Roald Amundsen

Nordwestpassage


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durch die Weltpresse machte: »An Bord alles wohl.«

      Weiter ging es daher zur Somerset-Insel, die Amundsen mit südlichem Kurs zu umgehen befahl, sodass er auf die Boothia-Halbinsel zuhalten konnte, auf der vor zweiundsiebzig Jahren James Clark Ross bei 70° 05’ nördlicher Breite und 96° 46’ westlicher Länge den magnetischen Nordpol geortet hatte.

      Nichts vermochte den Vorstoß zu hemmen: Ein Feuer im Maschinenraum konnte in Windeseile gelöscht werden; und über das Riff, auf dem die »Gjöa« Ende August vor der Insel Matty zu kentern drohte, hob sie ein Wasserschwall. So glücklich war die Reise, dass Amundsen sich zwingen musste, sie am 13. September 1903 im Süden der King-William-Insel in einer Bucht zu unterbrechen. Hier, in »Gjöahafen«, wollte er mit seiner Besatzung überwintern; von hier aus sollte die »Lage« des magnetischen Nordpols festgehalten werden.

      Die Männer richteten sich ein. Sie deckten ihr Schiff mit einer Plane ab, stellten Hütten am Strand auf, installierten Messstationen, schossen Rentiere und Vögel und pflegten einen regen freundschaftlichen Umgang mit den Eskimos, die die »Gjöa« alsbald mit Beschlag belegten. »Manik-tu-mi! Manik-tu-mi!« Sie lernten, Iglus zu bauen und sich in der Manier ihrer Besucher Kleider zu nähen, feierten Weihnachten und Silvester 1903 und kamen feuchtfröhlich bei einer Temperatur von minus vierundvierzig Grad ins neue Jahr hinüber.

      Zu entdecken gab es nicht viel – es sei denn vielleicht die verblüffende Erziehung eines Eskimojungen: »Bald lag der zehnjährige Lümmel an der Brust seiner Mutter und versah sich mit einem Schluck Milch, bald riss er seinem Vater die Pfeife aus dem Mund und rauchte ein paar Züge zu dem Trank.«

      Hatte der eine ihn jemals ernsthaft erwogen?

      Jedenfalls gehörte dieses Problem nicht mehr zum Ballast, mit dem Roald Amundsen sein Schiff im Sommer 1905 belud. Womit die Jacht stattdessen übervoll befrachtet war, als sie ihren Hafen auf der King-William-Insel am 13. August 1905 nach zweijährigem Aufenthalt verließ, das war der Ehrgeiz ihres Besitzers, die Umrundung Nordamerikas zu Wasser zu vollbringen – sich selbst »den Traum meiner Kindheit von der Nordwestpassage« zu erfüllen.

      Mal vom Mastkorb Umschau haltend, mal von der Reling aus lotend, dirigierte Amundsen die »Gjöa« durch die Simpson- und die Dease-Straße, quer über den Coronationgolf, durch die Union- und die Dolphin-Straße und folgte damit von Osten her der Rinne, in welcher Robert John Le Mesurier McClure 1850 ein Stück von Westen her gesegelt war. Amundsen vertraute den kartografischen Angaben jenes Pioniers und vollendete auf diese Weise – gewissermaßen im Schlaf, denn er lag an diesem Sonnabendvormittag nach seiner Wache in der Koje – am 26. August 1905 vor Nelson Head, südlich der Banks-Insel, die Nordwestpassage.

      Ein Kutter kam ihm entgegen.

      Und abermals spielte sich nach wenigen Stunden eine von diesen Szenen ab, die in der Geschichte der Entdeckungen als Klimax fungieren und eröffnet werden mit dem unterkühlten »Dr. Livingstone, I presume« oder »Sind Sie nicht Nansen?«. Diesmal fiel James McKenna von der »Charles Hansson« die Einleitung des Schlüsseldialogs zu.

      »›Sind Sie Kapitän Amundsen?‹, lautete sein erstes Wort.

      Ich war sehr erstaunt, dass man so weit draußen in der Welt etwas von uns wusste, und antwortete bejahend.

      ›Ist dies das erste Schiff, dem Sie begegnet sind?‹

      Als ich auch dies bejahte, leuchtete es in seinem Gesicht auf, und wir drückten einander lang und herzlich die Hände.«

      Dieses Shakehands zwischen den beiden Kapitänen, dem einen aus San Francisco und dem anderen aus Kristiania, wurde zum Siegel der nördlichen Verbindung des Atlantischen und des Pazifischen Ozeans. Roald Amundsens Vision war Wirklichkeit geworden – was bedrückte es ihn da, dass die »Gjöa« kurz darauf westlich der Mackenzie-Mündung bei King Point ins Packeis geriet und die Bemannung einen dritten Winter auf hohem Breitengrad verbringen musste?

