von Walther Rathenau ausgewirkt hat?
Vom 3. bis zum 14. Oktober 1922 wurde vor dem neugebildeten Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik gegen dreizehn Personen verhandelt. Das Verfahren endete mit vergleichsweise harten Urteilen. Diese Urteile täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass man aus den Angeklagten mehr oder weniger Einzeltäter gemacht hatte, mit durchaus ehrbaren Überzeugungen. Obgleich bereits genug Beweise vorlagen, dass die Angeklagten Mitglieder in der »Organisation Consul« waren, die einen bewaffneten Kampf gegen die Weimarer Republik proklamierten, machte man sie zu Opfern antisemitischer Hetzparolen und stellte den Mord als isolierte Tat junger unreifer Fanatiker dar. Die Urteile wurden in deutschnationalen, sogenannten »patriotischen« Kreisen gefeiert: Zwei Jahre später fand doch noch ein Prozess gegen die »Organisation Consul« statt. Von den ursprünglich 40 Verdächtigen blieben nur noch 26 Angeklagte übrig, darunter fehlte der »Consul« selbst, Kapitän Hermann Erhardt: »Der gesamte Ablauf des ganzen Verfahrens war eine Farce und endete schließlich mit sieben Freisprüchen und Haftstrafen von bis zu acht Monaten. Das war also die ›Unerbittlichkeit‹ der Republik! Die rechte Kreuzzeitung schrieb, dass der Staatsgerichtshof der OC bescheinigen musste, nur aus vaterländischen Motiven gehandelt zu haben, was ihr zu höheren Ehre gereichen würde. Das Strafverfahren war eine Niederlage des republikanischen Lagers, das diesen Prozess gefordert hatte. Und die milden Urteile waren Ansporn für das antirepublikanische Lager, den nächsten Staatsstreich besser zu machen. Das ist ihnen 1933 gelungen.« 31
Die Brüning-Ära als »Semi-Diktatur« 32 – Der Teil-Staatsstreich 1932
Das Jahr 1932 markiert einen weiteren Schritt zur Demontage der bürgerlichen Rechtsordnung – ganz »legal«. Man könnte auch sagen: die bürgerliche Regierung mit dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg machte im Kleinen das vor, was dann die NSDAP (mit den Deutschnationalen zusammen) 1933 im Großen vollzog.
Reichspräsident Paul von Hindenburg verfügte am 20. Juni 1932 auf Grundlage des besagten Artikel 48 der Weimarer Verfassung die Absetzung der gewählten preußischen Regierung und setzte als »Reichskommissar« Reichskanzler Franz von Papen ein. Man könnte meinen und annehmen, dass die SPD-Regierung in Preußen das nicht tatenlos hinnahm. Den Worten nach wollte sie jedenfalls »nicht der Gewalt« weichen. Das wäre durchaus möglich gewesen, denn ihr hätte sowohl die preußische Polizei, also etwa 16.000 gut bewaffnete Polizisten, als auch eine kampfbereite Arbeiterschaft zur Seite gestanden. Statt auf die Straße zu gehen, »ging« sie nach Leipzig, um dort vor dem Staatsgerichtshof Klage gegen die Absetzung einzureichen. Ein Monat später bekam sie die Quittung: Eine einstweilige Anordnung, den Erlass Hindenburgs zurückzunehmen, wurde vom Staatsgerichtshof abgelehnt. Vier Monate später, am 25. Oktober 1932, wurde in der Hauptsache entschieden. Laut dieses Urteils war die Verordnung des Reichspräsidenten vom 20. Juni 1932 »zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen« mit der Reichsverfassung vereinbar.
Man kann rückblickend ganz sicher sagen, dass dies der erste Probelauf dafür war, die SPD auszuschalten, nicht nur mit Hilfe von Ermächtigungen, sondern auch mithilfe des Legalismus der SPD selbst.
