warf einen Blick auf die Wegbeschreibung aus dem Internet. »Hier steht, dass wir in Limerick durch den Tunnel unter dem Shannon hindurchfahren müssen. Kostet auch wieder Maut. Meinst du, wir sollten lieber den Weg durch die Stadt nehmen?«
Micha war nicht begeistert, weder von einer Fahrt durch die Stadt noch von einer weiteren Mautgebühr. Er war übermüdet von der langen Reise, aber beim Fahren ablösen lassen wollte er sich nicht. »Vielleicht sollten wir uns lieber eine Landstraße suchen. Ist weniger anstrengend.«
Wieder nahm ich die Karte zur Hand und suchte nach einem passenden Abzweig. »Das wäre ein Riesenumweg. Auf durch Limerick. Außerdem habe ich Hunger. Du nicht? Also immer dem Schild in Richtung city centre folgen.«
Gesagt, getan, zumal wir uns durch die vielen Kreisverkehre mittlerweile wie die alten Hasen bewegten. Bis keine »City Centre«-Schilder mehr zu sehen und wir tatsächlich in der City waren.
»Und jetzt, wohin?«, fragte Micha.
»Also, irgendwie müssen wir eine Brücke über den Shannon finden und dann in Richtung Ennis auf die M18. Laut Karte müssten wir dort vorne rechts.«
»Geht nicht, Einbahnstraße.«
»Dann halt dich prinzipiell gen Westen, wo die Sonne untergeht.« Ohne Stadtplan, nur mit einer Landkarte von Irland, konnte ich auch nur ungefähr sagen, wo es langging.
»Alles klar, Schatzi, wir fahren in den Sonnenuntergang«, trällerte Micha sarkastisch.
Limerick war ein Alptraum, wenn man übermüdet, hungrig und völlig überfordert von Einbahnstraßen und miserabler Ausschilderung ist – und hässlich mit all den verschandelten Straßenzügen, langweiligen Läden und den Menschen, die genauso grau wirkten wie das einsetzende Schmuddelwetter. Gefühlte Stunden später, einige Nerven ärmer und noch immer hungrig überquerten wir endlich den Shannon und waren wieder auf einer Autobahn, die nach Ennis und Galway ausgeschildert war.
Wir hatten für die erste Zeit ein B&B in Lahinch an der Westküste im County Clare gebucht. So weit, so gut. Doch als wir schließlich in dem kleinen Ort ankamen, standen wir dort erst einmal wie die Ochsen vorm Berge. Wo war denn nun das Seaview B&B? Eine richtige Adresse gab es nicht, und die Wegbeschreibung, die uns die Vermieterin gemailt hatte, war etwas, nun ja, unkonkret: »An den Ferienhäusern vorbei bis zum Golfplatz und über die Brücke, danach rechts und immer geradeaus, dann sieht man es schon«. Na prima.
Der Golfplatz war noch klar, aber dann kurvte die Straße mit etlichen Linksabzweigungen nur so durch die Gegend, dass wir uns irgendwann mitten in der Pampa wiederfanden. Micha schaltete den Motor aus, legte den Kopf aufs Lenkrad und stöhnte. Zum Glück marschierte just in diesem Augenblick eine Gruppe Frauen im farbenfrohen Powerwalking-Outfit vorbei. Alle sechs Damen strahlten, als ich sie fragte, ob sie wüssten, wo das Seaview B&B sei.
»Ist das nicht Mary oben aus dem gelben Haus?«
»Nee, die macht kein B&B mehr.«
»Könnte es nicht Liz sein?«
»Die wollte doch B&B anbieten, als ihr Mann arbeitslos wurde. Arme Frau, die Situation ist nicht einfach, und dann mit den Kindern.«
»Ach, ich weiß! Das ist bestimmt Maura oben am Hang. Die Straße runter, an der Ruine vorbei, und nach etwa einer Meile seid ihr an dem weißen Bungalow. Und wo kommt ihr her? Wollt ihr lange bleiben?«
Ich hatte kaum eine Chance, das Wort zu ergreifen, Micha trommelte schon nervös aufs Lenkrad, und mir taten die Wangen weh vom Zwangslächeln. Schließlich konnten wir uns loseisen, die Frauen stiefelten fröhlich weiter und unterhielten sich angeregt.
Die Ruine, eher ein paar undefinierbare Mauerreste, fanden wir schließlich, dann fuhren wir nach Tacho eine Meile (1,6 Kilometer, um genau zu sein), aber kein Bungalow in Sicht. Der tauchte erst nach etwa drei Kilometern vor uns auf, und, ja, es war besagte Maura, die uns freudestrahlend und mit Tee und Keksen begrüßte. Aber wir waren so müde, dass wir uns erst einmal aufs Bett hauten und daher auch nicht merkten, dass das Seaview B&B gar keinen Meerblick hat.
