Fiona, die gerade shortbread auf einer Platte anrichtet, während Paul den Tee aufgießt. »Fiona kommt von Barra«, erklärt er, und als Franziska fragend die Augenbrauen hochzieht, ergänzt er: »Eine Insel im Westen. Sie spricht fließend Gälisch.«
Fiona lächelt gewinnend, wobei sie wirklich hinreißend aussieht mit ihrer hellen Haut und den strahlenden, grünen Augen. Leise sagt sie: »Mìle fàilte! Das heißt: Tausendmal willkommen.«
Franziska ist begeistert vom melodischen Klang ihrer Worte und von dem Singsang ihrer Stimme. »Was heißt ›danke‹ auf Gälisch?«, fragt sie, begierig, mehr davon zu hören.
»Tapadh leat!«, sagt Fiona lächelnd und reicht Franziska den Teller mit dem shortbread.
»Tapalat«, wiederholt Franziska, was alle zum Lachen bringt. Ein wohlwollendes Lachen zum Glück. Selig beißt Franziska in das mürbe Gebäck, schlürft ihren Tee und beantwortet die neugierigen Fragen ihrer neuen Mitbewohner.
»Ich finde es wunderbar, mit Einheimischen zusammenzuwohnen«, seufzt sie schließlich. »Ich hatte schon Angst, dass ich gar keine Engländer kennenlernen würde.«
Liesbeth prustet los, schlägt sich dann aber überrascht die Hand vor den Mund und sieht betroffen zu Paul und Fiona hinüber.
»Wir sind keine Engländer«, sagt Paul sanft und geduldig, als spreche er mit einem Kind. Fiona wirkt weniger geduldig, und sanft schon gar nicht.
Schlagartig wird sich Franziska der Tatsache bewusst, dass sie einen Fehler gemacht hat und in Fionas Gunst von einer Sekunde zur nächsten beträchtlich gesunken ist. »Es tut mir leid, ich wollte nichts Falsches sagen.«
Paul lacht. »Weißt du, diesen Fehler machen wirklich viele Menschen. Und Fiona hier weiß das eigentlich auch.« Fast brüderlich knufft er das Mädchen in die Seite und fordert sie mit einem Nicken auf, sich einen Ruck zu geben.
»Deswegen ist es aber trotzdem nicht weniger falsch«, gibt Fiona zurück. Doch selbst wenn sie schmollt, sieht das bei ihr irgendwie wunderschön aus.
Schottland ist nicht England – wirklich nicht!
Zugegeben: Man würde nicht denken, dass auf so einer kleinen Insel Platz für so viel Durcheinander wäre, aber es ist tatsächlich so. Schottland ist nicht England, genauso wenig, wie England Großbritannien ist. Das sollten Sie stets im Hinterkopf behalten! Schließlich sind die Bezeichnungen Großbritannien, Vereinigtes Königreich und Schottland historisch mit zahllosen Kriegen, Schlachten, Niederlagen, mit Unterdrückung durch die Engländer, zähen Verhandlungen und harten Verträgen belastet. Es ist also nur verständlich, wenn sich die Schotten, die jahrhundertelang für ihre Unabhängigkeit kämpften, gekränkt fühlen, wenn man sie mit Engländern über einen Kamm schert. Grund genug, etwas genauer hinzusehen, bevor Sie das erste Mal nach Schottland reisen. Denn dieses Fettnäpfchen lässt sich tatsächlich ganz leicht umgehen.
England und Schottland sind zwei separate Länder, die beide Teil des Vereinigten Königreichs von Großbritannien sind. Weil die Insel, auf der sie liegen, aber nun einmal so klein ist, sind ihrer beider Schicksale von An-fang an eng verknüpft gewesen. Immer wieder versuchten Herrscher, die beiden Länder zu vereinigen – und immer wieder versuchten die Schotten, sich von England zu lösen. Im Norden der Insel ist das wirklich kaum zu übersehen, denn die Schotten sind ein sehr stolzes Volk mit einem starken Freiheitsdrang, das keine Gelegenheit auslässt, immer wieder auf historische Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Die Zeugnisse dieses jahrhundertelang währenden Ringens um die Unabhängigkeit sind bis heute überall zu sehen. Seien es die Festungsanlagen in Fort William oder das Schlachtfeld von Culloden – viele Sehenswürdigkeiten Schottlands sind in Wahrheit Narben dieser bewegten und nicht selten äußerst blutigen Vergangenheit.
