Gelingt es den Granulozyten, die bakterielle Exposition zu einem frühen Zeitpunkt zu beherrschen, kommt es nur zu oberflächlichen Gewebedestruktionen und es kann sich eine Homöostase einstellen (granulozytäre Clearence). Bestimmte Parodontalpathogene verfügen aber über Mechanismen, die Funktion der neutrophilen Granulozyten zu stören bzw. außer Kraft zu setzen, wie das Leukotoxin von Aggregatibacter actinomycetemcomitans.
Abb. 9 Antikörper in der Abwehr von Mikroorganismen: 1) Verhinderung der Adhäsion von Mikroorganismen an Schleimhäuten durch Abschilferung von Epithelzellen und sekretorisches Immunglobulin A (IgA) im Speichel, 2) Komplementaktivierung durch spezifische Antikörper, 3) Opsonierung von Mikroorganismen als Voraussetzung für deren Phagozytose durch Leukozyten10.
Humorale Immunantwort
Der Speichel enthält hohe Konzentrationen von sekretorischem Immunglobulin A (IgA), einem aus zwei IgA-Monomeren, einem Verbindungsmolekül (J-Kette) und der Sekretkomponente zusammengesetztem Dimer. Das sekretorische IgA kann Schleimhäute passieren und die Anheftung bzw. das Eindringen von Mikroorganismen abwehren (s. Abb. 9). Es existieren zwei Unterklassen von IgA: IgA1, das im Serum vorherrscht, und IgA2, das zumeist als sekretorisches IgA auftritt.
IgG ist das häufigste intra- und extravaskuläre Immunglobulin (75 % aller Serumimmunglobuline). Es können 4 Unterklassen unterschieden werden, die unterschiedlich auf verschiedene Antigenklassen reagieren. Bakterielle Proteine induzieren primär die Bildung von IgG1, während IgG2 hauptsächlich per Induktion durch Polysaccharide und Lipopolysaccharide gebildet wird. Antikörper gegen bakterielle Zelloberflächenbestandteile wirken sich positiv auf die Infektionsabwehr aus.
Bei Parodontitis mit Molaren-Inzisiven-Muster (früher lokalisierte aggressive Parodontitis) überwiegt IgG2 gegen das Lipopolysaccharid von A. actinomycetemcomitans Serotyp b. Bei Patienten mit Parodontitis Stadium III und IV mit Grad B bzw. C sind häufig erhöhte Antikörpertiter gegen Parodontalpathogene (z. B. P. gingivalis, A. actinomycetemcomitans) nachzuweisen. Nach Therapie und Verbesserung der klinischen Parameter sinken die Antikörperspiegel. Erhöhte Antikörpertiter sind also auf der einen Seite ein Hinweis auf das Vorhandensein großer Mengen von Parodontalpathogenen. Auf der anderen Seite konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit Parodontitis mit Molaren-Inzisiven-Muster ausgeprägte Serumantikörpertiter gegen A. actinomycetemcomitans vorlagen, während dies bei generalisierter Parodontitis Stadium III und IV mit Grad C nicht der Fall war9.
Die ausgeprägte Immunantwort mit hohen Serumantikörpertitern könnte bei den Patienten mit Parodontitis mit Molaren-Inzisiven-Muster dazu beigetragen haben, dass eine Ausbreitung (Generalisierung) der Infektion und somit der parodontalen Zerstörung verhindert wurde. Die Bildung spezifischer Antikörper ist also Teil der Resistenz eines Wirts gegen eine spezifische mikrobielle Exposition.
Literatur
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10. Ishikawa I, Nakashima K, Koseki T, Nagasawa T, Watanabe H, Arakawa S, Nitta H, Nishihara T. Induction of immune response to periodontopathic bacteria and ist role in the pathogenesis of periodontitis. Periodontol 2000 1997;14: 79–111.
Parodontitis | 4 |
Wird aus jeder Gingivitis eine Parodontitis?
Die bakteriellen Zahnbeläge induzieren eine entzündliche Reaktion der Gingiva (Gingivitis). Nach Beseitigung der mikrobiellen Exposition bildet sich diese Gingivitis komplett zurück, ohne dass es zu Zerstörungen des Parodonts kommt1. Bei wenigen Menschen (etwa 10 %) bleibt die Gingivitis (etablierte Läsion) über Jahre und ggf. ein Leben lang weitgehend stabil. Ebenfalls bei etwa 10 % geht die Gingivitis frühzeitig in eine Parodontitis über, bei der der Zahnhalteapparat (bindegewebiges Attachment und Knochen) ohne adäquate Therapie rasch zerstört wird und frühzeitig Zahnverlust droht (Parodontitis, Stadium III und IV, Grad C). Bei der Mehrheit der Menschen geht die Gingivitis im mittleren Alter in eine Parodontitis über, die durch eine langsame Progression gekennzeichnet ist2.
Fortgeschrittene Läsion: Parodontitis
Die fortgeschrittene Läsion (Parodontitis) entwickelt sich aus der etablierten Läsion (Gingivitis)1. Hinsichtlich der meisten histologischen Merkmale gleichen sich beide Läsionen. Der entscheidende Unterschied zur Gingivitis ist, dass es bei Parodontitis zu Attachmentverlusten kommt und erstmals Knochenabbau (Abb. 1) beobachtet werden kann3. Während sich die subgingivale Plaque nach apikal zwischen Taschenepithel und Zahnoberfläche schiebt, das subepitheliale Infiltrat sich nach apikal ausdehnt und der Epithelansatz, also die koronalste Ausdehnung des epithelialen Attachments, sich nach apikal verschiebt, ziehen sich der Knochen und das bindegewebige Attachment in apikaler Richtung zurück (Abb. 2). Der Knochenabbau wird durch Stimulation der Osteoklasten angeregt. Zwischen der apikalsten Ausdehnung der subgingivalen Plaque und dem koronalsten Anteil des Alveolarknochens persistiert eine Zone intakten Attachments von 1,5 bis 2,5 mm Breite5. Über eine Distanz von mehr als 2,5 mm kann bakterielle Plaque keinen Knochenabbau induzieren. Eine approximale infraalveoläre Knochentasche kann demnach nur in einem Zahnzwischenraum entstehen, der breiter als 2,5 mm ist, anderenfalls würde das gesamte Interdentalseptum zerstört6.