Merlin T. Salzburg

Erst Zopf dann Kopf


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      Tivaro konnte es nicht fassen. »Aber Morgen könnte mein Dad vielleicht tot sein. Wir haben doch sonst immer gleich alle Fakten auf den Tisch gelegt.«

      «Ja, und woher haben wir die meisten Fakten und Infos? Doch wohl von mir, oder?«, behauptete Nico.

      »Weil du ein Bullensohn bist«, entgegnete Tivaro.

      Nico schien das zu überhören. »Und wer hat wohl das meiste Geld von uns in die Ausrüstung hier gesteckt?«

      »Mann, Nico, du bist ja mal nur noch peinlich, seit du Kohle hast«, gab Tivaro verächtlich zurück.

      Nico zuckte einfach mit den Schultern. »Wer hat, der hat.«

      »Ja, und der hat auch Informationen, die uns vielleicht wegen der Sache mit meinem Vater weiterbringen könnten. Die unser Nico aber leider lieber vor uns zurückhält: Ätsch, ich weiß was, was Ihr nicht wisst. – Los, pack endlich aus, du Vogel!«, rief Tivaro erregt.

      »Nicht in diesem Ton, Tivaro!« Beide waren plötzlich ruckartig aufgestanden und stießen dabei ihre Holzstühle um. Der viel stärkere Nico baute sich mit stolz geschwellter Brust vor Tivaro auf. »Polak potrafi!«

      »Ok, manchmal sind Polizisten ja auch ganz nützlich«, lenkte Jojo ein, ehe Tivaro Nico zu nahe kommen konnte. Er saß etwas eingeklemmt zwischen den beiden und quetschte sich mühsam nach oben, um Tivaro und Nico zu trennen.

      Nico entschied sich für den Rückzug. Er schnappte seine Tasche und stampfte so wütend zum Ausgang. Dann drehte er sich noch einmal um und drohte: »Leckt mich doch! Ab jetzt mache ich Ermittlungen auf meine Weise. Ihr habt ja eh keinen Plan. Und wer weiß, ob Tivaros Daddy nicht auch in der Sache mit drin steckt.«

      »Was?«, schrie Tivaro außer sich. »Du Arschloch! Mein Vater ist hier das Opfer!«

      »Und meiner macht euch die Hölle heiß, wenn ich ihm sage, dass ihr euch da mit reinhängen wollt.«

      »Aber du?? Ich sag dir was, Nico, du bist hier sowas von raus, Mann! Hörst du, du bist raus aus der Gang. Gib mir deinen Gartenschlüssel und verpiss dich!«

      Doch Nico war schon verschwunden. Drinnen hörte man noch das Gartentor klappern. Auf dem Monitor sahen Tivaro und Jojo, wie Nico mit seinem Bike davonraste.

      »Aber echt voll abgehoben der Typ, heute!«, musste nun auch Jojo zugeben.

      Tivaro holte tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen. Danach war er kaum noch wütend. Er fühlte sich eher niedergeschlagen. »Was sind wir bloß für eine tolle Gang!«, sagte er. »Der eine hängt lieber mit meiner Schwester ab, und der andere fühlt sich plötzlich als was Besseres.«

      »Wollen wir jetzt allein nach Bad Homburg fahren?«

      Tivaro schüttelte den Kopf. Er hatte es sich inzwischen anders überlegt. »Ich ruf mir ein Taxi und fahre in die Uni-Klinik. Ich muss wissen, was mit meinem Vater los ist.«

      Jojo sah nicht gerade happy aus. »Ich glaub, dann mache ich mich mal wieder auf den Heimweg.«

      »Ok, ich halte dich auf dem Laufenden. Im Augenblick bist du wohl unser einziger Mann.«

      »Ja klar, Chef!«, antwortete Jojo und grinste dann etwas verlegen. »Aber das mit deinem Vater hat Nico doch wohl nicht ernst gemeint, oder?«

      »Was weiß denn ich?«, gab Tivaro zurück. Er nahm seinen Rucksack und wandte sich zum Gehen. »Komm, wir müssen los. Mach den Monitor aus, die Sitzung ist beendet.«

      Tivaro und Jojo kletterten nach draußen und saßen schon bald auf ihren Rädern. Jojo begleitete Tivaro noch auf dem Feldweg bis Bonames Mitte, wo sie sich ein Eis im Café Lido holten, bevor sich ihre Wege schließlich trennten.

      Tivaro rief zu Hause an, um Elise nach dem neuesten Stand zu fragen. Sie war sehr aufgeregt und riet Tivaro davon ab, ins Klinikum zu fahren, weil Roland immer noch nicht aufgewacht war.

