Aurelius Augustinus

Bekenntnisse-Confessiones


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Kapitel

      Wie aber ist es zu verwundern, dass mich die Eitelkeit so in ihre Gewalt bekam und mich von dir, mein Gott, so entfernte, da mir Menschen zu Vorbildern gesetzt wurden, die vor Scham vergehen wollten, wenn in der Erzählung ihrer an und für sich keineswegs bösen Handlungen ungebräuchliche oder fehlerhafte Ausdrücke vorkamen, die sich aber rühmten und mit Lob überschüttet wurden, wenn sie ihre Bubenstreiche fehlerfrei mit wohlgesetzten Worten ausführlich und mit Ausschmückungen erzählten? Du siehst dies, Herr, und du schweigst in deiner Langmut, der du barmherzig, der du auch wahrhaftig bist. Doch wirst du immer schweigen, o Herr? Und jetzt ziehst du empor zu dir aus dem grausigen Abgrunde den Geist, der dich sucht und den nach deiner Erquickung dürstet, und sein Herz hält dir vor: »Ich habe gesucht einst dein Antlitz, und nun suche ich dein Antlitz wieder, o Herr.« Denn fern von deinem Angesichte zu leben heißt in finsterer Leidenschaft dahinwandeln, denn nicht mit dem Fuße oder räumlich entfernen wir uns von dir oder kehren zu dir zurück. Oder suchte jener dein jüngerer Sohn Pferde, Wagen oder Segel, oder floh er mit sichtbarem Fittich, oder legte er eilenden Fußes den Weg zurück, dass er im fernen Lande als Verschwender lebe und das Gute verprasse, das du dem Dahinziehenden mitgegeben hattest? Ein liebevoller Vater warst du ihm, der du gabst, ein liebevollerer noch, da er mühselig und beladen heimkehrte. So ist ein Leben in üppiger Lust ein Wandel in Finsternis und Fernsein von dir. Siehe, o Herr, und siehe es nach deiner Gewohnheit mit Langmut an, wie sorgfältig die Menschenkinder die Gesetze der Buchstaben und Silben, die ihnen von den früheren Redenden überliefert sind, beobachten und dagegen die von dir empfangenen dauernden Gesetze des ewigen Heils vernachlässigen, so dass der, welcher jene alten Lautgesetze weiß und lehrt, größeres Missfallen bei den Menschen erregt, wenn er gegen die grammatische Regel ohne Aspiration der ersten Silbe »omo« anstatt »homo« sagen würde, als wenn er, deinen Geboten zuwider, selbst ein Mensch, seinesgleichen hasste. Gerade als ob er von irgendeinem Feinde Verderblicheres erfahren könnte als von seinem Hasse selbst, der ihn gegen denselben aufreizt, oder als wenn einer, indem er einen anderen verfolgt, diesem einen schwereren Schaden zuzufügen imstande wäre, als er seinem Herzen durch solche Feindschaft zufügt! Gewiss ist das sprachliche Wissen nicht innerlicher als der ins Herz geschriebene Gewissensvorwurf: Man tue dem andern, was man selbst nicht leiden möge. Wie bist du so geheimnisvoll, der du schweigend wohnst in der Höhe, o Gott, du allein Erhabener, der du nach einem unermüdlich wirkenden Gesetze zur Strafe Blindheit ausgießest über unerlaubte Begierden. Wenn ein Mensch den Ruhm der Beredsamkeit sucht und dasteht vor einem menschlichen Richter, umgeben von einer Menschenmenge, seinen Feind mit wildem Hass verfolgend, dann hütet er sich mit der größten Sorgfalt vor Sprachfehlern wie: »Inter omines«; aber ohne Scheu vertilgt er in seiner Raserei den Menschen aus dem Kreise der Menschen.

      An der Schwelle der Schule, wo solche Sitten heimisch waren, lag ich als elender Knabe; eines solchen Kampfplatzes Ringkunst war es, wo ich mich mehr davor fürchtete, einen Sprachfehler zu machen, als ich mich hütete, wenn ich es dennoch tat, diejenigen, welche es nicht taten, zu beneiden. Ich sage es und bekenne es dir, mein Gott, worin ich von denen gelobt wurde, welchen zu gefallen uns damals gerade so viel galt als ein gottgefälliges Leben. Denn ich sah nicht den Abgrund der Schande, in welchen ich von deinen Augen verstoßen wurde, denn wer konnte in deinen Augen schändlicher sein als ich, da ich auch sogar solchen missfiel durch unzählige Betrügereien und Lügen, meinen Erziehern und Eltern gegenüber durch Spielsucht, durch die Begierde Possen zu sehen und in spielsüchtiger Unruhe nachzuahmen? Auch den Keller und den Tisch meiner Eltern bestahl ich, teils aus Naschsucht, teils um den Knaben ihre Rollen im Spiel, an dem sie sich gleicherweise wie ich ergötzten, mir sie aber gleichwohl verkauften, abzumarkten. Auch in diesem Spiel erschlich ich mir, von eitler Begier zu glänzen verblendet, oft durch Betrug den Sieg. Was aber wollte ich selbst so wenig dulden und tadelte ich so roh, wenn ich andere dabei ertappte, als eben das, was ich anderen tat, und wenn ich selbst darüber ertappt wurde, lieber tobte als mich gefügt hätte? Ist das die kindliche Unschuld? Nein, o Herr, sie ist es gewiss nicht. Das ist, was aus dem Knabenalter auf das höhere folgende Alter übergeht, nur dass es sich anstatt der Erzieher und Lehrer, der Nüsse und Kugeln und Sperlinge jetzt um Präfekten und Könige, Gold, Landgüter und Sklaven handelt, wie auch anstatt der Ruten schwerere Strafen eintreten. In der Kleinheit der Kinder hast du, unser König, uns ein Symbol der Demut gegeben, wenn du sprachst: »Solcher ist das Himmelreich!«