Und auch wenn das schottische Unabhängigkeitsreferendum 2014 schließlich ein Nein zur Unabhängigkeit Schottlands von England ergab, heißt das doch noch lange nicht, dass sich die Schotten wohl damit fühlen, ein Teil Großbritanniens und in vielen Belangen von London abhängig zu sein. Was diese Abhängigkeit für Schottland bedeuten kann, hat in jüngster Zeit der Brexit gezeigt – große Teile der schottischen Bevölkerung stimmten gegen den Austritt aus der EU. Es sei inakzeptabel, dass Schottland gemeinsam mit England aus der EU austrete, obwohl die schottischen Wähler mehrheitlich für den Verbleib in der Union gestimmt hätten, sagte damals die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon. Ob es deshalb ein neues Referendum über die Unabhängigkeit gibt, ist derzeit noch unklar.
DIE WECHSELHAFTE GESCHICHTE VON SCHOTTLAND UND ENGLAND
Das 843 gegründete Schottland war jahrhundertelang ein vollkommen unabhängiges Königreich, bis es 1603 von der englischen Krone in deren Reich eingegliedert und fortan in Personalunion mit England regiert wurde. Zuvor hatten bereits zahlreiche englische Könige versucht, das Königreich im Norden zu unterwerfen – vergeblich, denn die Schotten wehrten sich mit aller Macht. Man denke nur an William »Braveheart« Wallace, der während der Schottischen Unabhängigkeitskriege im 13. Jahrhundert die schottischen Truppen in der Schlacht von Stirling Bridge zum Sieg führte und Schottland für weitere Jahrhunderte die Unabhängigkeit sicherte – bis es Elizabeth I. dann zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit einem Trick gelang, England und Schottland unter einer Krone zu vereinen. Sie, selbst kinderlos, vererbte die englische Krone ganz einfach an ihren Ziehsohn, Jakob IV. von Schottland, den Sohn ihrer Erzfeindin Maria Stuart, der damit 1603 auch Jakob I. von England wurde.
Es dauerte allerdings bis 1707, bis aus beiden Ländern schließlich das Königreich Großbritannien wurde, zu dem neben Schottland übrigens auch Wales gehört. Dass die Schotten darüber nicht sehr glücklich waren, kann man sich denken – und auch, dass sie dagegen rebellierten. In den Jakobitenaufständen 1715 und 1745/46 versuchte man, dem alten schottischen Adelsgeschlecht der Stuarts wieder zum schottischen Thron zu verhelfen und Schottland seine Unabhängigkeit zurückzugeben. Mit fatalen Folgen: In der Schlacht bei Culloden am 16. April 1946 erlitten die Schotten die finale, vernichtende Niederlage. Bonnie Prince Charlie führte damals eine 5.000 Mann starke Armee, die überwiegend aus ausgezehrten, ausgehungerten, schlecht ausgerüsteten Highlandern bestand, in eine Schlacht gegen die aus 9.000 Mann bestehende englische Übermacht unter der Führung des Herzogs von Cumberland. Die Schlacht dauerte nur wenige Minuten, doch etwa 1.250 Highlander verloren dabei ihr Leben. Die Überlebenden wurden gefangen genommen, viele von ihnen hingerichtet, ihre Familien wurden bestraft und die Highlands als Ganzes auf brutale Art und Weise unterworfen. Tartans und Kilts wurden verboten, ebenso wie die gälische Sprache und der Dudelsack. Während der folgenden Highland Clearances wurden die alten Clans von ihrem angestammten Land vertrieben, um Platz für Schafe und Weidewirtschaft zu machen. Die schottische Kultur wurde an den Rand des Aussterbens getrieben – bis Queen Victoria Mitte des 19. Jahrhunderts, inspiriert durch die Romane von Sir Walter Scott, eine Schwäche für diese Kultur entwickelte und alles, was schottisch war, in der Romantik eine neue Blütezeit erlebte.
Politisch änderte sich am Status Schottlands allerdings nichts, obwohl der Ruf nach einer eigenen schottischen Regierung ab den 1920er-Jahren immer lauter wurde. Erst 1997 wurde, nach beinahe 300 Jahren, erstmals wieder ein schottisches Parlament gewählt. 2014 stimmte Schottland über die Unabhängigkeit von Großbritannien ab. 55,3 Prozent der Schotten stimmten damals jedoch gegen die Abspaltung. Zu groß war die Angst vor den wirtschaftlichen und ökonomischen Folgen einer Unabhängigkeit – und nicht zuletzt vor einem Ausschluss aus der EU. Umso härter traf es die Schotten deshalb, als sich 2016 eine Mehrheit der Briten für den Brexit, den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, aussprach. Die Frage, ob das automatisch bedeutet, dass Schottland ebenfalls austreten müsse, ist bis heute noch nicht endgültig beantwortet.
SCHOTTLAND HEUTE – ZAHLEN UND FAKTEN
Einordnung: Landesteil des Vereinigten Königreichs von