HINTER DEM HÜGEL DAS ZWEITE HAUS RECHTS IN BALLYGOBACKWARDS
Irland hat postalisch endlich aufgeholt: Seit 2015 gibt es hier tatsächlich Postleitzahlen. Ganz einfach war die Einführung jedoch nicht. Die merkwürdige Mischung aus Buchstaben und Zahlen schien für viele Iren keinen Sinn zu ergeben, da sie nicht eindeutig einem Dorf, einer Straße oder einem Stadtteil zuzuordnen sind. Stattdessen erhielt jedes einzelne Haus eine ganz individuelle Kombination, die allerdings mangels eindeutiger Adressen gelegentlich völlig falsch verteilt wurde. Hinzu kam die Weigerung oder Unfähigkeit vieler Online-Dienste, die neuen Postleitzahlen anzuwenden, nicht zu reden von der irischen Post selbst, die noch immer ganz prima ohne Postleizahlen zurechtkommt.
Kurzum, die Sache mit den Postleitzahlen wird wohl noch ein paar Jahre – oder vielleicht Generationen – dauern, bis sie sich eingebürgert hat. Und so gibt es noch immer die doch recht malerischen Adressen, die manchen Absender aus dem Ausland zutiefst verwirren.
Eine typische Anschrift im dörflichen Irland lautet in etwa: Mary McMurphy, Hillview Cottage, Carrigfeckin, Ballygobackwards, County Clare, Ireland. Das wäre in etwa so wie: Lieschen Müller, Tannenhof, Hinter den Eichen, Deppenhausen, Landkreis Hintertupfingen. Die Häuser erhalten Fantasienamen, und wenn sie keinen haben, reicht auch die Nennung des Adressaten, den sowieso jeder in Dorf und Umgebung kennt. Dann folgt der Ortsteil bzw. der alte Flurname, der nirgends ausgeschildert ist. Den kennen nur die Einheimischen. Schließlich der Ort und zuletzt das County, die Grafschaft. Klappt übrigens prima, ob mit oder ohne Postleitzahlen.
Kommentar von: Tina
Gratuliere zur Ankunft im irren Irland!
An die (nicht vorhandene) Ausschilderung werdet ihr euch bestimmt schnell gewöhnen, und für den Anfang ist die Benutzung eines Navis vielleicht doch nicht so verkehrt – falls das verquere irische Straßennetz überhaupt gut genug kartografiert ist. Die Sache ist nämlich die: Irland besteht, abgesehen von den Städten, aus lauter kleinen Dörfern und Streusiedlungen, die seit Jahrhunderten über Trampelpfade, Viehwege und dergleichen miteinander verbunden sind. Viele davon haben sich im Lauf der Zeit zu Straßen »entwickelt«, manche wurden für den Autoverkehr asphaltiert, andere blieben Holperpisten, dienen aber immer noch als Verbindungswege zwischen Siedlungen und Höfen. Schaut mal auf einer der OSI-Karten nach, da führen Straßen kreuz und quer und buchstäblich querfeldein durchs Land. Die alle ordentlich auszuschildern, wäre nicht nur eine Heidenarbeit und viel zu teuer, sondern auch total überflüssig. Die Sträßchen werden ja nicht von den Touristen, sondern von den Einheimischen genutzt, und die kennen jeden Feldweg.
Deswegen braucht ihr euch auch nicht zu wundern, wenn die Wegbeschreibungen für Fremde etwas befremdlich erscheinen. Was? Ihr wisst nicht, wo Mary wohnt? Oder wo damals John seine Kuh verloren hat? Too bad. Aber nach einer Weile werdet ihr das schon mitkriegen.
Kommentar von: Shane
Meckert mir bloß nicht über die Autofahrkünste meiner Landsleute! Wir sehen das mit den Verkehrsregeln nicht so eng – das war es doch, was ihr wolltet, oder? Abgesehen davon sind wir richtige Fahrkünstler. Wir brauchen noch nicht einmal einen Blinker. Schließlich fahren wir ja schon seit dem Teenageralter, Daddy oder der große Bruder hat uns das Fahren beigebracht, wozu braucht man da eine Fahrschule. Prüfung gemacht und Lappen erhalten, ohne diesen ganzen Klimbim wie in Deutschland.
Wir halten uns übrigens durchaus an Verkehrsregeln. Also manchmal. Wenn ein Feldweg mit 80 km/h Höchstgeschwindigkeit ausgeschildert ist, dann brettern wir auch mit 80 km/h drüber. Steht doch da. Und wenn wir ganz langsam fahren, dann meist, weil wir gerade aus dem Pub kommen oder weil wir ein wichtiges Gespräch am Handy haben. Darüber, wo wir gerade sind, oder einfach nur, weil wir schon seit zwei Stunden nichts mehr von wem auch immer gehört haben. Die Autofahrer mit einer Hand am Ohr haben also keine Ohrenschmerzen ... Übrigens: Telefonieren beim Autofahren ohne Freisprechanlage ist auch bei uns verboten.