fähig sind. Stellvertretend für eine Reihe berühmter konzertierender Musiker aus dem klassischen Sektor mit ausgeprägtem Lampenfieber sei Enrico Caruso (1873–1921) angeführt. Sein Impresario Emil Ledner, der ihn jahrelang begleitet und betreut hat, schreibt:
»Kritische Stunden erster Ordnung brachten jene Tage, an welchen eine Vorstellung stattfand. An solchen Tagen wurde Caruso von einem entsetzlichem Lampenfieber gequält. Jeder Künstler leidet mehr oder weniger unter diesen Empfindungen, bei Caruso nahm das Lampenfieber unbeschreibliche Dimensionen an, die ihm jede Vernunft raubte, seine Nerven peitschte und seine Umgebung zur Verzweiflung brachte. (…) An Spieltagen musste für Todesstille in allen Räumen gesorgt werden. Jedes laut gesprochene Wort peinigte ihn. Frühstück, Mittagessen, durchaus leicht zu verdauende, in winzigsten Quantitäten genossene Speisen – nichts von ihnen konnte er bei sich behalten – und nach dem Genuss zweier Tassen Kamillentee fuhr er ins Theater.« (Ledner, 1922, S. 73 u. 76)
Nähert man sich dem Phänomen von wissenschaftlicher Seite, so gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Häufigkeit und Ausprägung von Lampenfieber zu messen. Die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen erfassen Lampenfieber, indem sie Betroffene vor und nach Auftrittssituationen mittels standardisierter Fragebögen befragen, wie sie Lampenfieber in der jeweiligen Situation oder über einen größeren Zeitraum erleben, d.h. welche Gefühle sie dabei haben, welche Gedanken sie beschäftigen, welche Umgebungsfaktoren sie beeinflussen etc. Hieraus lässt sich insgesamt ableiten, wie angenehm bzw. unangenehm eine Person Lampenfieber erlebt bzw. ob sie darunter leidet. Bei einer entsprechenden Befragung von Studierenden unterschiedlicher Fächer zeigte sich, dass 40 Prozent ihr Lampenfieber vor öffentlichen Vorträgen als unangenehm stark empfinden, bei Musikstudierenden sind dies 60 Prozent (Schröder u. Liebelt, 1999). Wie die von außen zu beobachtende Leistung auf Bühne oder Podium ist, ist hierbei nicht berücksichtigt.
Neben der Selbsteinschätzung des Lampenfiebers lassen sich auch die körperlichen Anzeichen wie Herz- und Atemfrequenz, Blutdruck und Hautwiderstand messen. In einer Untersuchung unserer eigenen Arbeitsgruppe haben wir Opernsänger bei Haupt- und Generalproben sowie Premieren vor, während und nach dem Bühnenauftritt untersucht (Spahn et al., 2010). Die körperlichen Parameter wurden kontinuierlich gemessen, außerdem wurde das erlebte Lampenfieber mittels eines Fragebogens 10 Minuten vor und nach dem Auftritt erfasst. Es handelte sich um männliche und weibliche Sänger mit fünf bis zehn Jahren Berufserfahrung im festen Engagement an einem deutschen Theater mittlerer Größe. Eine der untersuchten Sängerinnen gab eine starke Angstkomponente ihres Lampenfiebers an, die anderen berichteten von geringer Angst im Lampenfieber. Hierbei zeigten die Angaben zum Lampenfieber und die gemessenen körperlichen Anzeichen nicht in die gleiche Richtung: Die Sängerin mit der stark erlebten Angst hatte normale Werte bei Herzfrequenz und Blutdruck, während andere Sänger, die geringe Angst im Lampenfieber angaben, deutlich erhöhte Werte für Herzfrequenz und Blutdruck zeigten. Diese Diskrepanz zwischen Selbsterleben und körperlichen Reaktionen fand sich auch in anderen Untersuchungen (Craske u. Craig, 1984; Studer et al., 2011). Es wird deshalb vermutet, dass die gleichen physiologischen Zustände als unterschiedlich bedrohlich interpretiert werden.
Dieser kurze Einblick in die Forschung zum Thema Lampenfieber soll zeigen, dass eine angemessene und differenzierte Erfassung der verschiedenen Komponenten sehr schwierig ist und Untersuchungsergebnisse deshalb sehr vorsichtig interpretiert werden müssen. Wollen wir nun entsprechend den oben getroffenen Definitionen zwischen Lampenfieber und Auftrittsangst differenzieren, so enthält die reine Selbsteinschätzung mittels Fragebogen einige Unschärfen. Ausgehend von der bestehenden Literatur lassen sich die Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen am Beispiel der Musiker trotzdem dahingehend abschätzen, dass die Prävalenz von Auftrittsangst bei dieser Berufsgruppe zwischen 13 und 25 Prozent liegt (Steptoe, 2005; Gembris u. Heye, 2012). Außer durch direkte Befragung erhalten wir auch indirekte Hinweise auf den Leidensdruck durch Lampenfieber oder Auftrittsangst. So gab ca. ein Viertel der Orchestermusiker in den USA (Fishbein et al., 1988) und ca. ein Fünftel in Deutschland (Gembris u. Heye, 2012) an, Betarezeptorenblocker in Selbstmedikation einzunehmen. Da als einzige Motivation für die Einnahme die Unterdrückung der adrenergen körperlichen Symptome in Frage kommt, ist der Zusammenhang mit belastendem Lampenfieber oder Auftrittsängsten sehr wahrscheinlich.
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