kann? Sophie ist nicht sicher, aber zweifellos kann sie Queenie anrufen und um Rat fragen. Die weiß vermutlich sowieso besser, was zu tun ist. Sophie verlässt den Tempel und wählt Queenies Nummer.
»Kakerlaken? Zěnme bàn ne? – Was nun?«, fragt Queenie und antwortet sich im nächsten Atemzug gleich selbst: »Als erstes Kakerlakenspray und Kakerlakenfallen kaufen, dann mit dem Spray die herumlaufenden außer Gefecht setzen und in den Müll werfen, danach den ganzen Müll entsorgen, die Fallen in der Küche und im Bad aufstellen. Du musst wissen, eine von dir gesehene Kakerlake steht für 30, die tatsächlich da sind. Essensreste nie stehen lassen und neuen Müll bis zur Entsorgung im Gefrierfach lagern.«
»Im Gefrierfach?«
»Klar, wo denn sonst?«, antwortet Queenie, als wäre es das Natürlichste der Welt.
»Klar, im Gefrierfach«, sagt Sophie so cool wie möglich.
»Sonst alles okay? Ist es kalt bei dir? Frierst du?«
»Nein, nein, nicht zu kalt, schon ok«, lügt Sophie, die gerade auf keinen Fall Queenies »Hab ich’s dir nicht gesagt!« ertragen könnte, und läuft los zum Supermarkt. Wenig später erklärt sie allem, was da kreucht und fleucht, mit Spray und Fallen den Krieg, wäscht ab und packt La Cucaracha pfeifend den Müll zusammen. Da hört sie lauter werdendes Stimmengewirr, ganz so, als würde auf der Straße ein Volksfest beginnen. Sophie sieht von der Terrasse hinab. Links am Straßenrand liegen Säcke und daneben haben sich Grüppchen von Leuten gebildet, die sich eifrig austauschen. Rechts lehnen die gähnenden Besitzer der Garküchen von der kleinen Gasse nebenan an der Hauswand, und noch weiter rechts auf einer Bank im Schatten eines Baumes sitzt eine Gruppe alter Leute. Jeder von ihnen hat eine junge asiatisch, aber nicht taiwanisch aussehende Frau zur Seite. Auch die schnattern und übertönen mit ihrer aufgeregten Diskussion fast alle. Etwas abseits sitzt auf einem Hocker ein altes Mütterchen. Alle warten – wie Sophie nach einem Blick auf die Uhr erkennt – auf das Müllauto um kurz nach 18 Uhr. Das gemeinsame Warten scheint ein soziales Event zu sein und Sophie gesellt sich dazu. Die Abendsonne ist hinter den Wolken hervorgekommen, linst durch das Blätterdach und streicht die heiteren Gesichter der jungen Mädchen. Links neben dem Baum ist noch etwas Platz. Sophie lehnt sich an den Stamm und lässt sich in den flackernden orangen Punkten vor ihren geschlossenen Augen dahintreiben. Vom Tempel klingt Flötenmusik herüber, von der Hauptstraße her tönt Hupen und das Heulen der Motoren im Feierabendverkehr.
Plötzlich zieht etwas energisch an Sophies Rock. Sie blinzelt durch ihre halb geschlossenen Augen. Neben ihr steht eine kleine Frau mit silbernen Haaren. Sie ist vielleicht 70 oder 80, bei Taiwanern findet Sophie das immer schwer zu sagen. Ihre Haut hat viele braune Flecken und ihr blaues traditionell geschnittenes Kleid mit chinesischen Zierknöpfen und Kordeln besetzt, ist schmutzig und zerschlissen. Auf ihrem Rücken hängt ein kegelförmiger Reishut, den Sophie schon mal auf Bildern, aber bisher noch nicht in der modernen Großstadt Taipeh gesehen hat. Ihre dunklen Augen leuchten munter und ihre kleine, sehnige Hand deutet unaufhörlich auf Sophies Tüten und greift schließlich hinein. Sie sagt etwas mit hoher, aber leiser Stimme, geht gebückt zu ihrem Fahrrad und verstaut, was sie aus Sophies Tüten genommen hat, auf ihrem Anhänger. Der ist bereits beladen mit Säcken voll von Plastikflaschen und Stapeln zerfledderter Bücher und Pappe. An der Seite hängen leere Tüten und Stricke hinunter. Sophie kann sich kaum vorstellen, wie das kleine Mütterchen den schweren Wagen mit ihrem klapprigen Fahrrad durch die Straßen ziehen kann.
Und ehe sich Sophie für die unverhoffte Hilfe beim Recycling bedanken kann, ertönt Für Elise, die Erkennungsmelodie der Müllabfuhr in Taipeh, wie Queenie ihr erklärt hat, und das Müllauto rollt langsam heran. Sophie schnappt sich ihre nun halbleeren Mülltüten und ist eine der Letzten, die Anlauf nehmen und ihre Mülltüten mit Schwung auf den schon wieder anfahrenden Lkw werfen. Als Sophie ausholt, hält jedoch ein Müllmann die Hand hoch, um ihre Tüten im Flug abzufangen. Kopfschüttelnd gibt er sie ihr zurück.