      In der Nachbarschaft kampierte eine Schar von Walfängern und Eskimos, von »Mulatten, Negern, Gelben, Weißen«, sodass man keine Not litt: Das Essen wurde abwechslungsreicher, die Gesellschaft wurde bunter. Und auf einem der Trawler hatten sie sogar Briefe für Amundsen aus Norwegen.

      Da geschah, was die Expedition bis zu ihrem Abschluss überschatten sollte: Gustav Juel Wiik, der Zweite Maschinist, begann zu kränkeln; und binnen weniger Tage starb er, ohne dass ihm jemand helfen konnte.

      Es war, als hätten die Götter Roald Amundsen ein Zeichen gegeben, dass sie die Scheinheiligkeit seines Unternehmens durchschauten. Denn Gustav Juel Wiik – unter anderem dito in Potsdam geschult – war die rechte Hand des »Chefs« bei allen seinen magnetischen Observationen gewesen. Deshalb hatte es zwar Stil, den Verstorbenen in Amundsens Beobachtungsstand bei King Point beizusetzen.

      Der Ort war unheimlich geworden.

      Aber die Natur gab die »Gjöa« nicht frei. Erst am 11. Juli 1906 durfte Roald Amundsen das Polarmeer verlassen. Er lief Nome in Alaska an, jene wilde Goldgräbertown, die er in seinem Leben noch öfter ansteuern sollte und wo er – was für eine bedeutungsschwere Fügung! – Samuel Balto traf: einen jener beiden Lappen, die Fridtjof Nansen auf Schneeschuhen durch Grönland begleitet hatten. Zusammen mit ihm waren sie am 30. Mai 1889 auf den Straßen Kristianias betäubt gewesen von dem Jubel, in den auch ein sechzehnjähriger Pennäler eingestimmt hatte, der in diesen Männern die Nachfahren John Franklins sah und davon besessen war, »gleiche Leiden zu überwinden« wie alle die Recken in Nacht und Eis.

      Jetzt war der Schwärmer vierunddreißig und genoss einen äquivalenten Triumph; denn am 20. November 1906 hielt er nun Einzug in Norwegens Hauptstadt.

      Das Land hatte kürzlich seine Unabhängigkeit von Schweden gewonnen und feierte in Roald Amundsen die Verkörperung seiner nationalen Identität. Admiral Christian Sparre schuf beim Galadiner im Festsaal von Kristiania unter einem Gemälde der »Gjöa« eine martialische Parabel: »Während wir hier zu Hause im politischen Kampf darum standen, jenen Platz zu erlangen, von dem wir meinten, dass er uns in der Gemeinschaft der Staaten gebühre, rang ein armseliger Trupp von Männern an Bord einer winzigen Hardangerjacht hoch oben im ewigen Eis und Schnee um dasselbe Gut – rang darum, der Welt zu zeigen, dass das norwegische Volk über jene Kultur und Disziplin, über jene Kraft zur Selbstaufopferung verfügt, die allein das Recht geben kann, als ein freies Volk zu existieren.«

      Amundsen, berichtete die Zeitung AFTENPOSTEN, dankte für solche Worte; »dann servierte man Kaffee ›avec‹.«

      Und wenn in den Monaten, die nun folgten, einer fragte, wohin die nächste Reise gehe, erwiderte er stereotyp, sie würde ihn zum Nordpol führen. Jeder vergaß daraufhin, dass er bei seiner Rückkunft ein ganz anderes Projekt angekündigt hatte. Da hatte Amundsen nämlich den Reportern erklärt: »Das Endziel wird diesmal jedoch nicht dem nördlichen Polarmeer, sondern der unerforschten Eiswüste des antarktischen Kontinents gelten.«

       Epilog

      Zum Gedenken an Roald Amundsens siebzigsten Geburtstag erschien im Jahre 1942 in Oslo eine Sammlung von Gedichten auf den »Ruhmvollen«. Norwegen war seit dem 9. April 1940 – seit der »Operation Wesermündung« – von deutschen Truppen besetzt, sodass die Landsleute Amundsens abermals ihr Recht einfordern mussten, »als ein freies Volk zu existieren«. Und wie in solcher Lage nicht