Aber das weißt du. Du hast mich erkannt und kennst meinen Namen.«

      »Das genügt nicht. Du kennst dein Ziel.« Ein Flackern lief durch das Holo, und es löste sich auf.

      Mittlerweile war der gesamte Metallboden der Zentrale von einer Schicht aus glitzerndem Reif überzogen, nur nicht dort, wo die Füße des Oracca ihn berührt hatten.

      »Nein«, flüsterte Ramoz. »Ich kenne es nicht ...« Sein Blick wanderte rundum, blieb an Mondra hängen. »Ich kenne es nicht«, wiederholte er.

      »Er will, dass wir in das Schiff eindringen, an das wir angedockt haben«, gab sich Perry Rhodan überzeugt.

      Nur war dies völlig utopisch. Sie konnten sich kaum bewegen vor Kälte, und weder der SERUN noch die Bordtechnologie von MIKRU-JON schienen helfen zu können, nicht einmal der Anzug der Universen.

      Eine Gestalt stieg plötzlich aus der Öffnung des Antigravschachts.

      Nemo Partijan, dessen Unbeschwertheit inzwischen ebenfalls verschwunden war, hielt sich den Rücken, als litte er dort entsetzliche Schmerzen, und ging nach vorne gekrümmt. »Die Kristalle«, presste er hervor. »Ich spüre es buchstäblich im Kreuz – die Kristalle sind der Schlüssel!«

      Der Wissenschaftler aus dem Stardust-System ging einen letzten Schritt, ehe er zusammenbrach und sich auf dem Boden wand.

      Fast wäre die zweite Gestalt über ihn gestolpert, die nur Sekunden nach ihm aus dem Antigravschacht trat, doch Mikru wich im letzten Moment aus.

      Der Anblick der holografischen Projektion der jungen Frau, über die MIKRU-JON mit seinen Passagieren kommunizierte, versetzte Rhodan einen Schock. Die scheinbar menschliche, zerbrechliche Frau, die ihm nur bis zur Schulter reichte, starrte ihn aus geröteten Augen an.

      Aus der Nase rann Blut in einem steten Strom; es verschmierte bereits den gesamten Mund. Dicke Tropfen fielen vom Kinn und lösten sich auf, ehe sie den Boden erreichten – sie waren nicht real, hatten nur aufgrund von Prallfeld-Technologie berührbare Gestalt.

      Und doch litt Mikru sichtlich unter Schmerzen und ... zerfiel.

      »Wir müssen etwas tun, Perry!« Mikru ächzte, hob die Hand, wischte sich Blut vom Mund. Als sie dabei die Haare über der Schläfe berührte, fiel ein ganzes Büschel aus. »Du musst etwas tun, mein Pilot!«

      Rhodan eilte Mikru entgegen, so schnell es sein eigener, geschwächter Zustand zuließ. Wir sind schöne Helden, dachte er beiläufig. Kaum genug Kraft, um uns auf den Beinen zu halten ...

      Ehe er Mikru erreichte, fiel die zierliche Frau im wahrsten Sinne des Wortes in sich zusammen. Sie stürzte zu Boden, und ihre Gliedmaßen brachen ab. Wie eine Puppe zerfiel sie in ihre Einzelteile. Ein Bein rollte zur Seite. Aus der Bruchstelle schlugen irisierende Funken aus blendendem Licht.

      Rhodan schnürte es vor Grauen die Kehle zusammen.

      Arme und Beine Mikrus flimmerten und lösten sich auf, der Rumpf folgte. Bis zuletzt blieben die Augen, die in einem bizarren Nichts schwebten, umgeben von blutigen Fasern, und ihn flehentlich anstarrten: Rette mich!

      Schließlich verschwanden auch sie, und mit einem Mal schien es noch kälter zu werden.

       2.

       Machtergreifung

      Alles war vertraut und gleichzeitig unendlich fremd.

      Eine Ewigkeit trennte Numenkor-Bolok von der physischen, körperlich manifesten Erscheinung MIKRU-JONS. Seit Mikru ihre Feindschaft verkündet, geblutet und sich schließlich vor seinen Augen aufgelöst hatte, war ihm Zeit geblieben, sich umzusehen.