Heinrich Hannover (Strafverteidiger) und Elisabeth Hannover-Drück (Historikerin), kommen in ihrem eindrucksvollen Buch »Politische Justiz 1918−1933« zu folgendem bitterem Fazit: »Dass die SPD am 20. Juli 1932 nicht auf die Straße, sondern nach Leipzig ging, war die tragische Kehrseite des Legalitätsschwindels der Nazis.« 33
Mit diesem Vorlauf im Rücken, konnte die NSDAP sehr genau einschätzen, was man von der SPD zu erwarten hatte, wenn man sie ganz und vollständig ausschaltet. Ein Wissen, das sich bereits vor 1933 sehr genau und sehr präzise formulierte. So schreibt Joseph Goebbels am 20. Juli 1932 in sein Tagebuch: »Alles rollt programmgemäß ab. Bracht wird als Reichskommissar eingesetzt. Severing (SPD-Innenminister in Preußen, d. V.) erklärt, nur der Gewalt weichen zu wollen. Ein leichter Druck mit dem Handgelenk genügt. Ausnahmezustand über Berlin-Brandenburg. (…) Man muss den Roten nur die Zähne zeigen, dann kuschen sie. SPD und Gewerkschaften rühren nicht einen Finger.« 34
Dass die SPD buchstäblich an ihrer eigenen Beerdigung mitwirkte, dass sie politisch nicht im Geringsten bereit war, die Notverordnungen als ein Sortiment von Sargnägeln zu begreifen, macht eine andere Stimme deutlich. Sebastian Haffner war damals angehender Jurist und aus großbürgerlichem Hause. Er bezeichnete sich selbst als konservativ und verteilte seine Ablehnung gleichmäßig auf Faschisten und Kommunisten. Umso bemerkenswerter sind seine Beobachtungen zur Politik der bürgerlichen Parteien, die bis 1933 die Weimarer Republik prägten. In seinem Buch »Geschichte eines Deutschen. Erinnerungen 1914−1933« führt er zur Brüning-Ära aus:
»Meines Wissens ist das Brüningregime die erste Studie und, sozusagen, das Modell gewesen zu einer Regierungsart, die seither in vielen Ländern Europas Nachahmung gefunden hat: Der Semi-Diktatur im Namen der Demokratie und zur Abwehr der echten Diktatur. Wer sich der Mühe unterziehen würde, die Regierungszeit Brünings eingehend zu studieren, würde hier schon alle die Elemente vorgebildet finden, die diese Regierungsweise im Effekt fast unentrinnbar zur Vorschule dessen machen, was sie eigentlich bekämpfen soll: die Entmutigung der eigenen Anhänger; die Aushöhlung der eigenen Position; die Gewöhnung an Unfreiheit.« 35
Dass sich die SPD mehr an die (schwindende) Macht klammerte, als an die Weimarer Verfassung, die den kaiserlichen Obrigkeitsstaat hinter sich lassen sollte, ist erschütternd. Aber es ist vielleicht auch »logisch«: Wenn man selbst an der Aushebelung von Grund- und Freiheitsrechten mitwirkt, wie am »Gesetz zum Schutz der Republik« 1922, dann kann man die Guillotinierung von Grundrechten nicht anprangern, nur, weil der eigene Kopf darunterliegt.
Schaut man – ausschnittsweise – auf diese Geschichte der Notverordnungen und Ausnahmezustände zurück, so lässt sich ganz sicher eines resümieren: Die bürgerlichen Parteien, einschließlich der SPD, taten alles, um diese Verfassung in einem Maße zu demolieren, dass es nur noch ein kleiner Schritt war, sie zu verschrotten. Die Verfassungsfeinde saßen von Anfang an in der Regierung.
Ermächtigungsgesetz – »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« vom 24. März 1933
Auch diese »Ermächtigung« brauchte einen Anlass und hatte ihn gefunden: Den Reichstagsbrand, der in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 gelegt wurde. Am Tatort wurde Marinus van der Lubbe festgenommen. Ohne jegliche Beweise und Möglichkeiten der Überprüfung von Mutmaßungen wurden »die Kommunisten« für diesen Anschlag verantwortlich gemacht.
Wie dieser Anschlag aufgenommen wurde, beschreibt Sebastian Haffner als konservativer, großbürgerlicher Beobachter so: »Also die Kommunisten hatten den Reichstag angezündet. Soso. Das war schon möglich, das war sogar sehr glaublich. (…) Nun vielleicht hat es wirklich ein ›Fanal‹ für die Revolution sein sollen, und das ›entschlossene Zupacken‹ der Regierung hatte die Revolution dann verhindert. So stand es in der Zeitung, und es ließ sich hören. Komisch allerdings auch, dass die Nazis sich gerade über den Reichstag so aufregten. Bis dahin hatten sie ihn immer ›Quatschbude‹ genannt, und jetzt auf einmal war es wie eine Schändung des Allerheiligsten.« 36
Ob dieser Anschlag der NSDAP gerade recht kam oder ihr eigenes Werk war, spielt hier keine Rolle. Tatsache ist, der Anschlag kam wie gerufen. Denn danach lief alles wie am Schnürchen, Hand in Hand zwischen bürgerlichen und faschistischen Fraktionen. Für das, was im wahrsten Sinn des Wortes passieren konnte, ist also nicht nur die NSDAP verantwortlich, sondern auch alle bürgerlichen Parteien, die der NSDAP die Wünsche von den Lippen ablasen.
Der Brand war noch nicht gelöscht, da nutzte der Reichspräsident zum x-ten Mal den § 48 der Weimarer Verfassung und erließ die »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat« (Reichstagsbrandverordnung). Damit wurden die Grundrechte der Weimarer Verfassung de facto außer Kraft gesetzt.
In dieser entscheidenden Phase der Weimarer Republik bildete die NSDAP mit den Deutschnationalen (DNVP) eine Minderheitsregierung. In ihr war alles vertreten, was die NSDAP zu einem faschistischen Ideologiemix zusammenfasste: Monarchistische, völkische, deutschnationale, reaktionäre und militaristische