      Doch Dank sei dir, o Herr unser Gott, dargebracht, dem erhabensten und besten Schöpfer und Regierer des Weltalls, wenn du auch nur gewollt hättest, dass ich solch ein Knabe geworden wäre. Denn schon damals lebte ich und empfand und mir lag mein unversehrtes Dasein am Herzen, eine Spur der geheimnisvollen Einheit mit dir, der ich mein Dasein verdankte. Mit meinem inneren Sinne behütete ich die Unverletztheit meiner äußeren Sinne und freute mich an der Wahrheit selbst bei kleinen Gedanken über kleine Dinge. Ich wollte mich nicht täuschen lassen, mein Gedächtnis war frisch, mit Beredsamkeit war ich ausgestattet, Freundschaft war mir angenehm, ich floh den Schmerz, die Haltlosigkeit, die Unwissenheit. Was ist an einem solchen Wesen nicht bewundernswert und des Lobes würdig! Aber alles dies hat mir Gott geschenkt, nicht ich selbst habe es mir verliehen, und es ist gut, und alles dies bin ich. Gut ist also mein Schöpfer, und er selbst ist mein Gut und ihn preise ich mit Frohlocken für all das Gute, wodurch ich auch als Knabe wirklich war. Denn das war meine Sünde, dass ich nicht in ihm, sondern in seiner Kreatur in mir und den anderen Vergnügen Herrlichkeit und Wahrheit suchte, und so stürzte ich mich in Schmerz, Verwirrung und Irrtum. Dank dir, du meine Wonne, meine Ehre, mein Vertrauen, o mein Gott! Dank dir für deine Gaben! Bewahre sie mir aber auch! Denn so wirst du mich bewahren und sie werden zunehmen, und was du mir gabst, wird vollendet werden, ich selbst werde mit dir sein, denn auch das Dasein hast du mir gegeben.

      Zweites Buch

      Erstes Kapitel

      Gedenken will ich meiner Befleckungen und des Verderbens meiner Seele im Fleisch, nicht weil ich sie liebe, sondern dass ich dich liebe, mein Gott. Liebe zu deiner Liebe ist es, die mich noch einmal die schändlichen Wege durchwandern lässt im Geiste mit der Bitterkeit der neu auflebenden Erinnerung, auf dass du mir süß werdest, o Süßigkeit, die nicht trügt, o Wonne, die zu Glück und Frieden führt, und wenn ich mich sammle von der Zerstreuung, von der ich stückweise zerrissen wurde, da ich von dir, dem Einen, abgewandt, mich in die Vielheit verlor. Da ich ein Jüngling war, flammte auch in mir die Begierde, mich zu sättigen in höllischen Genüssen, und so gab ich mich in wechselnden und lichtscheuen Liebesgenüssen der Verwilderung preis. Und mein Leib verzehrte sich, und ich verfiel vor deinen Augen, während ich mir gefiel und den Menschen zu gefallen strebte.

      Liebe und Gegenliebe, sie nur erfreuten mich. Doch blieb ich nicht auf dem lichten Pfade der Freundschaft, der von Seele zu Seele führt, sondern böse Dünste entstiegen dem Schlamme meiner Fleischeslust und dem Sprudel meiner Jugend und umwölkten und umnachteten mein Herz, dass es nicht mehr scheiden konnte die heitere Klarheit der Liebe von dem Düster der Sinnenlust. Beides wogte und wallte wirr durcheinander, riss meine ohnmächtige Jugend durch die Abgründe der Lust und tauchte sie hinein in den Sündenpfuhl. Da entbrannte dein Zorn über mir, und ich erkannte es nicht. Das Klirren der Kette, die mich an die Sterblichkeit fesselt zur Strafe für meinen Hochmut, machte mich taub (für deine Stimme), und weiter und weiter ging ich von dir, und du ließest mich gewähren; ich trieb mich umher, vergeudete meine Kräfte und schwächte mich und wälzte mich in meinen Ausschweifungen, und du schwiegst. Du meine Freude, wie spät wurdest du mir zuteil! Du schwiegst damals, und ich entfernte mich immer weiter und weiter von dir, immer mehr und mehr in jene unfruchtbare Saat, die nur Schmerzen gebiert in stolzer Verworfenheit und friedloser Erschöpfung.

      O, wer meinem Elende ein Maß gesetzt und die flüchtige Schönheit des steten Wechsels mir zu Nutzen gewandelt und ihren Reizen ein Ziel gesteckt hätte, dass die stürmischen Fluten meiner Jugend, da sie nicht ruhen konnten, gebrandet wären am Ufer der Ehe, die sich genügen