Das haben sie gebraucht. Das lenkt sie von den Vitalenergiespeichern ab.
Am liebsten hätte er seine Leute selbst angeführt, doch seine Intuition riet ihm, lieber auf die Erfüllung zu verzichten, die das Töten ihm gab. Jede Zerstreuung besserte die Stimmung der Crew, und einen würdigen Gegner würde er an Bord des Frachters sowieso nicht finden.
»Chi-Lopi«, entschied er.
Der Dritte Bordingenieur trat vor. Er war unumstritten der beste Erkunder der Truppe. Sein anderthalb Meter langer, schmaler Körper steckte in einem kybernetischen Exoskelett. Er ging auf drei in gleicher Höhe angeordneten kurzen Beinstummeln. Die drei Arme waren kaum länger. Seine dunkelbraune Haut glänzte feucht. Am vorderen Körperende konnte Takegath drei kleine, knopfartige Augen ausmachen. Er wusste, dass sich am hinteren drei weitere befanden, ansonsten wies der Körper des Gy Enäi keinerlei weitere Sinnesorgane auf.
Der Meisterdieb aus dem Volk der Mhool war erst vor relativ kurzer Zeit zu den Kopfjägern gestoßen. Sein Leib enthielt nur soviel Cyberware, wie zum Datenaustausch zwischen seinem Gehirn beziehungsweise Nervensystem und dem Exoskelett nötig war. Das wiederum bestand aus 31 Modulen unterschiedlicher Größe, die untereinander nahezu unbeschränkt kombinierbar und sehr schnell umgruppierbar waren. Sie enthielten Motoren, künstliche Muskeln, Datenleitungen, Aufnahmegeräte, eine Funkanlage, Signalverstärker, miniaturisierte Waffen, Werkzeuge und noch einige andere Bodyware mehr. Dadurch konnte Chi-Lopi, dessen Körper leicht und äußerst biegsam war, nahezu jede äußere Form annehmen, was ihn zum Anführer der Entergruppe prädestinierte.
Chi-Lopi stand nicht nur wegen dieser bei Außeneinsätzen sehr wertvollen Eigenschaften hoch in Takegaths Gunst; er zeigte auch keinerlei Ambitionen, eine höhere Stellung in der Hierarchie der Kopfjäger zu erreichen. Der Kommandant vertraute ihm natürlich nicht, aber er fühlte sich von ihm bei weitem nicht so herausgefordert oder bedroht wie von anderen Angehörigen seiner Crew.
»Du machst klar Schiff«, fuhr er fort. »Den Kommandanten lässt du leben, alle anderen werden getötet. Und du wirst in dem Frachter eine kleine Überraschung zurücklassen ...«
An Bord des wrackgeschossenen Frachters war es zu keinen Zwischenfällen gekommen. Takegath hatte keine Verluste zu beklagen. Nicht, dass er mit welchen gerechnet hätte. Dazu kannte er seine Leute zu gut. Die Besatzung des Kugelraumers hatte keinen nennenswerten Widerstand geleistet.
Dafür kam es bei der Rückkehr der Entermannschaft an Bord der KHOME TAZ zu einem Ereignis, das Takegath nachhaltig daran erinnerte, wie ernst die Lage mittlerweile war.
Vor seinen Augen brach einer der Kopfjäger in der Zentrale zusammen.
Jetzt geht es richtig los, dachte der Kommandant. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Wenn der Gelbe Meister nicht bald aus seinem Halbschlaf erwacht ...
Einen Augenblick lang schien der Kopfjäger zu erstarren, als sei jedes Leben aus ihm gewichen, doch dann kehrte es noch einmal in den Körper zurück, loderte ein letztes Mal hell auf.
Der Gy Enäi stürzte und rollte auf den Rücken, krümmte sich zusammen. Die kybernetischen Implantate seiner Arme und Beine knirschten laut, als die Gliedmaßen sich wie unter furchtbaren Krämpfen buchstäblich verbogen. Der Druck der gepeinigten Muskeln wurde so stark, dass eins der Module aus dem Fleisch gesprengt wurde und in hohem Bogen durch die Zentrale flog.
Blutfontänen schossen aus Nase und Mund des Besatzungsmitglieds und versiegten dann wieder. Takegath kannte es nicht mit Namen. Die KHOME TAZ hatte noch 120 Besatzungsmitglieder, und er hielt sich von den niedrigeren Rängen fern.
Aber ihm war klar, was soeben geschehen war. Der Vitalenergiespeicher im Körper des Unteroffiziers gab nicht mehr ausreichend Energie ab. Früher oder später würde das jedem von ihnen passieren.
Der Kommandant wusste genau, wie der Kopfjäger sich fühlte. Auch er hatte bereits mit mehreren Schwächeanfällen zu kämpfen gehabt.
