Katherine V. Forrest

Wüstenfeuer


Скачать книгу

Kate versuchte die Punkte zu verbinden, die sie nach all dieser langen Zeit auf irgendeine Weise wieder zu dieser Frau geführt hatten.

      »Vielleicht hat sie den Vermerk in Ihrer Personalakte gelesen. Es ist kein Malus.« Bissig fügte sie hinzu: »Es ist heutzutage kein Kainszeichen mehr – selbst für den machohaftesten Cop nicht. Vielleicht ging es durch die LAPD-Gerüchteküche. Cops sind schlimmere Tratschtanten als Joan Rivers.«

      Kate lächelte. »Stimmt. Es ist lange her, Calla. Was wissen Sie noch von mir?«

      »Ah, Detective Delafield.« Dearborn seufzte. »Sie sind eine Meisterin darin, Fragen auszuweichen, indem Sie Fragen stellen. Darf ich Sie daran erinnern, dass dies mein Befragungsraum ist, nicht Ihrer.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Sie immer als eine meiner interessanteren Klientinnen betrachtet. Flink wie ein Wiesel sind Sie schon wieder woanders.«

      »Ich nehme das als Kompliment, nicht als Verunglimpfung von Wieseln.«

      »Gut. Betrachten wir als Erstes das größte Problem, das zwischen uns existiert hat – das Thema Vertrauen. Sie haben mir damals nicht erlaubt, mir während unserer letzten beiden Sitzungen Notizen zu machen. Gilt das immer noch?«

      Kate zögerte. Dearborn würde niemandem mehr Bericht erstatten. Ihr Berufsethos gewährleistete, dass alles, was gesagt wurde, innerhalb dieser vier Wände blieb. Und dennoch behagte ihr die Vorstellung nicht, dass sich irgendetwas Persönliches von ihr in den Unterlagen eines anderen Menschen befand. Du brauchst sie, sagte sie sich. Wenn sie sich darauf einlässt … »Ich schätze nein«, räumte sie ein.

      Dearborn stand auf und öffnete eine Schublade des kleinen Schreibtischs. Sie holte einen Block heraus und einen Stift, den Kate wiedererkannte. »Das ist derselbe Stift, den Sie vor zwölf Jahren schon hatten«, staunte sie.

      Dearborn drehte den schlanken Malachit-Kugelschreiber zwischen den Fingern. »Ich weiß auch nicht, wie mir das gelungen ist. Jeden anderen Kuli, den ich je besessen habe, habe ich verloren.«

      »Er ist wunderschön. Ein schönes Zeichen von Kontinuität.«

      »Kontinuität ist Ihnen wichtig.« Es war so gut wie eine Frage.

      »Ich habe nicht viel davon.«

      Dearborn setzte sich wieder in den Sessel, legte den Stift auf den Block auf ihrem Schoß, stützte die Ellbogen auf die Armlehnen und legte die Fingerspitzen aneinander. »Ich erzähle Ihnen, woran ich mich erinnere, und Sie korrigieren mich, wenn ich falsch liege. Sie sind damals zu mir gekommen, weil Sie bei dem Versuch, einen jungen Mann festzunehmen, angeschossen wurden …«

      »Darian Crockett. Siebzehn Jahre alt«, fügte Kate hinzu. Nach all der langen Zeit stimmte der sinnlose Tod dieses Menschen in so jungen Jahren sie immer noch melancholisch. »Sie wussten das damals nicht, aber die Kugel, die ich abgekriegt habe, war friendly fire – meine Partnerin hat irrtümlich auf mich geschossen«, fügte sie hinzu.

      Dearborn hob die kaum vorhandenen Brauen. »Welche Konsequenzen folgten daraus?«

      »Ich habe nicht zurückgeschossen«, scherzte Kate. Sie zuckte die Achseln. »Dumm gelaufen.«

      »Passiert öfter.« Dearborn musterte Kate einen Moment. Dann sagte sie: »Sie haben mir erzählt, dass Sie Ihre erste Geliebte, mit der Sie mehr als zehn Jahre zusammen waren, bei einem schrecklichen Unfall verloren haben …«

      »Ein Autounfall. Auf dem Hollywood Freeway. Ihr Wagen ging in Flammen auf. Sie hieß Anne. Wir hatten zwölf gemeinsame Jahre.«

      »Ja. Furchtbar. Entsetzlich. Und Ihre Eltern haben Sie sehr früh verloren. Insbesondere Ihre Mutter …«

      »Ich war siebzehn.«

      »Im gleichen Alter wie Darian Crockett.«

      Kate schrak auf. Diese Verbindung hatte sie nie gezogen.

