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Francis Bacon
(1561-1626), englischer Philosoph und Staatsmann, trug mit seinen Schriften maßgeblich zur Begründung des Empirismus bei. Unter seinen zahlreichen juristischen, literarischen und philosophischen Abhandlungen kommt vor allem den in lateinischer Sprache abgefassten Novum organon scientiarum, die als eine Art ‚Gründungsdokument’ neuzeitlicher Methodenforschung gelten können, eine zentrale Bedeutung zu.
Nachdem Bacon als Staatsmann unter James I. eine glänzende Karriere gemacht hatte, wurde er der Bestechlichkeit bezichtigt und vom Parlament verbannt. Nach seiner Begnadigung widmete er sich bis zu seinem Tod ausschließlich der Schriftstellerei.
Zum Buch
Der Enthüller des ‚Menschlich-Allzumenschlichen’
Wer immer schon über die verschiedenen Gesichter der Wahrheit, die Natur des Todes, geschickte und weniger geschickte Verhandlungstechniken, über die Ehe, das Alleinleben, die Liebe, Neid, Rache und allerlei andere ‚menschlich-allzumenschliche’ Regungen Genaueres wissen wollte, dem ist Bacons Essaysammlung noch heute ein unverzichtbares Vademecum. In einer Sprache, deren Anschaulichkeit und Klarheit ihresgleichen sucht und ihren Verfasser als einen der vollkommensten englischen Schriftsteller ausweist, wird hier jegliches zwischenmenschliche Phänomen mit psychologischem Feingefühl und illusionslos-analytischem Scharfsinn unter die Lupe genommen.
Warum haben unverheiratete Männer einen größeren gesellschaftlichen Nutzen als verheiratete? Welche Vorteile bieten Verstellung und Heuchelei? Warum faszinieren uns Liebe und Neid mehr als alle anderen Empfindungen? Diese und viele weitere moralphilosophische Fragen sind auch knapp 400 Jahre nach Bacon’s Tod brandaktuell. Selten werden sie jedoch mit einer so entwaffnenden psychologischen Schärfe und einer ähnlich raffinierten Metaphorik diskutiert wie in dieser Essay-Sammlung.
Aus dem Englischen neu übersetzt von Michael Siefener
Francis Bacon
Essays
Francis Bacon
Essays
Neu übersetzt aus dem Englischen
von Michael Siefener
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Alle Rechte vorbehalten
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013
Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2012
Die Übersetzung erfolgte nach der Ausgabe London 1910
Übersetzung: Dr. Michael Siefener, Hamburg
Lektorat: Stefanie Evita Schaefer, marixverlag GmbH
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0267-3
An den sehr ehrenwerten, meinen sehr guten Lord, den Duke of Buckingham, seine Gnaden, Lord-Großadmiral von England.
Vortrefflicher Herr!
Salomo sagt: „Besser ein guter Name als gutes Öl“, und ich bin davon überzeugt, dass der Name Euer Gnaden bei der Nachwelt eine solche Aufnahme finden wird, denn sowohl Euer Geschick als auch Eure Verdienste sind herausragend. Und Ihr habt Dinge gepflanzt, die Bestand haben werden. Ich veröffentliche nun meine [Essays- oder Abhandlungen], die von all meinen die größte Verbreitung erfahren haben, weil sie, wie es mir scheint, die Handlungen und die Herzen der Menschen im Innersten berühren. Ich habe sowohl ihre Zahl als auch ihre Gewichtigkeit erhöht, sodass es sich in der Tat um ein neues Werk handelt. Daher hielt ich es als meiner Zuneigung und Dankbarkeit gegen Eure Gnaden angemessen, ihm sowohl in der englischen als auch in der lateinischen Ausgabe Euren Namen voranzustellen. Denn ich bin der Ansicht, dass der lateinische Band (da er in der Universalsprache verfasst ist) so lange Bestand haben wird, wie es Bücher gibt. Meine Wiederherstellung widmete ich dem König, meine Geschichte Heinrichs des Siebten (die ich nun ebenfalls ins Lateinische übertragen habe) sowie meine Beiträge zur Naturgeschichte hingegen dem Kronprinzen, doch Euer Gnaden widme ich dieses Werk, das zu den besten Früchten gehört, die Gott meiner Feder und meinen Mühen geschenkt hat. Gott führe Eure Gnaden bei der Hand.