      Doch Tivaro bestand auf seine Absicht: »Einer muss schließlich bei ihm sein, wenn er wieder aufwacht. Dad kann ja wohl nichts dafür, dass du kein Blut sehen kannst.«

      Elise gab ihm schließlich die Adresse der Unfallchirurgie. Tivaro schloss sein Rad direkt an der Eisdiele an. Dort würde es noch bis Mitternacht unter bester Beobachtung bleiben. Dann schlenderte er zum Taxistand neben der kleinen Ladenzeile und stieg in eines der Fahrzeuge der Frankfurter Zentralvereinigung.

      Tivaro hielt dem Fahrer sein Smartphone unter die Nase. »Zu Uni-Klinik, bitte.«

      »Ah, VIP-Taxi-App! Hat nix jeder. Haben Sie Pass?«, wollte der pakistanische Fahrer in gebrochenem Deutsch wissen. Im Taxi roch es nach Gewürzen.

      Tivaro zückte seinen Ausweis und bestätigte den Fahrauftrag mit einem PIN-Code. Das war alles. Und es kostete nichts. Ein Super-Service für ein ganzes Jahr, den die Jungen von o-vier immer wieder gerne in Anspruch nahmen. Auch dies war ein Teil ihrer Belohnung für die Aufklärung der letzten beiden Banküberfälle.

      Auf dem Weg ins Klinikum wurde Tivaro etwas mulmig bei dem Gedanken, dass sein letzter Krankenhausbesuch noch gar nicht allzu lange her war. Erst kürzlich war sein Großvater im Frankfurter Bürgerhospital unerwartet gestorben. Durch Opa Reinhard hatte er auch von dem gewaltigen Nazi-Goldschatz erfahren, den die Gang etwa zwei Wochen zuvor im Taunus entdeckte. Tivaro bedauerte zutiefst, dass sein geliebter Opa diesen Triumph nicht mehr erlebt hatte.

      Tivaro wählte die Nummer der Intensiv-Station, auf der sein Vater lag. Die Schwester am anderen Ende erklärte ihm, sie könne nur Angehörigen Auskunft über Patienten geben.

      »Aber ich bin doch sein Sohn. Tivaro Kirchner.«, sagte Tivaro etwas genervt.

      »Und woher soll ich das wissen, junger Mann? Ich habe nur eine Rufnummer von ihrer Mutter, falls sie das ist. Und nur darüber gehen Nachrichten heraus. Kommen Sie her und weisen Sie sich aus. Dann sehen wir weiter.«

      »Vielen Dank! Sie haben mir sehr geholfen. Ich bin auf dem Weg«, sagte Tivaro und legte auf. Immerhin hatte er als Fremder der Schwester trotz ihrer Bedenken entlockt, dass sein Vater überhaupt auf dieser Station war.

      »Alles Sischerheit«, sagte der Taxifahrer. »Heute ganz überall alles Sischerheit: Airport, Bahnhof, Hotel, Messe, Kaufhaus, Büro, Bank, Hospital, Autobahn, Taxi, alles Sischerheit.«

      »Ja, ja. Fahren Sie einfach weiter. Machen Sie Musik an und das Fenster auf. Ihre Klimaanlage stinkt.«

      Der Fahrer brummte etwas und schwieg dann für den Rest der Fahrt.

      Vielleicht war ich nicht sehr höflich, dachte Tivaro. Aber draußen waren immer noch dreiunddreißig Grad Hitze, und Tivaro fühlte sich wirklich nicht sonderlich gut an diesem Abend.

      Tivaro betrat das Klinikgebäude durch eine große massive Holztür. Der Geruch von Desinfektionsmitteln und Salben strömte ihm in die Nase. Der Eingang zur Intensiv-Station war von außen verschlossen. Erst auf ein Signal hin erschien eine junge Dame in grüner OP-Kleidung und weißem Mundschutz hinter der Glastür und öffnete sie von innen mit ihrem Ellenbogen.

      »Ich bin Tivaro Kirchner.«

      »Habe ich mir gedacht. Ich bin Stationsschwester Anne. Ich bringe dich mal zu deinem Vater.«

      »Wollten Sie nicht meinen Ausweis?«, fragte Tivaro.

      »Den brauche ich wohl nicht bei der Ähnlichkeit«, meinte Schwester Anne. Als sie sich dem Krankenzimmer näherten, mahnte sie Tivaro leise: »Du kannst aber noch nicht mit deinem Vater reden. Den kriegst du heute jedenfalls nicht wach. Aber das sagt dir am besten der behandelnde Arzt.«

      Die Stationsschwester ließ Tivaro im Zimmer stehen und entfernte sich, um den Stationsarzt zu holen. Tivaro fand Schwester Anne nett.

      Professor Doktor Lange erschien wenig später und reichte Tivaro seine weiche Latex-Hand: »Du bist der Sohn?«

      Tivaro nickte. Der Arzt führte Tivaro näher an ein Bett an der Wand und wies auf den bandagierten Kopf, der auf einem mit Jodtinktur verklebten Kissen