      »Und Sie waren in den Dreißigern, als Ihr Vater starb. Der Elternteil, der Ihnen am nächsten stand.«

      Kate nickte, sagte aber nichts weiter dazu. Es überraschte und berührte sie, dass Calla Dearborn so viele Jahre später noch so vieles in Erinnerung hatte, und angesichts dieser Aufzählung ihrer Verluste musste sie ihre Tränen unterdrücken. Die Trauer über Anne und ihre Eltern schien sie dieser Tage immer wieder unverhofft zu überfallen, trotz der vielen inzwischen verstrichenen Jahre.

      »Sie haben einen Collegeabschluss. Sie waren beim Militäreinsatz in Vietnam. Als Sie damals zu mir kamen, waren Sie schon mehr als zehn Jahre lang bei der Mordkommission …«

      »Vierzehn Jahre.«

      »Macht insgesamt sechsundzwanzig Jahre bei der Mordkommission, bis Sie in den Ruhestand versetzt wurden. Die meiste Zeit waren Sie im Mittleren Dienst. Sie hatten kein Interesse daran, zum Lieutenant oder in eine andere höhere Position aufzusteigen.«

      Ihre Nackenhaare sträubten sich. Dearborn hatte sie deswegen einmal ziemlich herausgefordert. »Eine weise Entscheidung, wie sich herausgestellt hat.«

      »Oder auch nicht. Vielleicht hätte jemand mit Ihrer Integrität auf einer höheren Befehlsebene einen Unterschied gemacht bei all dem Mist, der geschehen ist.«

      Kate antwortete nicht. Schnee von gestern.

      Einen Augenblick später sagte Dearborn: »Damals hatten Sie sich bei der Arbeit nicht als Lesbe geoutet …«

      »Stimmt nicht. Alle wussten Bescheid. Ich habe es nur nicht öffentlich verkündet.«

      »Haben Sie es später öffentlich verkündet?«

      »Es wussten alle«, wiederholte Kate beharrlich und machte eine allumfassende Geste. »Die Gerüchteküche, von der Sie bereits gesprochen haben.«

      Dearborn nahm ihren Stift und machte sich so rasch eine Notiz, dass es Steno gewesen sein musste, und legte den Stift wieder hin. »Ich erinnere mich, dass ich Sie als arbeitsfähig eingestuft habe. Ich erinnere mich, dass ich mehrere Warnungen ausgesprochen habe. Eine davon lautete, dass Sie eine klassische Kandidatin für Alkoholabhängigkeit sind.«

      »Sie hatten recht.«

      »Und dass Sie, was Ihre Partnerin und Ihre Beziehung anbelangte, auf ernsthafte Probleme zusteuerten.«

      »Sie hatten recht.«

      »Und dass es dringend geboten sei, die Therapie fortzusetzen.«

      Kate lächelte. »Und hier bin ich.«

      »Und hier sind Sie.« Dearborn erwiderte ihr Lächeln. »Ihre Träume, Kate. Wollen Sie mir einen von ihnen erzählen? Woran auch immer Sie sich erinnern?«

      Kate verlagerte ihr Gewicht, schob ihren Sessel ein Stück zurück und verschränkte die Arme. »Es sind zwei. Nein, eigentlich noch mehr. Aber diese beiden … Diese beiden kehren immer wieder.«

      Sie sprach langsam, suchte nach den passenden Worten. »Ich sitze in einem leeren Haus. Ich glaube nicht, dass es meine Wohnung ist, aber es wäre möglich. Wenn doch, dann gibt es jedenfalls keine Möbel, bis auf den schlichten Holzstuhl, auf dem ich sitze, und einen grauen Teppich, wie ich ihn nicht besitze. Ich bemerke, dass der Teppich um meine Füße herum feucht durchtränkt ist. Ich gehe durch diese schwammige Nässe, hinterlasse feuchte Fußabdrücke, und die Balkontür steht offen – es regnet herein. Ich bin sauer, weil ich so dumm gewesen bin, bei diesem Regen die Tür aufzulassen, und es ist so stürmisch …«

      Calla Dearborn beobachtete sie und machte sich gleichzeitig Notizen. Kate fuhr fort. »Ich habe tatsächlich eine Balkontür in meiner Wohnung, aber sie sieht anders aus als die in dem Traum. Die ist alt und klemmt und schließt schwer – ich muss sie mit Gewalt zudrücken, um sie zu schließen. Ich kehre zu dem Stuhl zurück. Aber auf dem Weg dorthin spüre ich eine warme Feuchtigkeit wie Nebel, und einige große Tropfen fallen auf meinen Nacken und meine nackten Arme.«

      Kate schluckte, holte tief Luft und verschränkte die Arme fester. »Ich blicke nach oben, und es tropft von der Decke, feine Tropfen dringen durch die Decke, aber nicht überall. Nur in der Hälfte zu den Fenstern hin.