Euer Gnaden ergebenster und getreuester Diener
Fr. St. Alban.
ERSTE ABHANDLUNG:
ÜBER DIE WAHRHEIT
„Was ist Wahrheit?“, fragte Pilatus im Scherz, ohne eine Antwort darauf zu erwarten. Gewiss gibt es viele, die Freude an Leichtfertigkeit haben und es als beengenden Zwang empfinden, sich an eine bestimmte Überzeugung zu binden, denn sie lieben den freien Willen im Denken genauso wie im Handeln. Und obwohl die Sekten der Philosophen, die dieser Richtung angehörten, inzwischen verschwunden sind, gibt es doch noch gewisse beredte Geister, die zur selben Art zu zählen sind, auch wenn in ihnen nicht so viel Glut und Blut steckt wie in den Alten. Aber die Lüge wird nicht nur durch die Schwierigkeiten und Anstrengungen begünstigt, die die Menschen zur Auffindung der Wahrheit auf sich nehmen müssen, und auch nicht nur durch die Bürden, die ihnen die Wahrheit auferlegt, wenn sie endlich gefunden wurde, sondern es existiert vielmehr eine natürliche, wenn auch verdorbene Liebe zur Lüge an und für sich. Eine der späteren griechischen Denkschulen hat diese Angelegenheit untersucht und verharrt in Ungewissheit, wie sie darüber urteilen soll, dass die Menschen die Lüge lieben – nicht um des Vergnügens willen, wie bei den Dichtern; nicht einmal um des Vorteils willen, wie bei den Kaufleuten, sondern einfach nur um der Lüge selbst willen. Auch ich kann als Grund dafür lediglich angeben, dass die Wahrheit dem nackten und kalten Tageslichte gleicht und die Maskeraden und Mummereien und Triumphe der Welt nicht annähernd so prächtig und anmutig zu zeigen vermag wie das Kerzenlicht. Die Wahrheit ist zum Preis einer Perle zu haben, die am besten bei Tage erglänzt, aber sie steigt niemals zum Preis eines Diamanten oder Karfunkels an, der sich am vorteilhaftesten bei ungewissen Lichtverhältnissen zeigt. Die Hinzufügung einer Lüge verleiht jeder Wahrheit einen zusätzlichen Reiz. Bezweifelt es etwa irgendjemand, dass, wenn aus der Seele des Menschen eitle Ansichten, schmeichelhafte Hoffnungen, falsche Wertschätzungen und Vorstellungen und dergleichen mehr entfernt würden, bei einer großen Anzahl von Menschen diese Seele als armes, eingeschrumpftes Ding voller Melancholie und Unmut übrig bliebe, das ihnen selbst zuwider wäre? Einer der Kirchenväter bezeichnete in großer Strenge die Dichtkunst als vinum daemonum [Wein der Dämonen], weil sie die Phantasie erfüllt, jedoch nur mit dem Schatten der Lüge. Aber großes Leid bereitet nicht jene Lüge, die flüchtig durch die Seele hindurchfährt, sondern die Lüge, die einsinkt und sich festsetzt, so wie wir es vorhin beschrieben haben. Doch wie es auch immer um die verkommenen Urteile und Neigungen des Menschen stehen mag, so lehrt uns doch die Wahrheit, die nur über sich selbst urteilt, dass die Suche nach der Wahrheit, die dem Freien und Liebeswerben um sie gleicht, und das Wissen um die Wahrheit, das uns ein Gefühl für ihre Gegenwart verschafft, sowie der Glaube an die Wahrheit, der uns den Genuss an ihr ermöglicht, die höchsten Güter der menschlichen Natur sind. Die erste Schöpfung Gottes bei der Erschaffung der Welt war das Licht der Sinne, und die letzte war das Licht des Verstandes, und sein Sabbatwerk ist seit jeher die Erleuchtung durch seinen Geist. Als Erstes hauchte er der Materie und dem Chaos