Alfred Bekker

Umgelegt in Chicago - Bluternte 1929: Kriminalroman


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wollte sich noch mal bei mir melden, hat es aber nie getan. Was ist mit ihr passiert?“

      „Versuchen wir gerade herauszufinden“, erklärte Chesterfield.

      „Wir haben sie am Ufer des Lake Michigan gefunden, etwa zwanzig Meilen außerhalb der Stadt. Die Wellen hatten sie an Land gespült.“

      „Ist ziemlich einsam dort...“

      „Sie starb durch einen Schuss in die Herzgegend. Das Projektil stammt aus einer Waffe vom Kaliber 22. Jemand hat versucht, die Leiche verschwinden zu lassen und sie mit irgendeinem Gewicht beschwert, wie die Male an den Fußgelenken beweisen. Allerdings wurde das Ganze wohl alles andere als fachmännisch durchgeführt.

      Die Leiche ist wieder aufgetaucht und schließlich an Land gespült worden, wo sie von einem Spaziergänger gefunden wurde! Wenn wir das Schiff kennen würden, mit dem sie über den See übersetzen wollte...“

      „Tut mir leid. Da kann ich nicht helfen“, sagte ich bedauernd.

      „Schade.“

      „ Sie kriegen es bestimmt heraus!“

      Chesterfield verzog das Gesicht. „Lieutenant Quincer freut sich schon darauf, Sie wieder nach Hause zu bringen.“

      „Kein Protokoll?“, wunderte ich mich.

      „Die einzige Schreibmaschine unserer Abteilung kommt erst Dienstag aus der Reparatur.“

      Ich lachte. „Und Quincers Sauklaue kann niemand entziffern, was?“

      Chesterfield bemühte sich redlich, ein Grinsen zu unterdrücken.

      „So ist es.“

      „Habe ich es mir doch gedacht!“

      „Schauen Sie ab Dienstag mal bei uns vorbei, damit wir das nachholen können.“

      „In Ordnung.“

      5

      Ich hatte eigentlich gedacht, dass die Sache damit für mich erledigt sei. Aber da hatte ich mich getäuscht.

      Quincer fuhr mich nach Hause und der süßliche Leichengeruch hing mir immer noch in der Nase. Ein Geruch, der mir den Durst auf Bourbon an diesem Abend vergällte.

      Am Montag schien die Sonne.

      Noch hielt ich das für ein gutes Omen. Als ich um zehn im Büro eintraf, kam mir Kitty Meyerwitz mit einem Dollarzeichen-Blick entgegen.

      „Wo waren Sie denn so lange?“, flüsterte sie.

      „Ich wusste nicht, dass ich erwartet werde!“

      Erst jetzt fiel mir die junge Frau mit den blonden Locken auf. Sie sah aus wie eine der Stummfilm-Göttinnen, die einen von den Kinoplakaten anschmachteten.

      Sie stand am Fenster, blickte hinaus auf die Straße und hielt dabei eine Zigarettenspitze in der Hand. Ich schätze, dass der Schmuck, den sie am Leib trug, mehr wert war, als ich in einem Jahr verdiente.

      Sie drehte sich um, stemmte dabei eine Hand in die Hüfte und musterte mich von oben bis unten.

      Immerhin sah sie zahlungskräftig genug aus, um sich meine Dienste samt Spesen leisten zu können.

      Ich ging auf sie zu, um sie zu begrüßen. „Pat Boulder, private Ermittlungen aller Art. Was kann ich für Sie tun?“

      „Stehen Sie immer so spät auf?“, fragte sie spitz und hob dabei das Kinn auf eine Weise, die sie arrogant erscheinen ließ.

      „Wenn ich die Nacht über auf der Lauer gelegen habe schon“, log ich. Schließlich ist nichts schädlicher für das Image eines Privatdetektivs, wenn er zugeben muss, dass er keine Aufträge hat.

      Außerdem animierte das potentielle Klienten nur dazu, den Preis zu drücken. „Mit wem habe ich das Vergnügen?“, fragte ich.

      „Ich bin Mrs Cynthia McCormick“, sagte sie und gab mir mit einer so übertriebenen Gestik die Hand, dass ich mich abermals an die Stummfilm-Göttinnen erinnert fühlte. Ich stellte mir einen dazu passenden Untertitel vor. Vielleicht so etwas wie: „Danke, James, Sie können sich entfernen!“

      Dass die Lady auf großem Fuß lebte, war nicht zu übersehen. Aber wie es schien, hatte sie auch den nötigen Snobismus, um in der Upper Class nicht aufzufallen.

      „Sagen Sie mir einfach, was ich für Sie tun soll, und ich sage Ihnen, ob es machbar ist und wie viel es kosten wird!“, forderte ich.

      Sie seufzte. „Die Sache ist ganz einfach – und doch komplizierter, als es auf den ersten Augenblick scheint!“

      Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht die Augen zu verdrehen. Wenn das ein Vorgeschmack darauf war, wie kapriziös sich meine Klientin geben konnte, dann stand mir ein nervenaufreibender Job bevor.

      „Bitte, reden Sie frei von der Leber weg. Alles, was Sie mir anvertrauen, verlässt die vier Wände dieses Büros nicht, was immer es auch sein mag...“

      Cynthia McCormick wich meinem Blick aus, während es in meinem Schädel zu arbeiten begann.

      Ich begann darüber nachzudenken, wo ich den Namen McCormick schon einmal gehört hatte. Irgendwie brachte ich ihn mit der CHICAGO TRIBUNE in Verbindung und lag damit gar nicht mal so schlecht, wie sich wenig später herausstellte.

      „Ich war ein paar Tage in New York um meine Eltern zu besuchen“, berichtete sie. Zwischendurch blies sie mir Rauch entgegen. „Als ich zurückkehrte, hatte man in unsere Villa eingebrochen und allerlei Wertsachen gestohlen. Außerdem war mein Mann war verschwunden.“

      „Oh“, sagte ich. „Das muss ein Schock für Sie gewesen sein!“

      „Allerdings!“

      Also doch nicht der Routinefall des untreuen Ehegatten.

      Interessant in welcher Reihenfolge sie die erlittenen Verluste vermerkt!, dachte ich.

      „Alles Bargeld, wertvoller Schmuck und was sonst noch an Wertgegenständen im Haus vorhanden war, ist verschwunden.“

      Ich hob die Augenbrauen. „Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass Sie in diesem Fall bei der Polizei an der besseren Adresse wären...“

      „Ich war dort, aber diese bornierten Beamten glauben einfach nicht, dass mein Mann das Opfer eines Verbrechens wurde.“

      „Wieso nicht?“

      Sie musterte mich noch einmal prüfend von Kopf bis Fuß. Ich stellte mir vor, dass sie das mit ihren Zimmerpflanzen genauso machte, bevor sie diejenigen, die schon verwelkt waren, aussortierte und in den Abfall bringen ließ.

      „Sie haben noch immer keine Ahnung, wer ich bin, oder?“, fragte sie. Die innere Empörung darüber, dass ich sie offenbar nicht gleich in die Schublade superwichtiger Prominenz gesteckt hatte, schien sie beinahe schon beleidigt zu haben. Jetzt war es wohl besser, in die Charme-Offensive zu gehen, wenn ich die empfindliche Kundin nicht wieder verlieren wollte. Nicht, dass es mir unter normalen Umständen etwas ausgemacht hätte, aber in diesem speziellen Fall war ich auf Grund meiner finanziell angespannten Lage nicht in der Position, mir meine Kundschaft aussuchen zu können.

      Leider.