Doch er verfügte als Einziger an Bord über einen Vorrat an De'Ro'Collo ...
Er kannte das Gefühl gut, mit dem die Droge vom Magen in den Blutkreislauf transportiert wurde, dabei die Muskeln und Nerven streifte, bis ins Innerste der Zellkerne eindrang, die irgendwie entleert zu sein und sich unter einem unvorstellbaren und unbeschreiblichen Mangel zusammenzuziehen schienen ...! Immer, wenn der Schmerz schier unerträglich zu werden, der Körper nur noch eine ausgetrocknete Hülle zu sein schien, die jeden Augenblick zu implodieren drohte, füllte das De'Ro'Collo die Leere wieder aus und führte einen Energieschub herbei, der die schrecklichsten akuten Symptome lindern konnte.
Aber auch das De'Ro'Collo würde nicht ewig helfen; irgendwann würde es auch für ihn vorbei sein. Bislang aber hatte er sich aber jedes Mal mit der Droge über die Schwäche hinweghelfen können.
Er tastete unauffällig an seine rechte Brusttasche und atmete erleichtert auf, als er die Phiolen der Droge unter seinen Fingern spürte.
Während der Unteroffizier sich auf dem Boden wand, lachte er leise auf. Ich bin zu gut für die anderen. Takegath nahm die Hand wieder von der Brusttasche.
Der Körper des Unteroffiziers verlor weitere Implantate. Sie wurden nicht mehr aus ihm herausgesprengt, sie fielen einfach aus der Haut, als wäre das Fleisch schon in Verwesung übergegangen und hätte jeden Zusammenhalt verloren.
Takegath wusste, welche Schmerzen der Unteroffizier haben musste. Trotzdem gelang es ihm noch einmal, sich auf die Knie aufzurichten. Sein Gesicht war eine verzerrte Maske, die nicht im Geringsten an den Gy Enäi erinnerte, der noch vor einer Stunde vor dem Kommandanten gestanden und sich gefreut hatte, die Besatzung des tefrodischen Frachters niedermetzeln zu können.
Der Sterbende öffnete den Mund, doch nur Schaum trat über seine Lippen. Er versuchte, Worte, Sätze zu bilden, doch der Schaum schlug lediglich Blasen, die platzten und übel riechende Flüssigkeit über Kinn und Hals des Unteroffiziers verteilten.
Er hält sich lange, dachte Takegath. Schön.
Der Unteroffizier brach wieder zusammen und wälzte sich auf dem Boden, wand sich geradezu, doch als hätte dieser Sturz Kräfte freigesetzt, die vorher die halbwegs aufrechte Haltung beansprucht hatte, gelang es ihm nun, Worte über die Lippen zu bringen.
»Hilf mir!«, krächzte er. »Du kannst mich retten. Ich werde dir mit meinem Leben dienen ...«
Rührend, dachte Takegath. Er fleht mich geradezu um Hilfe an. Hat er nichts gelernt?
»Bitte ...«
Wie theatralisch. Warum kann er sein Ende nicht einfach akzeptieren?
Der Kommandant griff sich erneut an die Brusttasche. Einerseits wollte er sich überzeugen, dass er tatsächlich einige Phiolen De'Ro'Collo eingesteckt hatte, andererseits stand zu befürchten, dass der Sterbende seine letzten Kräfte mobilisieren und ihn angreifen würde, so unwahrscheinlich das auch anmuten mochte. Aber die Todesangst verlieh einem ungeahnte Kräfte, und Takegath hatte in dieser Hinsicht schon einiges erlebt.
Er wandte den Kopf ab und lächelte schwach. Er war der Kommandant. Er hatte die Macht. Er hätte lügen müssen, hätte er abstreiten wollen, dass diese Position ihn mit einer gewissen Zufriedenheit erfüllte. Oder Genugtuung. Er war nun einmal der Beste. Seit wie vielen Jahrhunderten hatte er sich gegen alle Rivalen behaupten können?
Ungerührt überhörte er das Flehen des Sterbenden.
Andererseits ... Dieses Schicksal stand auch ihm bevor, falls der Gelbe Meister nicht rechtzeitig erwachte ...
Der Todeskampf dauerte für Takegaths Geschmack viel zu kurz. Schon nach wenigen Minuten war es vorbei. Endlich lag der Kopfjäger still da.
Reinigungsroboter schwirrten surrend aus Nischen in den Wänden. Einige säuberten den Boden und die Wände der Zentrale, andere legten ein Traktorfeld um den Toten und hoben ihn hoch, um ihn zur AMBULANZ zu schaffen.
Takegath mochte nicht darüber nachdenken, was dort mit ihm geschehen würde. Zu helfen war dem Unteroffizier nicht mehr. Die Leiche