      Licht strömte angenehm und unauffällig aus der Decke und den braunen Wänden des fensterlosen Raumes. Die Wände glänzten nackt, ohne Möbel, ohne Bilder. Dies war sein Raum. Sein Quartier, das er als Pilot des Raumers bewohnt hatte, vor einer Ewigkeit. Ausgerechnet dort war er wieder zu einer körperlichen Gestalt geworden. In der Heimat.

      Er konnte instinktiv ... zugreifen. Das Schiff gehorchte ihm. Er war MIKRU-JONS Pilot, war es vor einer Ewigkeit gewesen und nahm diese Rolle nun mit größter Selbstverständlichkeit wieder ein, obwohl Mikru sich dagegen sträubte.

      Doch wer war diese Projektionsgestalt schon? Sie musste sich fügen! Sie war das Schiff und damit ihm untertan! Er befahl, und Mikru gehorchte, so sah es die natürliche Ordnung der Dinge vor, selbst wenn der Obeliskenraumer seinen eigenen Willen besaß.

      So war es, und so war es stets gewesen.

      Numenkor-Bolok, der Lare, forderte mit einem mentalen Befehl ein Holo an, das ihm zeigte, was in der Zentrale vor sich ging. Es entstand binnen eines einzigen Augenblicks.

      Der Anblick der fremden Gestalten überraschte ihn nicht. Numenkor-Bolok hatte bereits gespürt, dass sich ... Schädlinge an Bord befanden. Solche, die glaubten, selbst über MIKRU-JON gebieten zu können. Einer von ihnen – nein, womöglich gar zwei dieser Narren maßten sich sogar an, Pilot des Schiffes zu sein.

       Lächerlich!

      Numenkor-Bolok war der Pilot und niemand sonst! Es gab einen Grund, dass er körperlich wiedererstanden war, und dieser Grund war, dass er MIKRU-JON wieder steuern und das Schiff zu wahrem Glanz führen musste.

      Nur er war dazu in der Lage!

      Als Teil des ewigen Informationsstroms im Inneren des Obeliskenraumers wusste er, welche Schande und Vergeudung äonenlang über das Schiff gekommen war. Für Ewigkeiten hatte es nutzlos im Museum der Halbspur-Changeure gestanden.

      Nun flog es wenigstens wieder, und damit war die neue Zeit eingeläutet worden; die Epoche, die unter seinem Pilotendienst zu neuer Herrlichkeit führen würde. MIKRU-JON war dazu bestimmt, bedeutende Taten zu vollbringen, den Kosmos mit all seinen Wundern zu bereisen.

      Genau dafür würde er sorgen.

      Und niemand konnte ihn davon abhalten. Weder Mikru, die sich aufspielte, als habe sie zu bestimmen ... noch eine dieser jämmerlichen Kreaturen in der Zentrale, die auf dem Boden zuckten, in einer gefrierenden Umweltkapsel lagen oder sich mit letzter Kraft aufrecht hielten. Sie stellten keine ernsthaften Gegner dar.

      Mit einem einzigen Befehl könnte er sie auslöschen!

      Im Holo beobachtete er, wie Mikru zerbrach und sich auflöste. Ein wenig wunderte er sich darüber, doch das würde er später klären. Zunächst galt es, die Schädlinge zu beseitigen.

      »Lare!«, tönte es hinter ihm.

      Er drehte sich um. »Mikru. Welch Überraschung.«

      Die Projektion der Schiffsseele hatte wieder seine eigene Gestalt angenommen. »Hör mir zu. Denk nach! Ich bin die Essenz dieses Schiffes und all seiner Piloten zugleich! Wer je MIKRU-JON steuerte, wurde immer eins mit mir! Wurde zu einem Teil von mir!«

      »Genau wie ich.«

      »Genau wie du!«

      »Ich weiß das! Wieso ...«

      »Du bist ein Teil von mir. Ich kenne dich. Ich weiß, wie du