»No, no, no! Bùxíng a!«, ruft er mit ernstem Gesicht.
»Zěnme bàn ne? – Was nun?«
Die alten Leute gehen langsam von den jungen Asiatinnen gestützt davon. Nur das alte Mütterchen, das noch den Abfall sortiert und verstaut, und Sophie, immer noch mit ihren Mülltüten in der Hand, bleiben an der Straßenecke zurück. Sophie zuckt ratlos mit den Schultern. Die alte Frau nickt und lächelt noch einmal herzlich. Dann steigt sie auf ihr Fahrrad. Die ersten Umdrehungen der Pedale sind schwerfällig, aber langsam setzt sich die Fuhre in Bewegung und sie reiht sich in den chaotisch schnellen Verkehr ein. Eine Erscheinung aus der Vergangenheit im modernen Großstadtleben.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Sophie hat einfach alte Plastiktüten als Mülltüten benutzt. Hätte sie sich am Müllauto umgesehen, wäre ihr aufgefallen, dass alle um sie herum blaue Mülltüten mit grüner Schrift und aufgeklebten Marken benutzen. Das sind die offiziellen Mülltüten der Stadt Taipeh.
Des Weiteren hat Sophies Leichtsinn mit schmutzigem Abwasch und tagelanger Mülllagerung das Unglück geradezu heraufbeschworen. So hat sie sich schnell Kakerlaken ins Haus geholt. Dabei sind die ekligen, zwei bis vier Zentimeter langen Monster aber noch das kleinere Übel: die sogenannten Amerikanischen Großschaben sind nicht so vermehrungsfreudig wie die kleinen, nur 13 bis 16 Millimeter langen Deutschen Schaben. Hat man die erst mal in der Wohnung, ist es schwer, sie wieder loszuwerden.
Was können Sie besser machen?
Taiwan hat sehr feuchtes und oft heißes Wetter – ein Paradies für Kakerlaken. Schlagen Sie sich am besten sofort aus dem Kopf, eine hundertprozentig kakerlakenfreie Wohnung zu haben. So etwas gibt es in Taiwan nicht. Hygiene und Sauberkeit können aber schon einiges ausrichten. Kakerlakenfallen bzw. kleine Plastikdosen mit Gift, die beschriftet sind mit dem Aufstelldatum, damit man nach zwei Monaten das Austauschen gegen neue nicht vergisst, erledigen dann den Rest.
Selbst wenn Sie alles noch so picobello sauber halten, ab und zu wird sich trotzdem eine Kakerlake in ihr Heim verirren. Haben Sie deshalb stets Kakerlakenspray griffbereit. Sie wollen diese Schädlinge und Krankheitsüberträger doch nicht tot treten und dann an ihren Schuhsohlen deren Eier in der Wohnung verbreiten.
Oberste Priorität sollte stets der Müll haben. Er ist ein Kakerlakenmagnet. Öffentliche Müllcontainer gibt es nicht. An fünf Tagen in der Woche fahren die städtischen Müllautos abends die Straßen ab. Dabei haben sie eine genaue Route mit Haltestellen und Haltezeiten. Mit Beethovens Für Elise tun sie ihre Ankunft kund. Dem musikalischen Müllauto folgen zwei Kleintransporter für Recycling und Küchenabfälle. Beachten Sie die Mülltrennung und benutzen Sie die offiziellen blauen Mülltüten für den Restmüll, die man in jedem Supermarkt und jedem Mini-Markt kaufen kann. Mit dem Kaufpreis ist die Müllgebühr abgegolten.
Das Warten auf das Müllauto ist ein soziales Event. Was in Deutschland auf dem Land das Bäckerauto und der Metzgereiwagen sind, ist in Taipeh das Müllauto. Rentner, Jugendliche Arbeitsmigranten aus Indonesien, den Philippinen und Vietnam, die hier als Hausangestellte arbeiten, Hausfrauen und Geschäftsleute geben sich ein Stelldichein und tauschen Neuigkeiten aus. Daneben kommen alte Leute auf Fahrrädern mit Anhängern, die privat den Recyclingmüll sammeln und sich so etwas zu ihrer geringen oder nicht vorhandenen Rente dazuverdienen.
說到 … APROPOS … RELIGION
Fragt man einen Taiwaner, welcher Religion er angehört, wird er oft nach einigem Zögern den Taoismus nennen oder einfach mit den Schultern zucken. Das liegt daran, dass der Volksglaube in Taiwan Elemente der Ahnenverehrung, des Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus vermischt. In Taiwan herrscht Glaubensfreiheit. Oft werden gar innerhalb einer Familie mehrere Religionen praktiziert. Selbst so mancher streng gläubige Christ geht in Krisenzeiten in den Tempel, um sich Rat und Hilfe bei den Göttern zu holen. Doppelt hilft eben einfach besser.
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小心! – XIĂOXĪN!